BGH v. 20.9.2018 - I ZR 146/17

Beschränkung der Haftung gem. § 475 HGB durch Individualvereinbarung

Die Bestimmungen der §§ 467 bis 475h HGB über das Lagergeschäft gelten auch dann, wenn der Lagerhalter - wie bei einem Konsignationslager - neben der Lagerung der Güter noch andere Aufgaben übernimmt. Die Haftung gem. § 475 HGB kann außer durch AGB, die den Erfordernissen der §§ 305 bis 310 BGB entsprechen und dabei insbesondere die Kardinalpflichten des Lagerhalters angemessen berücksichtigen, auch durch Individualvereinbarungen beschränkt werden, sofern diese die für sie geltenden Grenzen der Gestaltungsmacht der Parteien einhalten.

Der Sachverhalt:

Die klagende in Koblenz ansässige GmbH betreibt ein Speditionsunternehmen. Sie führte für die in Nürnberg ansässige Beklagte, die Hausgeräte und Unterhaltungselektronik vertreibt, auf der Grundlage des von ihr unter dem 2.5.2012 gegengezeichneten "G. by 30.04.2012", in dem die Geltung der ADSp 2003 vereinbart war (im Weiteren: Vertrag), bis zum 30.9.2014 ein sog. Konsignationslager, wobei sie die von der Beklagten verfügte Ware kommissionierte und an Empfänger innerhalb Deutschlands zustellte.

Der Klägerin standen gegenüber der Beklagten aus dem Vertrag nach dessen Beendigung noch Ansprüche aus erbrachten speditionellen Leistungen sowie auf Lagermiete wegen der nicht rechtzeitigen Räumung einer Halle zu. Die Klägerin verlangte von der Beklagten in erster Instanz zuletzt die Zahlung von rd. 280.000 € nebst Zinsen. Die Beklagte rechnete gegenüber der Klageforderung mit einem Anspruch wegen bei der Klägerin im Vertragszeitraum entstandener Inventurverluste i.H.v. rd. 425.000 € auf. Für den Fall, dass die Aufrechnung gem. § 19 ADSp 2003 als unwirksam angesehen werden sollte, erhob die Beklagte hilfsweise eine Widerklage in Höhe der Klagesumme. Die Klägerin beruft sich demgegenüber auf folgende Bestimmung im Vertrag: "ITC is liable for inventory differences up to 99,6% from the value of the goods (buying price) which are handled by ITC each year." (im Weiteren: Schwundklausel).

Das LG gab der Klage teilweise statt, verurteilte die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - zur Zahlung von rd. 220.000 € nebst Zinsen und wies die Widerklage ab. Das OLG wies die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung mit der Maßgabe zurück, dass die Abweisung der Widerklage entfällt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:

Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann die von der Beklagten erhobene Gegenforderung nicht verneint werden.

Das OLG ist im rechtlichen Ansatz zutreffend und von den Parteien auch unbeanstandet davon ausgegangen, dass sich die Frage der Haftung der Klägerin gegenüber der Beklagten für Inventurverluste grundsätzlich nach den Bestimmungen über das Lagergeschäft (§§ 467 bis 475h HGB) beurteilt. Die genannten Bestimmungen gelten auch dann, wenn der Lagerhalter - wie im Streitfall die Klägerin bei dem von ihr für die Beklagte geführten Konsignationslager - neben der Lagerung der Güter noch andere Aufgaben übernimmt. Entscheidend ist, dass die Klägerin die ihr anvertrauten Güter entsprechend dem Leitbild des Lagervertrags ordnungsgemäß einzulagern und aufzubewahren hatte.

Mit der vorliegenden Schwundklausel sollte ersichtlich nicht die Pflicht der Klägerin als Lagerhalterin abbedungen werden, den gesamten eingelagerten Warenbestand zurückzugeben. Vielmehr sollten damit lediglich die Haftungsfolgen für den Fall einer Inventurdifferenz geregelt werden. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, Haftungsfreizeichnungen seien beim Verlust von Gütern beim Lagerhalter unbeachtlich, weil es dabei um die Verletzung von Kardinalpflichten gehe. Sie übersieht insoweit, dass die Haftung des Lagerhalters gem. § 475 HGB - anders als etwa gem. § 449 HGB die Haftung des Frachtführers - grundsätzlich abdingbar ist. Die Haftung gem. § 475 HGB kann daher durch AGB beschränkt werden, die den Erfordernissen der §§ 305 bis 310 BGB entsprechen und insbesondere die Kardinalpflichten des Lagerhalters angemessen berücksichtigen. Ferner kann diese Haftung durch Individualvereinbarungen beschränkt werden, sofern diese die für sie geltenden Grenzen der Gestaltungsmacht der Parteien einhalten.

Das Berufungsurteil beruht auf der rechtsfehlerhaften Annahme, die Klägerin hafte auch nicht für eine vorsätzliche Pflichtverletzung. Die Beklagte hat in beiden Tatsacheninstanzen vorgetragen, der eingetretene Waren-schwund beruhe darauf, dass die Organe der Klägerin es vorsätzlich unterlassen hätten, deren Lagerbetrieb ordnungsgemäß zu organisieren. Mangels gegenteiliger Feststellungen des OLG ist dieser Vortrag der rechtlichen Nachprüfung in der Revisionsinstanz zugrunde zu legen. Danach ist davon auszugehen, dass der eingetretene Warenschwund auf einer vorsätzlichen Pflichtverletzung der Klägerin beruht, die sich gem. § 31 BGB das Verhalten ihrer Organe zurechnen lassen muss.

Danach war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren wird u.a. auf Folgendes hingewiesen: Eine Individualvereinbarung, wonach der Lagerhalter für Inventurverluste von bis zu 0,4% jährlich nicht haftet, kann im Blick auf § 276 Abs. 3 BGB dahin auszulegen sein, dass die Haftung für vorsätzliches Verhalten des Lagerhalters damit nicht ausgeschlossen ist. Das in Ziffer 19 ADSp 2003 bestimmte Aufrechnungsverbot gilt für Gegenansprüche, die streitig sind und über deren Bestehen nicht ohne Beweiserhebung entschieden werden kann. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Gegenansprüche nach Darstellung des Aufrechnenden auf einer vorsätzlichen Vertragsverletzung des Aufrechnungsgegners beruhen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.01.2019 12:18
Quelle: BGH online

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