15 / 2018

Dr. Tilman Isenhardt

Update Arbeitszeitgesetz?

I. Einleitung

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ (Heraklit von Ephesos). Auch die Arbeitswelt befindet sich nicht erst seit den technischen Errungenschaften der Digitalisierung im Fluss. Dennoch verändert sie sich in diesem Jahrzehnt im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten besonders rasant. Die neuen digitalen Möglichkeiten erlauben es, nahezu immer und überall zu arbeiten. Dies führt zu einer schleichenden Auflösung bekannter betrieblicher Strukturen mit festen Arbeitsorten und geregelten Arbeitszeiten. Damit auch das Arbeitsrecht mit dieser Entwicklung Schritt hält, fordern insbesondere Arbeitgebervertreter eine Reform des als veraltet und zu starr empfundenen Arbeitszeitrechts. Im Fokus der Diskussion stehen eine stärkere Flexibilisierung der Höchstarbeitszeiten des § 3 ArbZG, eine Verkürzung der Ruhezeiten gem. § 5 Abs. 1 ArbZG und eine Lockerung des Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit nach § 9 ArbZG (Jacobs, NZA 2016, 733 ff.; Bissels/Krings, NJW 2016, 3418 ff.). Doch ist ein Update des Arbeitszeitgesetzes tatsächlich erforderlich und rechtlich möglich, um mit der digitalisierten Arbeitswelt Schritt zu halten?


II. Flexibilisierung der Höchstarbeitszeiten?

Die tägliche Höchstarbeitszeit gem. § 3 ArbZG wird arbeitgeberseitig kritisiert, weil dringende Aufgaben ggf. nicht kurzfristig erledigt werden könnten. 12 oder 14 Stunden am Stück dürfe nicht einmal einmalig und ausnahmsweise mit Laptop zu Hause auf dem Sofa gearbeitet werden (Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331 ff.). Arbeitnehmerseitig soll die unflexible tägliche Höchstarbeitszeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren. Flexibilisierte Arbeitszeiten würden es möglich machen, bereits nachmittags das Büro zu verlassen, um sich um die Kinder zu kümmern, um dann abends, wenn der Nachwuchs schläft, noch etwas Zeit am Schreibtisch zu verbringen (Jacobs, NZA 2016, 733 ff.). Um dem Interesse der Arbeitsvertragsparteien an einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten in diesem Punkt Rechnung zu tragen, wird daher u.a. vorgeschlagen, von einer täglichen Höchstarbeitszeit abzusehen und lediglich eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu definieren (BDA Positionspapier „NEW WORK – Zeit für eine neue Arbeitszeit“).

Angesichts des lauten Rufs nach einer Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeiten wird jedoch vorschnell übersehen, dass die bestehenden Regelungen bereits eine weitgehend flexible Arbeitszeiteinteilung ermöglichen, so dass die Digitalisierung keine weitergehende Liberalisierung der Höchstarbeitszeiten erfordert. § 3 ArbZG erlaubt bereits heute trotz der Definition einer täglichen Höchstarbeitszeit eine weitgehend flexible Gestaltung der täglichen Arbeitszeiten. Zwar darf nach § 3 S. 1 ArbZG die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten, jedoch sind Werktage die Tage von Montag bis Samstag mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage. Somit geht das Arbeitszeitgesetz – wie das Bundesurlaubsgesetz – von einer Sechs-Tage-Woche aus. Allen Berechnungen im Arbeitszeitgesetz ist daher die Sechs-Tage-Woche zugrunde zu legen. Wird in einem Unternehmen dagegen nur von Montag bis Freitag gearbeitet, darf die tägliche Arbeitszeit 9,6 Stunden betragen, da es bei einer durchschnittlichen werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden verbleibt (9,6 Stunden x 5 Arbeitstage/6 Werktage = 8 Stunden je Tag) (Kock in BeckOK ArbR, 47. Edition, Stand 1.3.2018, § 3 ArbZG Rz. 1). Reicht eine tägliche Arbeitszeit von 9,6 Stunden zur Erledigung dringender Arbeitsaufgaben nicht aus, kann die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 S. 2 ArbZG auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Dies bedeutet, dass die tägliche Arbeitszeit in einer Fünf-Tage-Woche vorübergehend auf 12 Stunden angehoben werden kann (12 Stunden x 5 Arbeitstage/6 Werktage = 10 Stunden je Tag). Insofern trifft die Aussage, 12 Stunden dürften nicht einmal ausnahmsweise en bloc gearbeitet werden, nicht zu.

Auch das Argument, die täglichen Höchstarbeitszeiten des § 3 ArbZG stünden der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegen, kann nicht überzeugen. Zur Lage der werktäglichen Arbeitszeit enthält § 3 ArbZG keine Regelung. Daher ist es bereits jetzt möglich, seine Arbeitszeit zu teilen. Ein Arbeitnehmer kann auch heute ohne weiteres z.B. von 08:00 Uhr bis 14:00 Uhr arbeiten, dann für die gemeinsame Zeit mit der Familie pausieren und sich anschließend z.B. von 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr noch einmal an den heimischen Schreibtisch setzen.

Reicht das Zeitfenster des § 3 ArbZG nicht für eine flexible Arbeitszeitgestaltung aus, kann nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG eine noch weitergehende Flexibilisierung der täglichen Höchstarbeitszeiten in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung zugelassen werden. Abweichend von § 3 ArbZG kann die Arbeitszeit dann über 10 Stunden werktäglich verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt. Zudem kann ein anderer Ausgleichszeitraum festgelegt werden. Laut Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode sollen – wie bereits jetzt im Rahmen des § 7 ArbZG – über eine Tariföffnungsklausel weitere Experimentierräume geschaffen werden, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage von Tarifverträgen soll dann mittels Betriebsvereinbarung die Höchstarbeitszeit flexibler geregelt werden können (s. dazu Kothe-Heggemann, GmbHR 2018, 198 ff.).


III. Verkürzung der Ruhezeiten?

Während § 3 ArbZG dem Bedürfnis der Arbeitsvertragsparteien, die Arbeitszeit flexibel gestalten zu können, demnach bereits heute weitestgehend gerecht wird, stellen die Ruhezeiten des § 5 Abs. 1 ArbZG ein in der Praxis häufig nicht zu lösendes Problem dar. Nach § 5 Abs. 1 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden einhalten. Arbeitet der Arbeitnehmer während des Mindestruhezeitraums, muss der Arbeitgeber die volle Ruhezeit im Anschluss an die Unterbrechung neu gewähren (Wank in ErfK, 18. Aufl. 2018, § 5 ArbZG Rz. 4, Gäntgen in HWK, 8. Aufl. 2018, § 5 ArbZG Rz. 2). Dies bedeutet, dass es nach § 3, § 5 Abs. 1 ArbZG möglich ist, von 08:00 Uhr bis 14:00 Uhr und später wieder von 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr zu arbeiten. Dagegen ist es zwar nach § 3 ArbZG, aber nicht nach § 5 Abs. 1 ArbZG möglich, von 08:00 Uhr bis 14:00 Uhr und später wieder von 19:15 Uhr bis 21:15 Uhr zu arbeiten, weil der Arbeitnehmer dann nur eine Ruhezeit von 10,75 Stunden einhalten könnte. Ebenso wenig dürfte der Arbeitnehmer seine Tätigkeit wegen der Restriktionen des § 5 Abs. 1 ArbZG um 08:00 Uhr am nächsten Morgen aufnehmen, wenn er am Vorabend nach 21:00 Uhr eine – und sei sie noch so kurze – berufliche E-Mail gelesen oder geschrieben hat. Auch durch diese ggf. äußerst geringfügige Arbeitsleistung unterbricht der Arbeitnehmer die Ruhezeit, die anschließend neu anläuft (Jacobs, NZA 2016, 733 ff.). Um dem Interesse der Arbeitsvertragsparteien an einer Flexibilisierung der Arbeitszeit auch unter diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, wird daher hierzu z.B. eine Verkürzung der Ruhezeit von 11 auf 9 Stunden, die in zwei Blöcken gewährt werden können soll, wobei ein Block mindestens 8 Stunden betragen müsse, vorgeschlagen (BDA Positionspapier „NEW WORK – Zeit für eine neue Arbeitszeit“).

Eine Verkürzung der Ruhezeiten des § 5 Abs. 1 ArbZG ist jedenfalls für ortsungebundene Arbeitsverhältnisse wünschenswert. Dank der Digitalisierung können heutzutage viele Tätigkeiten von zu Hause aus verrichtet werden. Somit besteht in diesen Fällen kein Bedürfnis für eine lange elfstündige Ruhezeit, die auch den Fahrzeiten in den Betrieb geschuldet ist (Wiebauer, NZA 2016, 1430 ff.). Bedauerlicherweise ist der Vorschlag, die Ruhezeiten zu verkürzen, de lege lata nicht mit den europarechtlichen Vorgaben zu vereinbaren. Gemäß Art. 3 RiLi 2003/88/EG haben die Mitgliedsstaaten der europäischen Union die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von 11 zusammenhängenden Stunden gewährt wird. Die nach Art. 17 Abs. 4 RiLi 2003/88/EG zulässigen Ausnahmen sind ausschließlich Tätigkeits- und nicht Arbeitszeitkonzept bezogen (Wiebauer, NZA 2016, 1430 ff.).

Da auf europäischer Ebene derzeit keine Novelle der Arbeitszeitrichtlinie diskutiert wird, besteht somit aktuell lediglich die Möglichkeit, Art. 3 RiLi 2003/88/EG und § 5 Abs. 1 ArbZG teleologisch für geringfügige Unterbrechungen der Ruhezeit zu reduzieren. Eine geringfügige Unterbrechung der Ruhezeit dürfte jedenfalls bei ortsungebundenen Tätigkeiten und einer vereinbarten Vertrauensarbeitszeit nicht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Überanstrengung führen, so dass der Schutzzweck der Arbeitszeitrichtlinie und des Arbeitszeitgesetzes eine entsprechende teleologische Reduktion zuließe (Jacobs, NZA 2016, 733 ff.; Hanau, NJW 2016, 2613 ff.).


IV. Lockerung des Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit?

Neben der Flexibilisierung der Höchstarbeitszeiten und der Verkürzung der Ruhezeiten wird eine Lockerung des Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit diskutiert. Gemäß § 9 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen nicht beschäftigt werden. Abweichend von diesem Grundsatz ist die Sonn- und Feiertagsarbeit nach § 10 Abs. 1 ArbZG für viele Tätigkeiten erlaubt. Weitere Ausnahmen lassen die von den Landesregierungen gem. § 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2a ArbZG erlassenen Rechtsverordnungen (z.B. Bedarfsgewerbeverordnung NRW) zu. Darüber hinaus können auch die Aufsichtsbehörden gem. § 13 Abs. 3 – 5 ArbZG Ausnahmen von dem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit bewilligen. Ergänzend schlagen nun einzelne Autoren vor, das Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen bei einer Tätigkeit im Callcenter durch Ergänzung von § 10 Abs. 1 ArbZG aufzuheben (Jacobs, NZA 2016, 733 ff.) und für Tätigkeiten im Homeoffice zu lockern (Hanau, NJW 2016, 2613 ff.).

Unabhängig davon, ob sich der Einzelne mit einer Lockerung des Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit im Hinblick auf eine freiere Einteilung der Arbeitszeit anfreunden kann, sind auch diese Überlegungen derzeit nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vereinbar. Der gem. Art. 139 WRV i.V.m. Art. 140 GG bestehende Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage steht einer (weiteren) Lockerung des Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit nach Auffassung des BVerfG (Urt. v. 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07) und des BVerwG (Urt. v. 26.11.2014 – 6 CN 1/13) entgegen.


V. Fazit

Das Arbeitszeitgesetz ist besser als sein Ruf. Auch in einer räumlich und zeitlich entgrenzten Arbeitswelt kann dem Wunsch der Arbeitsvertragsparteien nach einer flexiblen Einteilung der Arbeitszeit trotz der Restriktionen des Arbeitszeitgesetzes in vielen Fallgestaltungen Rechnung getragen werden. Insbesondere steht die tägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung in der Regel nicht entgegen. Vor diesem Hintergrund ist das Vorhaben der Koalitionsparteien, über eine Tariföffnungsklausel weitere Experimentierräume zu schaffen, vollkommen ausreichend. Einer wünschenswerten Verkürzung der Ruhezeiten des § 5 Abs. 1 ArbZG widersprechen dagegen europarechtliche Vorgaben. Um dem Flexibilisierungsbedürfnis der Arbeitsvertragsparteien in diesem Punkt Rechnung zu tragen, müsste daher der europäische Gesetzgeber die Initiative ergreifen. Ein politischer Wille, die europäische Arbeitszeitrichtlinie zu reformieren, ist indes aktuell nicht erkennbar. Auch eine Lockerung des Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit des § 9 ArbZG ist im Moment wegen der konservativen Haltung von BVerfG und BVerwG nicht zu erwarten.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 26.07.2018 08:42