5/2019

Dr. Thomas Wachter

Digitalisierung des GmbH-Rechts in Österreich


GmbH-Gründung in Österreich mittels elektronischem Notariatsakt

Am „1. Jänner 2019“ ist in Österreich das „Elektronische Notariatsform-Gründungsgesetz – ENG“ in Kraft getreten (Bundesgesetz öBGBl. I Nr. 71/2018, Volltext auch unter ris.bka.gv.at). Die Neuregelung sieht erstmals die Möglichkeit einer GmbH-Gründung mittels eines „elektronisch errichteten Notariatsakts“ vor. Eine physische Anwesenheit der Parteien ist dabei nicht zwingend erforderlich. Die erstmalige Einführung einer solchen „Online-GmbH-Gründung“ ist für das österreichische GmbH-Recht mit seiner über einhundert jährigen Geschichte ein echter Quantensprung (zu früheren, weniger erfolgreichen Versuchen einer Deregulierung des GmbHG mittels vereinfachter Gründung s. § 9a öGmbHG, der zum 31.12.2020 schon wieder außer Kraft tritt, s. dazu u.a. Schopper/Walch in FS für Ludwig Bittner, Wien 2018, S. 617 ff. und Zib in FS für Ludwig Bittner, Wien 2018, S. 851 ff.). Angesichts der engen Verbindungen zwischen dem österreichischen und deutschen GmbH-Recht ist die neue Pioniertat des österreichischen Gesetzgebers bereits aus rechtsvergleichender Sicht von größtem Interesse. Das österreichische Reformprojekt ist darüber hinaus aber auch deshalb von Bedeutung, weil in Deutschland demnächst möglicherweise ähnliche Änderungen bevorstehen. Das österreichische Gesetz könnte insoweit als Modell für Deutschland dienen.


EU-Company Law Package

Hintergrund der Entwicklung ist der im April 2018 von der EU Kommission vorgelegte Entwurf eines Company Law Package. Dieser enthält u.a. einen Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht (COM [2018] 239 final vom 25.4.2018, s. dazu auch BR-Drucks. 163/18; ausführlich im deutschen Schrifttum u.a. Bock, DNotZ 2018, 643; Bormann/Stelmaszcyk, EuZW 2018, 1009; Knaier, GmbHR 2018, 560; Lieder, NZG 2018, 1081; Noack, DB 2018, 1324; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229 [Teil 1] und 273 [Teil 2]; Teichmann, ZIP 2018, 2451). Dieses (auf den ersten Blick eher technisch anmutende) Reformvorhaben könnte das bisherige Verfahren der GmbH-Gründung in Deutschland durchaus revolutionär verändern. Bislang müssen die Gesellschafter (oder deren Vertreter) bei der Gründung einer neuen GmbH zwingend persönlich beim Notar anwesend sein (§ 2 GmbHG). Künftig soll das persönliche Erscheinen allenfalls noch in Ausnahmefällen notwendig sein. Die EU-Kommission möchte eine echte Online-Gründung von Kapitalgesellschaften ermöglichen. An der notariellen Beurkundung als solches soll sich aber nichts ändern. Der deutsche Gesetzgeber wird daher (wenn die Richtlinie tatsächlich in Kraft tritt, wovon derzeit allgemein ausgegangen wird) vor der Aufgabe stehen, einen rechtssicheren Rahmen für eine solche Online-Gründung zu schaffen (dazu Bormann, ZGR 2017, 621; Seibert in FS für Alfred Bergmann, 2018, S. 677 ff.). Dies ist nicht nur rechtlich, sondern vor allem auch technisch und organisatorisch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Die Erfahrungen mit dem elektronischen Notariatsakt in Österreich können daher eine wertvolle Hilfe sein.


Digitalgründung = qualifizierte Videokonferenz + elektronische Signatur

In Österreich bedarf der Gesellschaftsvertrag einer neu gegründeten GmbH der Form eines Notariatsaktes (§ 4 Abs. 3 öGmbHG; ähnlich § 2 Abs. 1 dGmbHG). Seit dem 1.1.2019 kann dieser Notariatsakt erstmals auch „unter Nutzung einer elektronischen Kommunikationsmöglichkeit“ errichtet werden (§ 4 Abs. 3 Satz 1 öGmbHG n.F.). Die Einzelheiten des elektronischen Notariatsakts sind nicht im (österreichischen) GmbHG, sondern in der (österreichischen) Notariatsordnung geregelt (dort vor allem § 69b öNotO n.F.). Bei der Aufnahme eines elektronischen Notariatsakts müssen danach nicht mehr alle Parteien „physisch anwesend“ sein. Der Notar muss u.a. die „Identität“ der Parteien sicher und zweifelsfrei prüfen. Bei den nicht physisch anwesenden Parteien hat diese Prüfung „unter Verwendung eines elektronischen Verfahrens“ und mittels geeigneter „Sicherungsmaßnahmen“ zu erfolgen. Der österreichische Gesetzgeber sieht dabei zwei (gleichwertige) Möglichkeiten vor: ein videogestütztes elektronisches Verfahren und ein Verfahren mittels elektronischem Ausweis (§ 69b Abs. 2 öNotO). Die näheren Einzelheiten wurden in einer Verordnung des Bundesministeriums für Justiz geregelt. Dabei hat man sich an der bestehenden Verordnung zur videogestützten Online-Identifikation von Kunden durch Banken orientiert (Online-IDV).

In der „Notar-E-Identifikations-Verordnung – NEIV“ (Verordnung öBGBl. II Nr. 1/2019, Volltext auch unter ris.bka.gv.at) sind u.a. die organisatorischen und verfahrensbezogenen Sicherungsmaßnahmen detailliert geregelt. Danach müssen für die elektronische Identifizierung „besonders geschulte und zuverlässige“ Mitarbeiter eingesetzt werden. Die Identifizierung muss in einem „abgetrennten, mit einer Zugangskontrolle ausgestatteten Raum“ durchgeführt werden. Der Teil des Gesprächs, der der Identifikationsfeststellung und -prüfung dient, ist „zumindest akustisch zur Gänze aufzuzeichnen“. Darüber hinaus sind – „bei geeigneten Belichtungsverhältnissen“„Bildschirmkopien“ anzufertigen, die u.a. das „Gesicht der Partei“ und die Vorder- und Rückseite des amtlichen Lichtbildausweises abbilden müssen. Die Partei muss während des Identifikationsverfahrens „ihren Kopf unter Präsentation des Gesichts“ bewegen und die „Seriennummer ihres amtlichen Lichtbildausweises“ mitteilen. Der Notar muss sich anhand bestimmter Vorgaben von der „Authentizität des Lichtbildausweises“ vergewissern. Schließlich muss die Partei die Identifizierung durch Rücksendung einer elektronisch generierten Email bestätigen. Bei der Ausführung des elektronischen Identifizierungsverfahrens können die Notare auch auf entsprechend qualifizierte Dienstleister zurückgreifen. In allen Fällen müssen die Parteien (sofern sie nicht physisch anwesend sind) mit dem Notar und den anderen Parteien „durch eine optische und akustische Zweiweg-Verbindung in Echtzeit“ verbunden sein (§ 69 Abs. 3 öNotO).

Die Unterschrift der nicht physisch anwesenden Parteien soll mittels elektronischer Signatur erfolgen (§ 69 Abs. 4 öNotO)

Für die Beglaubigung der Unterschriften unter der Handelsregisteranmeldung gelten die Vorschriften über den elektronischen Notariatsakt entsprechend (§ 79 Abs. 9 öNotO). Der Geschäftsführer kann demnach seine Unterschrift ohne physische Anwesenheit beim Notar mittels elektronischer Signatur leisten.

Die österreichischen Notare haben die neuen Möglichkeiten der „Online-Gründung“ in den Jahren 2017/2018 bereits im Rahmen eines Pilotprojekt (Proof of Concept) getestet. Dabei wurden 120 GmbH’s von 16 Notaren erfolgreich errichtet; die ersten Stellungnahmen waren rundweg positiv. Einem erfolgreicher Start des „ENG“ dürfte damit nichts im Wege stehen.


Gelungene Neuregelung in Österreich – Erfolgsmodell für Europa

Das neue österreichische Modell der „Digitalgründung von GmbH mit dem Notar“ (so das offizielle Ziel der österreichischen Bundesregierung) ist in jeder Hinsicht gelungen. Die Gründer einer (österreichischen) GmbH können die Vorteile der Digitalisierung nutzen ohne auf die bewährten Schutz- und Sicherheitsstandards verzichten zu müssen. Die Unternehmensgründer können künftig frei wählen, ob sie sich lieber online oder wie bisher im persönlichen Gespräch vor Ort beraten und betreuen lassen wollen (s. auch die Gesetzesbegründung, Volltext unter www.parlament.gv.at).

Die Möglichkeit der GmbH-Errichtung mittels eines elektronischen Notariatsakts besteht künftig für alle Gründungen (u.a. Bar- und Sachgründungen, Ein- und Mehrpersonengründungen, Gründungen durch natürliche und/oder juristische Personen). Für andere Rechtsformen (wie etwa die AG) ist dagegen keine Online-Gründung vorgesehen. Die allgemeinen Identifizierungs- und Sorgfaltspflichten treffen den Notar auch bei der Aufnahme eines elektronischen Notariatsakts (z.B. Prüfung der Geschäftsfähigkeit, von Vollmachten und anderen Vertretungsnachweisen). Darüber hinaus gelten auch die „Belehrungs- und Beistandspflichten“ des Notars weiterhin gegenüber allen Parteien (gleich, ob diese anwesend oder nicht anwesend sind). Der Notar bleibt auch bei der Online-Gründung der neutrale und unabhängige Berater aller Parteien.

Die „Digitalgründung“ wirft zahlreiche neue Fragen auf, die bislang naturgemäß noch nicht abschließend geklärt sind. Diskutiert wird beispielsweise, ob die Aufnahme eines elektronischen Notariatsakts nur dann möglich ist, wenn zumindest eine Partei beim Notar physisch anwesend ist oder auch dann, wenn gar keine Partei beim Notar anwesend ist (letzteres dürfte wohl richtig sein). Die nicht anwesenden Parteien müssen sich vermutlich nicht alle am selben Ort (in Österreich) aufhalten, sondern können durchaus auch von unterschiedlichen Orten (mit dem Notar und den anderem Parteien) verbunden werden. Gründer aus Wien, Salzburg und München können somit online eine österreichische GmbH bei einem Notar in Linz errichten (sofern alle über die entsprechenden technischen Voraussetzungen verfügen). Besondere Probleme treten dann auf, wenn alle oder einzelne Parteien der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig sind. Einer „digitalen“ Beurkundung sollte dies aber nicht entgegenstehen, wenn dieselben Voraussetzungen wie im „analogen“ Zeitalter (u.a. Anfertigung einer Übersetzung, Hinzuziehung eines Dolmetschers) eingehalten werden.

Die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Aufnahme eines elektronischen Notariatsakts sind nicht zu unterschätzen. Der österreichische Gesetzgeber stellt es daher jedem Notar frei, ob und wann er die Möglichkeit der „digitalen GmbH-Gründung“ tatsächlich anbieten möchte. Dies erscheint durchaus sachgerecht. Die Nachfrage nach solchen Online-Gründungen dürfte auch (regional) sehr unterschiedlich sein.

Der elektronische Notariatsakt wurde in Österreich lange vor (und unabhängig von) dem EU Company Law Package entwickelt. Gleichwohl dürfte die gesetzliche Regelung in Österreich bereits heute den geplanten europarechtlichen Vorgaben entsprechen. Für andere Staaten könnte die österreichische Form der Online-Gründung daher durchaus Vorbildfunktion haben.


Österreichisches ENG – Vorbild auch für Deutschland?

Das „Elektronische Notariatsform-Gründungsgesetz – ENG“ könnte bei einer etwaigen Einführung einer Online GmbH-Gründung in Deutschland als Modell dienen. Zwischen den GmbH-Gesetzen und Notariatsverfassungen beider Länder bestehen traditionell enge Verbindungen, so dass eine Orientierung an den Erfahrungen im jeweiligen Nachbarland naheliegend ist.

Der Gesetzgeber war noch nie in der Lage, mit dem Tempo der technischen Entwicklung Schritt zu halten; dies gilt erst recht im Zeitalter der Digitalisierung. Der österreichische Gesetzgeber hat daher mit dem dreistufigen Regelungsansatz aus Gesetz, Verordnung und Richtlinien einen überzeugenden Weg gewählt. Damit kann er auf neue Entwicklungen schnell und flexibel reagieren. Dieser Regelungsansatz erscheint im Grundsatz auch für Deutschland sachgerecht.

In Österreich ist die zentrale gesetzliche Regelung in der Notariatsordnung erfolgt. Diesen Punkt sollte Deutschland nicht unbedingt übernehmen. Die Möglichkeit der Beurkundung ohne physische Anwesenheit der Parteien soll nur für die Gründung von GmbH’s geschaffen werden. Für alle anderen Beurkundungen und Beglaubigungen (z.B. im Bereich des Grundstücks-, Erb- oder Familienrechts) bleibt es dagegen dabei, dass die Beteiligten (oder deren Vertreter) persönlich beim Notar erscheinen müssen. Eine „Fern-Beurkundung“ oder „Fern-Beglaubigung“ ist und bleibt unzulässig. Unter diesen Umständen erscheint es naheliegend, die Möglichkeit der Online GmbH-Gründung im GmbH-Gesetz selbst (z.B. in § 2 GmbHG) und nicht etwa im Beurkundungsgesetz zu regeln.

In Österreich ist vorgesehen, dass sich der Notar bei der Identifikation der (physisch nicht anwesenden) Parteien eines qualifizierten Dienstleisters bedienen kann. Die Letztverantwortung für die Identifizierung verbleibt aber auch in Österreich immer bei dem Notar. In Deutschland gehört die Identifizierung der Beteiligten zu den Kardinalpflichten des Notars. Bei der Einbindung von Dienstleistern für die Identifizierung könnten daher möglicherweise engere Grenzen als in Österreich bestehen (u.a. im Hinblick auf die Höchstpersönlichkeit der Amtsausübung).

Der österreichische Gesetzgeber hat die Sicherungsmaßnahmen für die elektronische Identifizierung der Parteien vor allem damit gerechtfertigt, dass auf diese Weise ein „Ausgleich“ für das potentiell erhöhte Risiko der „Geldwäscherei (§ 165 StGB) oder der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB)“ geschaffen werden soll (§ 69 Abs. 2 Satz 2 öNotO). Dieser Ansatz ist im Grundsatz überzeugend, möglicherweise aber zu sehr auf einzelne Straftaten beschränkt. Erhöhte Risiken können unter Umständen auch bei anderen Delikten, wie etwa Urkundenfälschung, Betrug und Steuer- und Zollstraftaten bestehen.


Fazit

Österreich hat mit seinem „ENG“ die Grundlagen für einen erfolgreichen Start ins digitale Zeitalter gelegt. Das Gesetz hat Vorbildfunktion für andere Mitgliedsstaaten in Europa. Die (praktischen) Erfahrungen der österreichischen Notare und Firmenbuchgerichte sollten auch in Deutschland genutzt werden.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 06.03.2019 11:58