Aktuell in der GmbHR

Die Klassifizierung und rechtliche Behandlung fehlerhafter Beschlüsse des GmbH-Aufsichtsrates (Geißler, GmbHR 2019, 861)

Das GmbHG enthält keine Regelungen über die Behandlung fehlerhafter Aufsichtsratsbeschlüsse. Nach einem Blick auf die maßgeblichen (und verstreuten) Rechtsgrundlagen, welche die Einrichtung eines obligatorischen Aufsichtsrates anordnen (II.), wird deshalb zunächst die Rechtsentwicklung zu dem heute überwiegend vertretenen Lösungskonzept skizziert (III.). Dies bedingt eine nach materiellen und formellen Kriterien gegliederte Ordnung der möglichen Beschlussmängel (IV., V.). Hernach werden die Besonderheiten bei der Betreibung der Feststellungsklage (§ 256 ZPO) dargestellt (VI.), ehe (unter VII.) die spezifischen (und umstrittenen) Fragen zum Rechtsschutzinteresse und zur Verwirkung des Klagerechts bei minderschweren Verfahrensverstößen (kritisch) erörtert werden.


I. Einleitung

II. Das maßgebliche Rechtsgeflecht im Überblick

1. Rechtsgrundlagen für den fakultativen Aufsichtsrat

2. Rechtsgrundlagen für den obligatorischen Aufsichtsrat

3. Aspekte des Beschlussverfahrens

III. Die Suche nach präterlegalen Lösungsansätzen

IV. Zur Kasuistik der uneingeschränkt nichtigen Aufsichtsratsbeschlüsse

V. Die Abgrenzung bei Verfahrensverstößen

VI. Die Geltendmachung der Nichtigkeit

1. Die Betreibung der Feststellungsklage

2. Aspekte des Feststellungsinteresses

VII. Rechtsschutzinteresse und Fragen der Verwirkung bei minderschweren Mängeln

VIII. Zusammenfassung
 

I. Einleitung

Genuine Aufgabe eines Aufsichtsrates ist es, die Geschäftsführung des Unternehmens zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Verfügt er nicht über diese Berechtigung, mag es sich um einen Beirat, Verwaltungsrat oder ein ähnliches Kuratorium handeln. Jedenfalls ist aber ein Aufsichtsrat ohne die Kompetenz einer Kontrollautorität nicht denkbar. Ist andererseits ein Gremium zur Überwachung des Unternehmens ermächtigt, qualifiziert sich dieses selbst dann als Aufsichtsrat, wenn es unter einer anderen Benennung fungiert. Insoweit beinhaltet die Tätigkeit des Aufsichtsrates die kontinuierliche Kontrolle und fachliche Bewertung der jeweiligen Geschäftsprozesse. Ein besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Legalität, die Ordnungsmäßigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung zu richten. Und stets ist darauf zu achten, dass durch eine entsprechende Sicherung der Liquidität und Stärkung der Ertragskraft die Lebensfähigkeit der GmbH auch in Zukunft gewährleistet ist.

Selbstredend müssen diese Kontrollaufgaben mit entsprechenden Informationsrechten des Aufsichtsrates korrespondieren. So statuarisch abweichende Regelungen nicht existieren, ist zunächst die in § 52 Abs. 1 GmbHG angeordnete Verweisung auf § 90 Abs. 3, 4 und 5 Satz 1 und 2 AktG einschlägig. Es ist also, weil § 90 Abs. 1 und 2 AktG nicht in Bezug genommen sind, primär Sache des Aufsichtsrates, bei der Geschäftsleitung Berichte und Auskünfte über die Angelegenheiten der Gesellschaft anzufordern. Ein bewährtes – und oftmals eingesetztes – Instrument der Informationsbeschaffung ist auch die kontinuierliche Beratung und Abstimmung des Aufsichtsrates mit dem Geschäftsführer und ebenso die Errichtung von Zustim- GmbHR 2019, 862mungsvorbehalten für bestimmte Arten von Geschäften (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Nach wohl überwiegender Meinung kann dem Aufsichtsrat aber ein selbständiges Klagerecht gegen die GmbH auf Erteilung bestimmter Informationen nicht zugestanden werden.

Die Willensbildung des Aufsichtsrates konkretisiert und formalisiert sich dadurch zur rechtlichen Verbindlichkeit, dass zu den jeweiligen Beratungsgegenständen entsprechende Beschlüsse gefasst werden. Wenn die Satzung ein anderes Verfahren nicht vorsieht, ist hierzu eine Versammlung erforderlich, die – mit Bekanntgabe der Beschlussgegenstände – ordnungsgemäß einzuberufen ist. Für das Prozedere im Übrigen kann auf §§ 28, 32, 34 BGB und auf §§ 47, 48 GmbHG zurückgegriffen werden. Im Gegensatz etwa zu § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG verweist § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 108 AktG. Für den fakultativen Aufsichtsrat bedeutet dies, dass er unabhängig von der Zahl der in der Versammlung Anwesenden beschlussfähig ist. Insbesondere ist also nach gefestigter Meinung nicht – wie in § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG angeordnet – die Teilnahme von zumindest drei Mitgliedern an der Beschlussfassung erforderlich. Im Extremfall kann also ein Beschluss auch dann zustande kommen, wenn nur ein Mitglied erschienen ist und entsprechend abstimmt.

Mögliche Mängel eines Aufsichtsratsbeschlusses können auf vielfältigen Ursachen beruhen. Formelle Mängel sind anzunehmen bei Verstößen gegen Form- und Ordnungsvorschriften, also etwa bei einer unzureichenden Ladung, einer fehlerhaften Sitzungsleitung durch den Vorsitzenden oder bei einer lückenhaften Protokollführung. Den formell fehlerhaften Beschlüssen werden zumeist – wobei die Terminologie nicht einheitlich ist – die an materiellen Mängeln leidenden Entschließungen gegenübergestellt. Dies sind solche, die ihrem Inhalt nach gegen Gesetz oder Satzung verstoßen. Anzunehmen wäre dies etwa, wenn ein nicht unter das MitbestG fallender Aufsichtsrat ohne entsprechende Satzungsermächtigung einen Geschäftsführer bestellen oder entlassen würde. Durch dergestaltige Verstöße gekennzeichnete Beschlüsse sind regelmäßig nichtig. Im Übrigen aber sind die diesbezüglichen Einzelfragen, wie auch die folgenden Ausführungen zeigen, in lebhaftem Diskurs und noch keineswegs abschließend beantwortet.

II. Das maßgebliche Rechtsgeflecht im Überblick

1. Rechtsgrundlagen für den fakultativen Aufsichtsrat

Eine bündige und kohärente Darstellung der Thematik erschwert sich dadurch, dass das GmbHG keinerlei Regelungen über die zwingende Konstituierung eines Aufsichtsrates und dessen Funktionen enthält. § 52 Abs. 1 GmbHG stellt lediglich klar, dass die Gesellschafterversammlung in der Satzung einen (sog. fakultativen) Aufsichtsrat vorsehen kann, für welchen dann, so abweichende Bestimmungen nicht getroffen sind, einige Vorschriften des AktG gelten. Die Inbezugnahme dieser Normen erbringt indessen noch keine (...)
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.08.2019 10:28
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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