20 / 2017

Ralf Knaier, Würzburg

Handelsregister 4.0 dank Blockchain-Technologie?

I. Das digitale Europa der zwei Geschwindigkeiten

Seit dem 1.7.2017 hat das kleine baltische Land Estland die Ratspräsidentschaft in der EU inne. Der gerade einmal 1,3 Mio. Einwohner zählende Staat gilt als Vorreiter in der Digitalisierung innerhalb der Union. In Estland sind viele Vorgänge längst digital mit Hilfe eines elektronischen Ausweises durchführbar. Von der Identifizierung über die Abgabe der eigenen Stimme bei einer Wahl bis hin zu einer Unternehmensgründung ist fast alles möglich. Auch das Handelsregister funktioniert in Estland fast vollkommen elektronisch. Die Anmeldungen werden von den Nutzern selbst elektronisch erstellt und übermittelt. Lediglich an einer Stelle im gesamten Prozess überprüft ein Registermitarbeiter die Eingaben, wobei sich die Prüfung meist auf Kleinigkeiten beschränkt, wie z.B. bei der Unternehmensgründung auf die Frage, ob die Firma bereits von einem anderen bestehenden Unternehmen geführt wird. In Estland stehen die digitalen Möglichkeiten seit einiger Zeit sogar Ausländern über die sog. „E-Residency” (hierzu https://e-resident.gov.ee) offen.

Auf der anderen Seite gilt Deutschland seit Jahrzehnten als ein europa- und weltweites Musterbeispiel in Bezug auf Rechtssicherheit und Zuverlässigkeit von Handelsregistern. Dies liegt nicht nur an einer starken präventiven Kontrolle durch – in vielen Fällen – sowohl den Notar als auch das Registergericht. Vielmehr hat Deutschland auch im Bereich der Infrastruktur viel in das Handelsregistersystem investiert. Die deutschen Handelsregister werden seit dem EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553 ff.) vollständig elektronisch geführt, die Einreichung von Anmeldungen zum Register ist – abgesehen von wenigen Ausnahmefällen (dazu Preuß in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 12 Rz. 58) – nur elektronisch möglich, und die Register sind gut vernetzt. Trotzdem gilt Deutschland in der europäischen Diskussion digital immer noch als rückständig, ja gar als Bremse der europäischen Entwicklung hin zum digitalen Handels- und Gesellschaftsrecht 4.0. Dies wird oftmals auf den in Deutschland „zwingenden Umweg” über den Notar bei vielen gesellschaftsrechtlichen Vorgängen, die im Handelsregister eingetragen werden müssen, wie Gründung oder Umwandlung, zurückgeführt. Zeit also, auch in Deutschland umzudenken? Zeit, das deutsche Handelsregister auf ein neues Level zu heben und jedermann eine Eintragung selbst und ohne lästige Umwege zu ermöglichen?

In dieser Diskussion hat sich besonders die sog. „Blockchain-Technologie” als denkbare Alternative hervorgetan. Wenn man das Handelsregister als Blockchain aufbauen könnte, wäre alles viel schneller, leichter und sogar sicherer, so jedenfalls die Theorie.


II. Die Blockchain-Technologie

An sich stellt eine Blockchain (zur Funktionsweise Böhme/Pesch, DuD 2017, 473 ff.; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 ff.) nichts anderes dar als eine bestimmte Form, Daten zu speichern. Dies geschieht mit Hilfe sog. „Blocks”. Jeder dieser Blocks enthält eine Liste von Transaktionsdatensätzen, die stetig wächst und in einem Block so lange weitergeschrieben wird, bis dessen Fassungsvermögen erreicht wird. Geschieht dies, wird ein neuer Block begonnen, in dem weitere Transaktionsdatensätze aufgelistet werden. Die Blöcke bilden so nach und nach eine Kette. Durch Kryptographie wird hierbei sichergestellt, dass niemand unbemerkt die in den Blöcken enthaltenen Daten abändern kann. Dies geschieht dadurch, dass jeder Block der Blockchain einen kryptographischen Verweis auf seinen vorherigen Block enthält. Technisch wird dies durch eine kryptographische Verkettung der Blöcke mittels Hashwerten erreicht. Ein Hashwert ist ein kryptographischer, idealerweise eindeutiger Wert, der mit einer Datei verbunden ist und oft als eine Art „Fingerabdruck” bezeichnet wird. Die Blockchain erzeugt nicht nur spezifische Hashwerte für elektronische Dokumente oder andere Informationen (im Vergleich zu elektronischen Signaturprozessen), sondern speichert auch signierte Hashwerte seriell in einer Art Register (Ledger-Funktion). Ein neuer Hashwert und die entsprechende Signatur werden der Blockchain-Datei als neuer Block hinzugefügt.

Um die Integrität (Unveränderlichkeit) der gespeicherten Hashwerte zu gewährleisten, verwenden Blockchain-Anwendungen keine zentrale Einrichtung (wie Trusted Service Provider bzw. Zertifizierungsstellen). Die Blöcke und die darin enthaltenen Informationen werden nicht zentral – z.B. bei einer bestimmten Behörde – gespeichert und verwaltet, sondern dezentral durch eine Vielzahl von unabhängigen Nutzern, die hierfür Speicherkapazitäten bereitstellen. Bei einer normalen Blockchain findet daher auch keine zentrale Kontrolle statt, vielmehr kann jeder Nutzer, der Zugang zu einer bestimmten Blockchain hat, auch Datensätze zu dieser hinzufügen und eine Gesamtkopie der gesamten Datenbank für sich in Anspruch nehmen. So besteht eine Vielzahl an Kopien der Blockchain, verteilt auf einige Rechner (verteiltes Ledger).

Die Blockchain selbst garantiert auf diese Weise nicht – wie z.B. ein Handelsregister heute – die Echtheit einer Transaktion, die in sie eingetragen wird. Vielmehr werden Informationen, die der Kette hinzugefügt werden, als „echt” oder „wahr” anerkannt, sobald eine Mehrheit der Ledger diese als solche bestätigt.


III. Der bisherige und künftige Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie

Bisher wird die Technologie hauptsächlich für digitale Währungssysteme eingesetzt. Als namhaftestes Beispiel sei hier die „Bitcoin”-Währung (dazu Fox, DuD 2017, 507 ff.) genannt, die vollständig auf einer Blockchain aufbaut. Inzwischen findet die Technologie jedoch auch bei der Sicherung von Dokumenten oder der Erstellung sog. „Smart-Contracts” (hierzu Sillaber/Waltl, DuD 2017, 497 ff.) Anwendung.

Zunehmend soll die Blockchain-Technologie auch dafür eingesetzt werden, Intermediäre (z.B. Banken, Börsen, Behörden oder Notare) überflüssig zu machen und damit die bisher anfallenden Transaktionskosten zu verringern.

Auch im Aktienrecht wurde bereits über den Einsatz der Blockchain-Technologie z.B. bei Abstimmungen nachgedacht (Mutter/Otto, AG 2017, R244 f.).

Sogar im Grundbuchrecht werden erste Anwendungsfelder für die Blockchain diskutiert (ausführlich Barbieri/Gassen, Blockchain – can this new technology really revolutionize the land registry system?, 2017).


IV. Die Risiken und der Nutzen der Blockchain-Technologie für das Handelsregisterrecht

Die Blockchain könnte auf zwei verschiedene Weisen für das Handelsregister nutzbar gemacht werden:

Zum einen könnte man mittels einer „öffentlichen” Blockchain, auf die jeder Zugriff hat und die jedermann bearbeiten kann, das Handelsregister völlig neu gestalten. Vorteil wäre dann die leichte Verfügbarkeit und die hohe Geschwindigkeit, in der von den Nutzern selbst Änderungen eingetragen werden könnten. Das Handelsregister könnte dadurch – evtl. schneller als jetzt – auf einem aktuelleren Stand gehalten werden. Dies gelingt jedoch nur, wenn sich die Nutzer redlich verhalten und ihre Eintragungen zeitnah und korrekt vornehmen. Dem steht jedoch das Problem gegenüber, dass das Blockchainsystem darauf beruht, dass Fakt ist, was die Mehrheit der Ledger als wahr anerkennt. Wenn nun die Mehrheit der Nutzer eine unrichtige Tatsache als wahr anerkennt, ist sie das für das Blockchainhandelsregister auch. Problematisch ist zudem, dass die Blöcke zwar dezentral gespeichert werden, die Speicherplätze jedoch zugleich in der Hand nur sehr weniger unbekannter Nutzer liegen können, die dadurch die absolute und staatlich in keiner Weise kontrollierte Herrschaft über das Handelsregister haben. Zudem könnte jeder Nutzer leicht durch einen Hackerangriff seinen kryptographischen Zugangsschlüssel verlieren, so dass wirksame Eintragungen zu seinen Lasten von Dritten vorgenommen werden könnten, ohne dass irgendein Beweis dafür möglich wäre, wer die Eintragung veranlasst hat. Durch die verstärkte Anonymität aufgrund der Blockchain könnten Steuerhinterziehung und Geldwäsche leichter in einem System vorsorgender Rechtspflege vollzogen werden, da die Identität des Eintragenden nicht zuverlässig festgestellt werden kann.

Zum anderen könnte mittels einer „nicht-öffentlichen” Blockchain die interne Führung des Handelsregisters bei den Registergerichten umgestaltet werden. Dann wären ausschließlich die Registergerichte als „qualifizierte Nutzer” berechtigt, Veränderungen an der Blockchain vorzunehmen. Hierdurch könnte zwar das System vorsorgender Rechtspflege beibehalten werden, jedoch würde diese technische Umstellung einen erheblichen Aufwand bedeuten, der letztlich allenfalls nur einen Vorteil bei der Datensicherung bringt. Problematisch wäre dabei zudem, dass die Blockchain-Technologie an sich auf eine große Anzahl an Rechnern aufbaut, was in dieser Ausgestaltung nur begrenzt möglich wäre.

Die Blockchain-Technologie bietet in beiden Gestaltungsvarianten selbst keine Lösungen für die Speicherung von Dokumenten und Daten an. Will man die Technologie daher im Kontext des Handelsregisterrechts einsetzen, muss sie zwingend mit bereits bestehenden Systemen verknüpft werden.

Ebenso wenig beantwortet die Blockchain-Technologie die Frage nach der Vertraulichkeit und dem Schutz von Daten. Bisher wird in diesem Bereich ein sehr hohes Sicherheitsniveau dadurch gewährleistet, dass in vielen Fällen die Einreichung beim Handelsregister durch den Notar stattfindet.

Letztlich kann in beiden Fällen die Funktion des Notars, der wesentlich zur Funktionalität und Zuverlässigkeit des Handelsregisters beiträgt, durch eine Blockchain nicht abgebildet werden, so dass enorme Rechtsunsicherheiten entstehen können und in vielen Fällen keine kostengünstige und qualifizierte Beratung der Handelnden gewährleistet wäre.


V. Fazit

Das wohl austarierte Registersystem in Deutschland, welches sich in ein sicheres und modernes System der vorsorgenden Rechtspflege einbettet, ist bereits in seiner jetzigen Form weiter fortgeschritten als ein System, welches auf einer Blockchain aufbaut. Daran sollte auch in Zukunft festgehalten werden. Der Aufwand, das deutsche Handelsregister auf eine Blockchain umzustellen wäre in jedem Fall gigantisch, der Nutzen marginal. Hinzu kommt, dass durch eine derartige Umgestaltung eine Vielzahl neuer Akteure auf die Bühne treten würden, die ein Interesse daran haben könnten, das deutsche Registerwesen zu manipulieren oder zum Zusammensturz zu bringen. Dieses Problem wird zumeist als ein rein theoretisches abgetan und tatsächlich finden derzeit trotz des aufgedeckten Sicherheitsproblems in der estnischen E-Identity keine bemerkbaren Angriffe statt. Doch vielleicht verhielte sich dies bei der stärksten Volkswirtschaft in Europa anders. Dort, wo die Digitalisierung Chancen und echte Mehrwerte bietet, sollte von ihr Gebrauch gemacht werden. Besteht allerdings bereits ein bewährtes und gut funktionierendes System, sollte dieses nicht blindlings für den vermeintlichen Fortschritt um des Fortschritts Willen über Bord geworfen werden. Vielmehr sollten digitale Möglichkeiten an den Stellen, an denen ihr Einsatz sinnvoll ist, nach und nach integriert werden. Die Blockchain scheint derzeit nur einen Mehrwert bei der Kommunikation zwischen Geräten zu bieten. Auf absehbare Zeit stellt sie für das Handelsregister jedenfalls keine lohnenswerte Entwicklungsoption dar.

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Ralf Knaier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Handels- und Gesellschaftsrecht (Prof. Dr. Christoph Teichmann) an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 11.10.2017 10:52