Aktuell in der GmbHR

Der besondere Kündigungsschutz eines schwerbehinderten Geschäftsführers einer GmbH i.S.d. §§ 168, 174 Abs. 1 SGB IX - Eine Bewertung nach deutschem und europäischem Recht unter Berücksichtigung der Milkova-Entscheidung des EuGH (Haase, GmbHR 2019, 980)

Die Beantwortung der Frage, ob ein schwerbehinderter Geschäftsführer unter den besonderen Kündigungsschutz nach §§ 168, 174 SGB IX fällt, steht und fällt mit der Beantwortung der jahrzehntealten Frage, ob ein Geschäftsführer Arbeitnehmer der GmbH sein kann. § 611a BGB sowie §§ 168, 174 SGB IX n.F. sind bei der Beantwortung dieser Frage wenig hilfreich, bieten sie doch nur „alten Wein in neuen Schläuchen“. Nach Auffassung des Verfassers dieses Beitrags verspricht jedoch das europäische Recht Hilfe. Nach einer Gegenüberstellung der aktuellen Rechtslage nach deutschem und europäischem Recht folgt eine eingehende Auseinandersetzung mit der Milkova-Entscheidung des EuGH v. 9.3.2017 – C-406/15, anhand derer die Frage nach einem besonderen Kündigungsschutz zu Gunsten des schwerbehinderten Fremdgeschäftsführers sowie des schwerbehinderten Minderheits-Gesellschaftergeschäftsführers ohne maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschafterversammlung zu beantworten ist.

I. Einleitung

II. Deutsches Recht und der Kündigungsschutz eines schwerbehinderten Geschäftsführers nach §§ 168, 174 SGB IX

1. (Neu-)Regelung der §§ 168, 174 SGB IX

2. „Schwerbehinderter Mensch“ i.S.d. §§ 168, 174 SGB IX

3. „Arbeitsverhältnis“ i.S.d. §§ 168, 174 SGB IX

a) Arbeitsvertrag gem. § 611a BGB

b) Arbeitsrechtlicher Status eines Geschäftsführers

aa) Meinungsstand in der Literatur

bb) Meinungsstand in der Rechtsprechung

c) Anstellungsverhältnis eines schwerbehinderten Geschäftsführers als „Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen“ i.S.d. §§ 168, 174 SGB IX?

III. Europäisches Recht und der Kündigungsschutz  eines schwerbehinderten Geschäftsführers nach §§ 168, 174 SGB IX

1. Der primärrechtliche Arbeitnehmerbegriff i.S.d. Art. 45 AEUV

2. Die Rechtsprechung des EuGH zum unionsrechtlichen Status des Geschäftsführers als Arbeitnehmer der GmbH

3. Die Rechtsprechung des EuGH und ihr Einfluss auf den besonderen Kündigungsschutz eines schwerbehinderten Geschäftsführers nach §§ 168, 174 SGB IX

a) Meinungsstand in der Rechtsprechung

b) Meinungsstand in der Literatur

4. Milkova-Entscheidung des EuGH und der Kündigungsschutz des schwerbehinderten Geschäftsführers nach §§ 168, 174 SGB IX

a) Milkova-Entscheidung des EuGH

b) Schlussfolgerungen für den Kündigungsschutz  eines Geschäftsführers nach §§ 168, 174 SGB IX

aa) Meinungsstand in der Literatur

bb) Eigener Ansatz

IV. Ergebnis



I. Einleitung
Die ewig junge Frage nach dem arbeitsrechtlichen Status des Geschäftsführers wird seit Jahrzehnten kontrovers in Rechtsprechung und Literatur diskutiert – national und seit geraumer Zeit auch europarechtlich.[1] Im Rahmen dieser kontroversen Diskussion wird die Frage, ob §§ 168, 174 SGB IX auf das Anstellungsverhältnis eines schwerbehinderten Geschäftsführers Anwendung finden, bislang in Rechtsprechung und Literatur nahezu ausnahmslos verneint. Sowohl die jüngere deutsche Gesetzgebung als auch die jüngere Rechtsprechung des EuGH bieten jedoch Anlass, die Beantwortung dieser Frage zu überdenken: Der deutsche Gesetzgeber hat sowohl mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) v. 23.12.2016 das SGB IX grundlegend neu gestaltet als auch mit dem Gesetz zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze v. 19.10.2016 den Begriff des Arbeitsvertrages und damit implizit den des Arbeitnehmers in § 611a BGB erstmals definiert. Der EuGH wiederum hatte sich in seiner Milkova-Entscheidung mit der Frage zu befassen, ob eine bulgarische Beamtin vom persönlichen Schutzbereich des bulgarischen Schwerbehindertenrechts umfasst ist und aufgrund dessen den besonderen Kündigungsschutz von Arbeitnehmern nach bulgarischem Arbeitsrecht für sich in Anspruch nehmen kann.

II. Deutsches Recht und der Kündigungsschutz eines schwerbehinderten Geschäftsführers nach §§ 168, 174 SGB IX
Ein schwerbehinderter Geschäftsführer kann sich auf den besonderen Kündigungsschutz i.S.d. §§ 168, 174 SGB IX berufen, wenn er sich als „schwerbehinderter Mensch“ in einem „Arbeitsverhältnis“ mit der GmbH befindet.

1. (Neu-)Regelung der §§ 168, 174 SGB IX
§ 168 SGB IX regelt: „Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.“ Was § 168 SGB IX für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen regelt, regelt § 174 SGB IX für die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. § 174 Abs. 1 SGB IX verweist – bis auf § 169 SGB IX – auf die §§ 168 bis 175 SGB IX, also auch auf § 168 SGB IX. Art. 1 BTHG hat mit Wirkung vom 1.1.2018 §§ 85, 91 SGB IX a.F. wortgleich und ohne jegliche inhaltliche Modifikation in die §§ 168, 174 SGB IX übernommen. Die Rechtslage hat sich daher nicht geändert. Der bisherige Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zu §§ 85, 91 SGB IX a.F. kann unverändert auf §§ 168, 174 SGB IX übertragen werden, also auch hinsichtlich der Frage, ob sich ein schwerbehinderter Geschäftsführer auf den besonderen Kündigungsschutz der §§ 168, 174 SGB IX berufen kann.

2. „Schwerbehinderter Mensch“ i.S.d. §§ 168, 174 SGB IX
§ 168 SGB IX spricht von einem „schwerbehinderten Menschen“ und knüpft dabei an die Definition der Schwerbehinderung in § 2 Abs. 2 SGB IX an. Nach § 151 Abs. 1 SGB IX gelten die Vorschriften des dritten Teils des SGB IX – und somit auch §§ 168, 174 SGB IX – ebenso für Menschen, die nach § 2 Abs. 3 SGB IX einem „schwerbehinderten Menschen“ gleichgestellt sind. Erfüllt mithin ein Geschäftsführer die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB IX, so ist er entweder ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.09.2019 12:47
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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