18 / 2017

Prof. Dr. Ulrich Prinz, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Köln

Organschaft in der Praxis – Aktuelle Brennpunkte

In der jüngeren Vergangenheit hat zuletzt die „Kleine Organschaftsreform” vom 20.2.2013 zu wichtigen strukturellen und hoch praxisrelevanten Veränderungen im ertragsteuerlichen Organschaftsrecht geführt. Mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet erkennt man: Etliche der Neuregelungen sollen vereinfachend, befriedend wirken und erfüllen diesen Anspruch auch; andere „Rechtsänderungen” allerdings haben neue „Organschaftsbaustellen” ausgelöst. Die Anbindung des Organschaftsrechts an den unternehmensvertraglichen Gewinnabführungsvertrag erweist sich auch viereinhalb Jahre nach der „Kleinen Organschaftsreform” als teils nur schwer zu bewältigende Unsicherheitsquelle. Man denke nur an die Diskussion um die steuerunschädliche Beendigung der Organschaft innerhalb der fünfjährigen Mindestlaufzeit des Gewinnabführungsvertrags (GAV) „aus wichtigem Grund”. Seit der BFH-Entscheidung vom 13.11.2013 – I R 45/12, GmbHR 2014, 499 m. Komm. Herzberg grübelt die Praxis darüber. Die in R 14.5 Abs. 6 KStR 2015 zu findende Regelvermutung für transaktions- und umstrukturierungsbezogene wichtige Gründe ist sicher begrüßenswert, beseitigt die Rechtsunsicherheit aber nur in Teilen.

Licht und Schatten der „Kleinen Organschaftsreform”

Weitgehend bewährt haben sich der dynamische Verlustverweis auf § 302 AktG auch in GmbH-Gewinnabführungsverträgen sowie das neue Feststellungsverfahren gemäß § 14 Abs. 5 KStG mit Wirkung ab 1.1.2014. Durch diese Reformmaßnahme ausgelöste organschaftsbezogene Vertragsinventuren haben in größeren Unternehmensgruppen manch überraschendes Ergebnis gezeigt. Selbst Steuerabteilungsleiter sollen über eine „bunte Formulierungsvielfalt” in GAVs überrascht gewesen sein. Sicherlich sollte das neue Feststellungsverfahren auch besser mit der von Amts wegen vorzunehmenden Änderung des Gewerbesteuermessbescheids gemäß § 35b GewStG verknüpft werden. Zu den Schattenseiten: Das neue „Bilanzrecht der Organschaft” mit seiner abgeschichteten Durchführungsfiktion bei fehlerhaften Bilanzansätzen ist vom Gesetzgeber sicherlich gut gemeint, zeigt aber in der Praxis immer mehr auch seine Tücken. Es fehlt ein Anwendungsschreiben der Finanzverwaltung mit praxisverwertbaren Hinweisen zu einer Reihe von Detailfragen. Die KStR 2015 schweigen dazu. Verfügungen einzelner Oberfinanzdirektionen oder Länderfinanzverwaltungen sind teils widersprüchlich. Wichtige Einzelaspekte dabei sind: Bestätigungen des Abschlussprüfers eines Unternehmens, dass keine handelsbilanzielle Korrektur eines steuerbilanziellen Fehlers erforderlich ist, sollten von der Finanzverwaltung in aller Regel für Zwecke des § 14 Abs. 1 Nr. 3 KStG akzeptiert werden. Fehlerkorrekturen in Organschaftsketten sollten auf den konkret fehlerverursachenden Teil beschränkt werden, so dass keine Notwendigkeit zur Berichtigung über die gesamte ggf. mehrstufige Organschaftskette verlangt werden kann. Auch sollte die Finanzverwaltung maßvolle Hinweise zum „Timing der Fehlerkorrekturen” geben. Weiterhin wäre es in diesem Zusammenhang auch wünschenswert, wenn der IFRS-Konzernabschluss, der naturgemäß auch auf den Einzelabschlüssen der jeweiligen Legaleinheiten aufbaut, für die Richtigkeitsvermutung des § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 5 KStG akzeptiert würde. Schließlich führt die durch die „Kleine Organschaftsreform” umgesetzte „Auslandsöffnung der Organschaft” zu etlichen besteuerungspraktischen Verwerfungen. So sollte etwa das neue Betriebsstättenkriterium für Organträger gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG für reine Inlandsfälle nicht an überbordenden DBA-rechtlichen Betriebsstättenerfordernissen scheitern. Die zeitliche Unterbrechung einer Beteiligungszuordnung zur inländischen Betriebsstätte des Organträgers hat nur Konsequenzen für das entsprechende Jahr, aber nicht rückwirkend innerhalb der Fünf-Jahres-Frist. Auch steht die erweiterte doppelte Verlustnutzungsbeschränkung des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG im In- und Ausland gerade bei Personengesellschaften als Organträgern in einem neuen Konkurrenzverhältnis zu der ab 1.1.2017 neu geschaffenen Abzugssperre für ausländische Sonderbetriebsausgaben gemäß § 4i EStG. Die neue BFH-Entscheidung vom 12.10.2016 – I R 92/12, GmbHR 2017, 425 m. Komm. Unterberg erfordert zwar insoweit eine konsolidierte Einkunftsermittlung einer Organträger-Personengesellschaft für Zwecke des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG; dies dürfte die Anwendungskonkurrenz zu § 4i EStG begrenzen. Ob die Finanzverwaltung diese BFH-Sicht aber akzeptiert, erscheint momentan offen. Und schließlich: Für EU/EWR-Kapitalgesellschaften mit inländischer Geschäftsleitung ist eine Organgesellschaftsstellung zwar möglich. Das Erfordernis eines grenzüberschreitenden GAV in „nachmodulierter Form” wird aber von der Finanzverwaltung meist nicht anerkannt. Die vom Gesetzgeber eingeräumte Organschaftsmöglichkeit kommt in der Praxis deshalb vielfältig nicht zur Anwendung. Zusammengefasst: Die Finanzverwaltung ist dringlich aufgefordert, ihre organschaftsbezogenen Anwendungshinweise weiterzuentwickeln und zu modernisieren.

Weitere vielfältige Gesetzgebungsaktionen im Organschaftsrecht

Ungeachtet der organschaftsbezogenen Praxisprobleme ist der Gesetzgeber seit der „Kleinen Organschaftsreform” im Februar 2013 weiterhin emsig tätig. Gesetzgeberische Ruhe ist im Organschaftsrecht nicht eingetreten. Strukturelle Verbesserungen aber gibt es kaum. Vielmehr schreitet die Zersplitterung des Organschaftsrechts fort. Chronologisch sind zu nennen: Anwendung der Zehn-Prozent-Grenze für Streubesitzdividenden getrennt für Organgesellschaft und Organträger mit Wirkung ab 1.3.2013 durch das sog. EuGH-Dividendenumsetzungsgesetz vom 21.3.2013; insoweit wurde § 15 Nr. 2 S. 4 KStG ergänzt. Schaffung eines antragsabhängigen „fortführungsgebundenen Verlustvortrags” mit Wirkung ab 1.1.2016 gemäß § 8d KStG, bei dem die Organträgerstellung im Vorfeld sowie im Nachgang zu dem qualifizierten Gesellschafterwechsel in breiter Form schädlich ist. Durch den BVerfG-Beschluss vom 29.3.2017 zur Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG sieht die Finanzverwaltung § 8d KStG als eine Art „Rettungsanker”, so dass der Ausschluss von ertragsteuerlichen Organträgern besonders problematisch ist. Des Weiteren wurde eine rechtsprechungsbrechende Sonderregelung bei der Ermittlung des Gewerbeertrags einer Organgesellschaft in § 7a GewStG durch das BEPS-Umsetzungsgesetz vom 20.12.2016 eingeführt. Dadurch soll die Fünf-Prozent-Hinzurechnung bei Bezug schachtelprivilegierter Dividenden durch eine Organgesellschaft sichergestellt werden. Diese Regelung ist durch zahlreiche Rechtsverweise schwer verständlich und lässt die im Zusammenhang mit der BFH-Rechtsprechung für Altjahre entstehenden Fragen zur Behandlung von Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit schachtelprivilegierten Dividenden stehen, offen. Diskussionen in Betriebsprüfungen sind insoweit vorprogrammiert. Und schließlich: Schaffung neuer Sanierungsregelungen in §§ 3a, 3c EStG, § 7b GewStG mit Erstreckung auf Organschaftsfälle gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a KStG im Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 2.6.2017. Es handelt sich um eine Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016 – GrS 1/15, GmbHR 2017, 310 m. Komm. Hinder/Broekmann wegen Verstoßes des Sanierungserlasses gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die Steuerbefreiung wird nur bei vorrangiger Verlustverrechnung gewährt. Dies erfordert eine getrennte Anwendung der sanierungsbezogenen Sonderregelungen bei Organgesellschaft bzw. Organträger nach Maßgabe des konkreten Sanierungsfalls. Bei einer Sanierung der Organgesellschaft wird die vorrangige Verlustverrechnung beim Organträger fortgesetzt. Diese Regelungen durchlaufen derzeit das beihilferechtliche Notifizierungsverfahren und enthalten differenzierte zeitliche Anwendungsbestimmungen mit Stichtag 8.2.2017. Kurz gefasst sind im ertragsteuerlichen Organschaftsrecht in den letzten Jahren eine Menge von Detailregelungen neu eingeführt worden. Nimmt man ergänzend die umsatzsteuerliche Organschaft in den Blick, so erstaunt, dass ausgelöst durch EuGH und differenzierte BFH-Rechtsprechung nunmehr auch Personengesellschaften als Organgesellschaften in Betracht kommen. Dies ist dem Wortlaut von Art. 11 Mehrwertsteuersystemrichtlinie geschuldet, der abweichend zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht von einer juristischen Person, sondern von einer „im Inland ansässigen Person” spricht. Der Beurteilungswandel hat in der Praxis zu erheblichen Problemen geführt. Das konkretisierende neue BMF-Schreiben vom 26.5.2017 – III C 2 - S 7105/15/10002 – DOK 2017/0439168, GmbHR 2017, 892 ist insoweit hilfreich. Der Gesetzgeber wird aber über eine Neuregelung der umsatzsteuerlichen Organschaftsfähigkeit von Personengesellschaften und ggf. auch ein Antragsrecht nachdenken müssen.

Praxiserfordernis zur Schaffung erhöhter Gestaltungssicherheit im Organschaftsrecht

In Anbetracht der zahlreichen Unwägbarkeiten bei Organschaftsstrukturen, die insbesondere im Zusammenhang mit Umstrukturierungen/Transaktionen wegen der kritischen Zeiterfordernisse bzw. einer Kündigung aus wichtigem Grund entstehen, kommt der Absicherung von Gestaltungen große Bedeutung zu. Die gebührenpflichtige verbindliche Auskunft ist dabei das übliche Absicherungsinstrument für Organgesellschaft und Organträger. Zwar hat der BFH durch Urteil vom 9.3.2016 – I R 66/14, GmbHR 2016, 778 das Entstehen einer doppelten Auskunftsgebühr bei gemeinsamer Antragstellung durch OT sowie OG festgestellt. Das neue organschaftliche Verfahrensrecht gemäß § 14 Abs. 5 KStG sowie der durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 neu gefasste § 89 Abs. 3 AO lassen bei gemeinsamer Antragstellung nur eine Gebühr zu. Beide Antragsteller sind allerdings Gesamtschuldner der Gebühr. Die gerade vom Gesetzgeber verabschiedete Änderung der Steuer-Auskunftsverordnung legt in dem neu gefassten § 2 Abs. 2 die Bindungswirkung der Auskunft für beide Antragsteller ausdrücklich fest. Es handelt sich um eine begrüßenswerte praxisnahe Klarstellung. Die Neuregelungen der geänderten Steuerauskunftsverordnung sind erstmals auf Anträge auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft anzuwenden, die nach dem 1.9.2017 bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen sind.

Konzeptionelle Neubesinnung des Gesetzgebers im Organschaftsrecht

Der Steuergesetzgeber sollte nach der Bundestagswahl im September 2017 für seine Unternehmensteuerreformpläne auch die Organschaft in den Blick nehmen. Es empfiehlt sich eine Evaluation des Status Quo. Die Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz mit ihren Gewinnabführungsfolgen haben seit dem BilMoG vom 25.5.2009 deutlich zugenommen mit vielschichtigen Fragen zur Behandlung von Ausgleichsposten sowie der Abgrenzung vor- und innerorganschaftlicher Mehr- und Minderabführungen (s. zuletzt auch BFH v. 15.3.2017 – I R 67/15, GmbHR 2017, 991; dazu Gosch/Adrian, GmbHR 2017, 965 ff. – beides in dieser Ausgabe). Der Gesetzgeber sollte erneut eine „Große Organschaftsreform” mit Abschaffung des GAV ernsthaft prüfen. Gemäß dem Steuersubjektprinzip unseres Ertragsteuerrechts muss dabei die Verlusttragung durch den Gruppenträger mit einer gewissen zeitlichen Bindungswirkung sichergestellt sein. Konzeptionelle Vorarbeiten stehen dazu in ausreichender Zahl zur Verfügung. Die Gefahr importierter finaler steuerlicher Verluste ist mittlerweile ohnehin weitgehend gebannt. Man sieht: Die Weiterentwicklung unseres zunehmend zersplitterten Organschaftsrechts im Hinblick auf ein modernes Gruppenbesteuerungskonzept sollte aus Sicht der Praxis aller Mühen wert sein.

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Partner Of Counsel bei der WTS Steuerberatungsgesellschaft mbH.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 12.09.2017 09:29