21 / 2018

Prof. Dr. Ulrich Seibert

10 Jahre GmbH-Reform MoMiG – ist die Zeit so schnell vergangen?

Die Geschichte des Aktienrechts ist eine Geschichte seiner Reformen. „Beim GmbH-Recht ist genau das Gegenteil der Fall: Es ist eher eine Geschichte gescheiterter Reformvorhaben.“, führte die damalige Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries bei der abschließenden Lesung des MoMiG im Deutschen Bundestag am 26.6.2008 aus. Nach über 115 Jahren wurde endlich die große GmbH-Reform mit breiter Mehrheit verabschiedet und trat am 1.11.2008 in Kraft.

Worin unterschied sich das MoMiG von den vorangegangenen, gescheiterten Anläufen? Die früheren Reformvorhaben (1937 und 1971/73) verfolgten Regulierungsansätze, sie wollten geistige Früchte aus den zuvor beschlossenen Aktienrechtsreformen in das GmbH-Recht übertragen. Das MoMiG hingegen verfolgte einen Deregulierungsansatz. Es ging ihm darum, die Gründung und das normale Leben der GmbH zu erleichtern (Mo stand für Modernisierung) – dafür aber am Ende, in der Krise, etwas schärfer zuzugreifen (Mi stand für Missbrauchsbekämpfung – also: MoMiG). Es beabsichtigte, den Bierbauch, den das GmbHG angesetzt hatte, zu verschlanken bzw. Wucherungen der Rechtsprechung zurückzuschneiden, auch um den Preis der Abschaffung eines kompletten Berufsstands: des „Kapitalersatzrechtlers“, der feinsinnig an der fortschreitenden Komplizierung von Kapitalaufbringung und -erhaltung wirkte.


I. Das Gesetzgebungsverfahren

Das Procedere des MoMiG erinnerte an die Masurische Geschichte von Siegfried Lenz, wo sich ein gewisser Amadeus Loch auf die Reise nach Oletzko, der nächstgelegenen Stadt, macht, um ein „Kilochen Nägel“ zu kaufen – und nach und nach schließen sich ihm Verwandte, Nachbarn und am Ende die ganze Dorfgemeinschaft an; letztlich setzt sich eine Karawane in Bewegung. Es werden unterwegs zwei Kinder geboren, es gibt Streit und alles, was sonst so zum Leben dazugehört. So ging es auch zu Beginn der GmbH-Reform nur um ein paar Missbrauchskonstellationen, um die Bestattungsfälle. Später sollte die GmbH eine Antwort auf die Konkurrenz durch die britische Limited bieten und die Lissabon-Strategie des Europäischen Rates forderte eine deutliche Beschleunigung der Unternehmensgründung. Die GmbH sollte also zugleich dereguliert als auch modernisiert werden. In der Folge des berühmten „Novemberurteils“ des BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = GmbHR 2004, 302 m. Komm. Bähr/Hoos, man hat den Novembernebel plastisch vor Augen, im Grunde war es Kanonenqualm, rief die Wirtschaft nach der Rettung des cash-pooling. Eine Revision der Kapitalerhaltungsregeln musste also noch in die Reform. Die Abschaffung des Kapitalersatzrechts sollte bei der Gelegenheit gleich mitgenommen werden. Konsequent ging der Regierungsentwurf auch noch die Vereinfachung der Kapitalaufbringung und der verdeckten Sacheinlage an; und nach und nach noch vieles mehr. Kurz vor dem Kabinett sprang unverhofft noch eine GmbH ohne Mindestkapital, die sog. haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, auf. Zu Beginn des parlamentarischen Verfahrens war dann schon ein beachtlicher Tross, quasi die gesamte GmbH-Community, unterwegs.

Nachdem schon in der 15. Wahlperiode Überlegungen zur Reform des GmbH-Gesetzes angestellt worden waren, wurde der Referentenentwurf eines MoMiG in der 16. Wahlperiode am 7.6.2006 mit einer langen Stellungnahmefrist bis Mitte September 2006 den beteiligten Kreisen vorgestellt. Erwartungsgemäß war das Aufkommen an Stellungnahmen sehr erheblich, die letzte ging im Februar 2007 ein. Aufgrund der sehnlichst erwarteten Erleichterungen für die mittelständische Wirtschaft war das Echo ganz überwiegend sehr positiv. Die Überarbeitung des Entwurfs nahm dennoch sehr viel Zeit in Anspruch, so dass er erst Ende April 2007 dem Bundeskabinett vorgelegt werden konnte. Man beachte: 10 Monate zwischen Versendung des RefE und dem Kabinettsbeschluss über den RegE! Jeder wurde gehört, jedem Hinweis nachgegangen, jedes Argument sorgfältig gewogen. Es ist eine Unsitte, die Stellungnahmefrist extrem kurz anzusetzen und den Kabinettstermin rasch nach deren Ablauf durchzuziehen. Das macht die Stellungnahmen zur Farce. Das MoMiG hat hingegen von der Sorgfalt und dem gebündelten Sachverstand aller Experten sehr profitiert.

Das Gesetz ist am 28.10.2008 im BGBl. I, 2026 verkündet worden und am 1.11.2008 in Kraft getreten.


II. Die UG

Die Inhalte des MoMiG können hier nicht nachgezeichnet werden. Ein Punkt sei hervorgehoben, die UG (haftungsbeschränkt): Der lange Verlauf der Diskussion um die GmbH-Reform in Deutschland hatte dazu geführt, dass plötzlich, wie die Pilze, die aus dem Waldboden schießen, alle möglichen Vorschläge zu neuen Gesellschaftsformen neben der GmbH entwickelt wurden. Es gab das Modell einer Basisgesellschaft aus dem Land Nordrhein-Westfalen, aus Bayern wurde ein Einzelkaufmann mit beschränkter Haftung vorgeschlagen, eine Personengesellschaft mit beschränkter Haftung kam von den Grünen, und die Kommanditgesellschaft mit beschränkter Haftung kam von Drygala, ZIP 2006, 1797 ff. – was ich immerhin für ganz interessant halte (s. unten Ausblick). Da gab es aber vor allem die Unternehmensgründergesellschaft (UGG) des Abgeordneten Gehb, des damaligen rechtspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion – eine komplette neue Rechtsform mit über 80 Paragraphen und 10mal so vielen Folgeproblemen.

So hatten wir uns eine Deregulierung des deutschen GmbH-Rechts eigentlich nicht vorgestellt: Einführung einer komplett neuen, konkurrierenden Rechtsform, mit lauter neuen Paragraphen, die teilweise dasselbe beinhalten wie das GmbH-Gesetz, nur an anderen Stellen; was zu allgemeiner Verwirrung führen musste. Ich habe deshalb das Gespräch zu diesem wichtigen Abgeordneten gesucht. Das Ergebnis war für viele überraschend. Wir kamen zu dem Kompromiss, dass wir die 80 Paragraphen vielleicht besser weglassen und stattdessen die ganze Idee in das GmbH-Gesetz integrieren. Aus 80 mach einen Paragraphen – § 5a GmbHG – mit fünf kleinen Absätzchen, und der Name der Gesellschaft wurde dem Wunsch des Abgeordneten entsprechend formuliert. So kam es zur „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“. Der Witz bei dieser Gesellschaft – die keine eigene Gesellschaftsform, sondern nur eine Subvariante der GmbH ist – ist der, dass sie als Ein-Euro-Gesellschaft faktisch ohne jedes Mindeststammkapital gegründet werden kann, dafür aber einen stigmatisierenden Namen trägt, so dass jeder gleich weiß: Vorsicht, das ist keine normale GmbH!


III. Wie wurde das Gesetz aufgenommen?

Die lieben Kollegen aus der Academia sind nicht verdächtig, Lob mit leichter Hand zu verteilen, ihr Beruf ist eher die Kritik und das scharfsinnig-triumphierende Aufspüren von Fehlern.

Dennoch kam das MoMiG recht gut weg.

Ulmer in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, Band I Einl. A91 äußert sich mit für ihn ungewöhnlich freundlichen Worten: „Die MoMiG-Reform wird zu Recht verbreitet als wichtigste Novellierung des GmbH-Gesetzes seit seinem Erlass im Jahr 1892 beurteilt. […] gründliche Vorarbeiten im BMJ […]“; A95: „Insgesamt ist der MoMiG-Reform nach allem ein gutes Zeugnis auszustellen.“ Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2018, Einl. Rz. 123 schreibt: „Der Trend zur Vereinfachung und Flexibilisierung, der das MoMiG wie ein roter Faden durchzieht, spiegelt schließlich auch ein gewandeltes Selbstverständnis des modernen (Reform-)Gesetzgebers wider.“ Und Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, Einl. Rz. 36 erläutert zutreffend: „Das MoMiG hat die Struktur der GmbH nicht verändert, sondern dort, wo sie durch frühere Gesetzgebung und Rspr. schwerfällig geworden war, wieder leicht und flexibel gestaltet. Die Reform hat ihre Ziele erreicht: Vereinfachung des GmbH-Rechts, Beseitigung von Missbrauchsmöglichkeiten und Abwehr der Limited. Man kann diese Reform also nur begrüßen und sich über ihre Bewährung in der Praxis freuen; das Letztere gilt naturgemäß in besonderem Maße für die UG, die […] alle Erwartungen übertroffen hat.“ Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Einl. Rz. 47 urteilt, die „Tendenz der Reform zu Modernisierung und Missbrauchsbekämpfung ist uneingeschränkt zu begrüßen“, während Harbarth, ZGR 2016, 84 ff. resümiert, es sei die „umfangreichste GmbH-Reform seit Bestehen des GmbHG“, eine „große GmbH-Reform“. Hirte, NZG 2008, 766 ff. konzediert: „Alles in allem hat der deutsche Gesetzgeber mit Augenmaß auf die Herausforderungen reagiert, die der ‚Wettbewerb des Gesellschaftsrechts’ an das deutsche Recht herangetragen hat.“ Und Noack, DB 2007, 1395 (1400) analysiert den Entwurf zutreffend: „Vorsichtig von der Prävention zur Repression – so kann man die Tendenz der Reform formulieren. [...] Mit der gezielten Rücknahme von Übertreibungen bei der Durchsetzung des Kapitalsystems, der Reduktion bzw. Freigabe des Mindestkapitals (bei der Unternehmergesellschaft), mit der Haftung von Geschäftsführern für insolvenzverursachende Zahlungen nebst der Inpflichtnahme von Gesellschaftern bei Führungslosigkeit verfolgt der RegE MoMiG eine mittlere Linie. Für die legislatorische Steuerung des Supertankers ‚GmbH‘ ist das nicht verkehrt.“ Und zur UG (haftungsbeschränkt) äußern sich W. Bayer/T. Hoffmann, GmbHR 2010, R161 f. geradezu euphorisch: „Einen wahren Triumphzug durch die GmbH-Landschaft hat die Rechtsformvariante ‚Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)‘ […] bereits hinter sich.“

Die Unternehmergesellschaft war tatsächlich ein erstaunliches Erfolgsprojekt mit MiniMax-Methode (fünf minimale Absätze im GmbHG, über 130.000 neue Gründergesellschaften bis heute). Wenn man in der Berliner Start-Up-Szene erwähnt, dass man für diese UG verantwortlich war, dann erlebt man Tränen der Bewunderung, Rührung und Dankbarkeit. Mehr kann man ja nicht wünschen.

Die Literatur zum GmbHG hat sich nach der Reform deutlich beruhigt, einziger Schwachpunkt des MoMiG war wohl die aufgewertete Gesellschafterliste, eine seltsame Zwittergestalt, eingereicht aber nicht eingetragen und doch mit begrenzter Gutglaubensschutzwirkung ausgestattet. Über nichts wurde in der Folgezeit so viel kluge Tinte vergossen. Auch diese Änderung hat aber ihren Zweck grosso modo erfüllt: Der Praxis sollte beim Erwerb eines GmbH-Anteils die Due Diligence zur Kette der Vorerwerber erleichtert werden. Die Regelung blieb aber auf halbem Weg stehen, denn im Grunde müssten die GmbH-Gesellschafter genauso wie Firma und Stammkapital im Register eingetragen werden; oder wenigstens müssten die Gesellschafterlisten maschinell lesbar sein, und nicht nur als Bilddatei (pdf oder tiff) hinterlegt werden. Das ist ganz altes 20tes Jahrhundert. Verbesserungen werden auch hier kommen (die Verordnungsermächtigung in § 40 Abs. 5 GmbHG liegt jedenfalls schon bereit), aber es gibt eben viele Widerstände in den Ländern, denen jede Veränderung zu teuer wird.


IV. Ausblick

Was wird die Zukunft bringen? Kann sich das GmbH-Gesetz wieder für 115 Jahre bis zur nächsten großen Reform gemütlich zurücklehnen – bzw. der Gesetzgeber und sein Gesetzgebungsreferent? Wohl kaum, die Zeiten sind schnelllebiger geworden. Wer weiß, was die fortschreitende Digitalisierung noch alles bringen wird. Jedenfalls wird die Online-Gründung der GmbH in irgendeiner Form kommen. Die Gesellschafterliste muss wie erwähnt in ihrer technischen Aufbereitung an den Standard des übrigen Handelsregisters angeglichen werden und auch die Eintragung muss weiter beschleunigt werden, wozu zuvörderst der zeitraubende Nachweis der Einzahlung des Stammkapitals gehört. Die Handelsregisterbekanntmachungen parallel zum Eintrag ins Unternehmensregister – ein klarer Fall von Doppelpublizität – sollten verschlankt werden, und der UG (haftungsbeschränkt) könnte nach zehn Jahren erlaubt werden, sich „UGmbH“ zu nennen, schließlich wissen die Rechtsanwender langsam, dass die Rechtsform eine stammkapitalarme Variante der GmbH ist. Die GmbH & Co. KG sollte man zu einer einzigen Rechtsform verschmelzen – ein echtes Bedürfnis in der Wirtschaft für eine Personengesellschaft mit beschränkter Haftung besteht ganz offensichtlich. Die Rechtsentwicklung hat diesem Bedürfnis durch die GmbH & Co. KG zwar entsprochen, jedoch aberwitzig kompliziert – wozu braucht man denn bitte zwei Gesellschaften mit all ihren Formalien und Publizitätsvorschriften? Darüber könnte man also nachdenken, wenn man einmal etwas Zeit hat. Zuletzt haben wir noch die Diskussion zu einer europäischen Privatgesellschaft, die von der Kommission zwar zurückgezogen, von der Koalition in Berlin aber erneut gefordert wird. Das Stammkapitalsystem wird mit dem Austritt der Briten aus der EU weniger unter Druck stehen und vielleicht die Zeit noch weiter überdauern.

Aber all das sind nur ein paar hingeworfene Gedanken. Man wird in der Rechtspolitik immer wieder überrascht, und jede Wahlperiode birgt Unvorhergesehenes und Unvorhersehbares. Vorhersagen sind somit in etwa so schwierig wie Währungsprognosen.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 12.11.2018 11:52