01 / 2018

Prof. Dr. Götz T. Wiese

Wichtige Themen des Unternehmensteuerrechts im Jahr 2018 – ein Ausblick

Wie wird das Steuerrecht in der nächsten Legislaturperiode aussehen? Ach, wie gerne hätten wir an dieser Stelle über die steuerpolitische Agenda der neuen Bundesregierung gesprochen, über die Aussagen (und Nicht-Aussagen) des Koalitionsvertrags, über die Hoffnungen, die Unternehmen in steuerlicher Hinsicht hegen dürfen, und solche, die schon wieder begraben sind. Aber soweit sind wir zu Jahresbeginn noch nicht. Manch einer mag Jamaika keine „GroKodils“-Tränen nachweinen. Doch liegen die haushaltspolitischen Herausforderungen auf dem Tisch: Immer wieder wird von einem “Verteilungsrahmen” gesprochen, der – ceteris paribus – zur Verfügung stehe: Die (Unternehmens-)Steuern sprudeln, die schwarze Null steht, da könne und müsse “dem Bürger” etwas “zurückgegeben” werden.


Haushaltspolitische Herausforderungen

Eine solche Position fordert haushaltspolitisch heraus: Wird allein die schwarze Null zum obersten Ziel erklärt, führt dies bei starker Konjunktur zur Aufblähung der Ausgabenseite. Von 2010 bis 2016 sind die Steuereinnahmen von € 530 Mrd. auf € 705 Mrd. angestiegen. Schwarze Null heißt hier: Haushaltspolitische Disziplin geht verloren.

Vor der Wahl wurden im Hinblick auf Steuerentlastungen (weithin divergierende) sozialpolitische Gerechtigkeitsvorstellungen in den Vordergrund gerückt. Meistens ging es um Familien und kleinere und mittlere Einkommen; so weit, so wichtig. Aber von einer breiten Entlastung war keine Rede. Gegen eine allgemeine Herabsetzung des Steuertarifs wird regelmäßig eingewandt, dass Entlastungen für die Einkommensgruppen am größten sind, für die der Höchststeuersatz gilt. Dieser Einwand kann zur steuerpolitischen Handlungsunfähigkeit führen.

Ach, höre ich die Leserinnen und Leser ein weiteres Mal seufzen, es soll hier doch um das Unternehmensteuerrecht gehen; wann denn der Autor endlich zu seinem wesentlichen Thema kommt. In der Tat, dieser alljährliche Blog zum Unternehmensteuerrecht befasst sich in erster Linie nicht mit der staatlichen Ausgabenseite und dem sozialen Rahmen der Einkommensteuer, sondern mit den Grundlagen der Besteuerung von Gewerbetreibenden, Personenhandelsgesellschaften und Körperschaften.

Doch auch hier hat bereits der Wahlkampf gezeigt, dass das Unternehmensteuerrecht bei vielen Parteien nicht im Fokus steht. Schon im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode spielte das Unternehmensteuerrecht nur eine kleine Rolle. Entsprechend wenig ist seither geschehen. Der vor vier Jahren vorgeschlagene “Aktionsplan aus Sicht der Praxis” (vgl. GmbHR 2014, R1 f.) wurde im Wesentlichen nur dort umgesetzt, wo die Rechtsprechung entsprechende Vorgaben gemacht hat. Auch die Wahlprogramme der Parteien im Bundestagswahlkampf 2017 haben lediglich kleinere Korrekturen verlangt, insbesondere in den Bereichen Transparenz und Missbrauchsvermeidung, gerade auch im internationalen Bereich.


Grundlegende Reformen

Aber grundlegende Reformen? Diese werden von Seiten der hohen Politik nicht wirklich breit diskutiert. Dabei fordert das Unternehmensteuerrecht zu vielfältigen Grundsatzdiskussionen mit enormer praktischer Relevanz geradezu heraus. Es geht um Erkenntnisse der volkswirtschaftlichen und der betrieblichen Steuerlehre ebenso wie um die rechtliche Ausgestaltung des Unternehmensteuerrechts in Deutschland. Es geht um Lösungsansätze im internationalen Zusammenhang. Und es geht um den Elefanten im Raum: den internationalen Steuerwettbewerb im Allgemeinen und die Auswirkungen der US-Steuerreform im Besonderen.


Mitunternehmerschaften

Besonders problematisch ist die Besteuerung der Personenunternehmen. Das Konzept der gewerblichen Mitunternehmerschaft ist ein weithin deutscher Sonderweg. Die zunehmende Internationalisierung auch des Gesellschafterkreises von Personenunternehmen schafft Konflikte, die mit Hilfe von Doppelbesteuerungsabkommen nicht zufriedenstellend gelöst werden können. Dies hat z.B. die Posse um den 2013 eingeführten und 2016 wieder weitgehend aufgehobenen § 50i EStG gezeigt. Aber nicht nur im internationalen Bereich begegnet die Mitunternehmerschaft Schwierigkeiten. Selbst das schlichte Transparenzprinzip findet in der Bewertungsregel des § 6 Abs. 5 EStG eine unzulängliche Ausgestaltung; das Verfassungsgericht muss sich nun der Thematik annehmen. Jeder Berater weiß, dass die Strukturierung von Personenunternehmen steuerlich ungeheuer risikobehaftet ist. Ein unzumutbarer Zustand.


Körperschaften und Organschaft

Das Steuersenkungsgesetz von 2001, die letzte große Reform des Körperschaftsteuerrechts mit der Rückbesinnung auf das klassische System, war ein vergleichsweise großer Wurf. Aber die Internationalisierung des KStG ist seither stecken geblieben. Das gilt insbesondere für die Organschaft mit ihrem Festhalten am Ergebnisabführungsvertrag. Die Gruppenbesteuerung muss neu geregelt werden, unter Beachtung des Unionsrechts. Deutschland sollte hier eine Vorreiterrolle einnehmen und den Vorschlag für eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage innerhalb der EU aufgreifen und unter Berücksichtigung der Interessen auch des Mittelstands weiterentwickeln.


Hinzurechnungsbesteuerung

Die Regeln der Hinzurechnung passiver Einkünfte, die bei ausländischen Tochtergesellschaften niedrig besteuert werden, müssen im Zuge des BEPS-Prozesses bis Ende 2018 reformiert werden. Im Bundesfinanzministerium wird an einer grundlegenden Reform gearbeitet, die auch den Vorgaben des EuGH-Urteils in der Rs. Cadbury Schweppes Rechnung trägt. Dieses Reformvorhaben ist sehr zu begrüßen.


Abgeltungsteuer

Unter der Überschrift Abgeltungsteuer werden zwei Themen diskutiert, nämlich die Quellensteuer mit potentiell abgeltender Wirkung und der reduzierte Steuersatz von 25 %. Die Quellensteuer soll auf den Prüfstand, wenn der internationale Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden verschiedener Staaten besser gelingt. Fraglich ist, ob die Quellenbesteuerung im internationalen Kapitalverkehr dann wirklich verzichtbar ist. Ergänzend wird eine Finanztransaktionssteuer diskutiert. Der reduzierte Steuersatz kann im Bereich der Dividenden und Kapitalgewinne wegen der Vorbelastung auf Unternehmensebene überzeugen, nicht jedoch im Bereich der Zinsen, die als Betriebsausgaben grundsätzlich voll abziehbar sind.


Gewerbesteuer

Die Gewerbesteuer ist weiterhin ein Ärgernis. Zwar ist die Kommunalfinanzierung verfassungsfest und unverzichtbar. Die Ausgestaltung ist jedoch höchst umstritten, insbesondere auch nach Aufgabe des strukturellen Inlandsbezugs für die Gewerbesteuer (§ 7 S. 7 ff. GewStG). Hier sollte noch einmal eine Reformanstrengung unternommen werden, um das Recht zu vereinfachen.


Internationales Steuerrecht

Die Umsetzung des BEPS-Pakets in nationales Recht (s. oben bereits zur Hinzurechnungsbesteuerung) wird Deutschland auch weiterhin beschäftigen (Stichwort Digitalisierung), aber viele Maßnahmen, die die OECD gegen Base Erosion and Profit Shifting fordert, hat Deutschland längst ergriffen. Die Sorge ist eher die, dass Deutschlands Musterknäblichkeit über das notwendige Ziel hinausschießt, z.B. bei der Handhabung der länderbezogenen Berichterstattung.


Der Elefant im Raum

Aber Internationales Steuerrecht bedeutet heute weit mehr als eine technische Grundlage für die Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Verlagerung von Gewinnen in niedrig besteuernde Jurisdiktionen (so wichtig und schwierig diese Bereiche weiterhin sind).

Viel wichtiger ist mittlerweile das Thema Internationaler Steuerwettbewerb: Angesichts der Tatsache, dass Steuern betriebswirtschaftlich Kosten sind und Kostenvorteile für Unternehmen Standortvorteile darstellen, betreiben große Industrienationen wie die USA und das Vereinigte Königreich eine Herabsetzung der Steuersätze auf rund 20 % (bei aller Unterschiedlichkeit der Steuersysteme). Damit liegen die Steuersätze großer Wirtschaftsnationen rund 10 Prozentpunkte unter der deutschen Steuerlast von ca. 30 % (Körperschaft- und Gewerbesteuer). Besonders die Steuerreform in den USA wird die Debatte der kommenden Monate und Jahre maßgeblich prägen. Zur Gegenfinanzierung planen die USA Maßnahmen, die insbesondere grenzüberschreitend tätige Unternehmen treffen (auch wenn die anfangs geplante Border Adjustment Tax vorerst vom Tisch ist).

Die Herabsetzung der effektiven Steuerlast in den USA, aber auch im Vereinigten Königreich hat sicher entscheidenden Einfluss auf unternehmerische Investitionsentscheidungen und privaten Konsum. Deutschland muss hierzu eine Position beziehen: Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert bereits Verbesserungen des deutschen Steuerrechts.

Die Diskussion darüber ist sehr breit anzulegen, auch angesichts der Gefahr eines Race to the Bottom, den ein ruinöser staatlicher Wettbewerb im Bereich der Besteuerung auslösen kann. Steuern sind nur Standortfaktor; zwar ein besonders wichtiger, aber eben nur einer neben anderen. Die Diskussion muss das Globalisierungstrilemma (D. Rodrik, 2012) mit in den Blick nehmen und fragen: Was soll und kann der Nationalstaat im Spannungsfeld zwischen Welthandel und Demokratie leisten? Wie soll das Steuerrecht des demokratisch verfassten Staates mit einer starken sozialen Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung aussehen? Es geht nicht nur um ein konsistentes Unternehmensteuerrecht. Weil Steuerpolitik immer auch Haushaltspolitik ist und die finanzielle Ausstattung eines Gemeinwesens berührt, geht es letztlich um nichts Geringeres als um die Frage, wie wir im 21. Jahrhundert leben wollen.

Zum Schluss noch, wie in den Vorjahren, ein ceterum censeo: Der Soli muss endlich weg!

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 02.01.2018 11:33