15 / 2019

Georg Geberth

Zwar langsam, aber „sie bewegt sich doch“!

„Eppur si muove“ – so soll Galileo Galilei ausgerufen haben, als er gezwungen wurde zuzugeben, dass nicht die Erde die Sonne umkreise, sondern umgekehrt die Sonne sich um die (angeblich scheibenförmige) Erde drehe, wie damals allseits geglaubt wurde. Heutzutage fällt es schwer zu glauben, dass die Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB) sich bewegt und eine Chance auf Realisierung hat. Und dennoch haben alle Ratspräsidentschaften der letzten Jahre hartnäckig an diesem Regelungswerk weitergearbeitet. Vielleicht war auch die Erwartung, dass eine Umsetzung dieses Jahrhundertprojekts kurz- oder auch nur mittelfristig realistisch sein könnte, einfach übertrieben hoffnungsfroh. Andere Projekte ähnlich historischen Ausmaßes haben ebenfalls mehrere Jahrzehnte gebraucht, bis sie das Tageslicht erblickt haben. So wurde am Bürgerlichen Gesetzbuch ab Anfang der 70er Jahre des vorletzten Jahrhunderts formuliert, bis es dann 1896 in Kraft treten und zum 1.1.1900 erstmalig angewandt werden konnte. Ein solches Einigungswerk braucht eben seine Zeit. Gut Ding will Weile haben: aber ist das, was sich da am Horizont abzeichnet denn auch wirklich gut?

Bei der GKB stellt sich die derzeitige Lage wie folgt dar: Nach mehrjährigen ergebnislosen Diskussionen wurde der frühere Kommissionsvorschlag zur gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) aus dem Jahr 2011 zurückgezogen. Zwar hatte es Fortschritte und Unterstützung in einigen wichtigen Bereichen gegeben, die Diskussionen scheiterten jedoch an schwierigen Aspekten, insbesondere demjenigen der Konsolidierung. Am 25.10.2016 hat die Europäische Kommission dann erneut ein Konzept zur Einführung einer G(K)KB vorgelegt, das aus zwei Teilen besteht. Die beiden Vorschläge sehen ein zweistufiges Verfahren vor.

Um den zweiten Schritt vorwegzunehmen: Er betrifft die Konsolidierung, zu der keinerlei Arbeitsgruppensitzungen des Rats vorgesehen sind, solange der erste Schritt nicht vollzogen ist. Daher nun zum ersten Schritt, wonach die Einigung über eine GKB vorgesehen ist, also die Schaffung einer europäisch harmonisierten Gewinnermittlung für Unternehmen. Unter der österreichischen Präsidentschaft wurden hierzu drei Ratsarbeitsgruppensitzungen abgehalten. Außerdem stand die GKB drei Mal auf der Tagesordnung der hochrangigen Arbeitsgruppe (i.e. die für Steuern zuständigen Abteilungsleiter der nationalen Finanzministerien). Zu Beginn der österreichischen Präsidentschaft wurden die Vorschläge der deutsch-französischen Meseberg-Erklärung vom Juni 2018 analysiert und diskutiert. Danach hat sich der österreichische Ratsvorsitz auf die Kernelemente für eine Bemessungsgrundlage konzentriert und Kompromisstexte zum bisherigen GKB-Vorschlag vorgelegt, in denen er angeregt hat,

  • 1. den verbindlichen Anwendungsbereich der GKB auf alle Körperschaftsteuerpflichtigen auszuweiten und neue spezifische (aber grundsatzgestützte) Bestimmungen im GKB-Vorschlag für KMU und spezifische Sektoren zu prüfen,

  • 2. die vorgeschlagenen steuerlichen Anreize in Art. 9 Abs. 3 (steuerliche Forschungsförderung), Art. 11 (Eigenkapitalstärkung) und Art. 42 (zeitlich begrenzter Verlustausgleich) des GKB-Vorschlags aufzuschieben und später zu erörtern, sobald der technische Kern der gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage vereinbart worden ist,

  • 3. auch die Beratungen über Art. 5 des GKB-Vorschlags auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, da wesentliche Änderungen an diesem Artikel in dem Vorschlag der Kommission über eine signifikante digitale Präsenz enthalten sind und die diesbezüglichen Arbeiten in der OECD noch andauern.

Die rumänische Ratspräsidentschaft hat auf dieser Basis weitergearbeitet und einen erneuten Anlauf für die Einigung auf einen Rechtstext genommen. Am 6.6.2019 stellte sie nunmehr einen neuen Kompromiss-Entwurf vor (13730/16 FISC 170 IA 99 – COM(2016) 685 final). Insbesondere hat der rumänische Vorsitz eine Diskussion darüber in Gang gesetzt, wie hinsichtlich der bei den Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung gegebenen Überschneidungen zwischen den Richtlinien zur Bekämpfung der Steuervermeidung (ATAD I und II) und dem GKB-Vorschlag zu verfahren ist. Die meisten Mitgliedstaaten waren sich diesbezüglich einig, dass

  • 1. Art. 13 (Zinsschranke) sowie die Art. 53 und 54 („Switch-over-Klausel“ – Klausel über den Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode) unmittelbar mit der Berechnung der gemeinsamen Steuerbemessungsgrundlage verknüpft sind, wenngleich kein Einvernehmen über den anzustrebenden Harmonisierungsgrad bei der Zinsschranke besteht und einige Mitgliedstaaten die Aufnahme einer Switch-over-Klausel nach wie vor ablehnen,

  • 2. der in der Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidung vorgesehene Harmonisierungsgrad in Bezug auf andere Vorschriften zur Bekämpfung der Steuervermeidung vorerst als ausreichend betrachtet werden kann, wenngleich kein Einvernehmen über die Frage besteht, ob die fraglichen Vorschriften Bestandteil der Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidung bleiben oder aber in den GKB-Richtlinienvorschlag aufgenommen werden sollten.

Auch gingen die Standpunkte der Mitgliedstaaten in der Kernfrage, ob der Geltungsbereich des GKB-Vorschlags auf alle Körperschaftsteuerpflichtigen ausgeweitet werden sollte oder nicht, weiterhin auseinander, was weitere Fortschritte auf technischer Ebene behindert. In der Tat lehnt die Mehrheit der Mitgliedstaaten eine solche Ausweitung des Geltungsbereichs weiterhin ab oder hat Vorbehalte dagegen, während einige – darunter Deutschland und Frankreich aufgrund des Mesebergpapiers zum GKB-Vorschlag vom Juni 2018 – den entgegengesetzten Standpunkt vertreten.

Spannend wird schließlich die Frage, wie sich die in Kapitel III. Nr. 15 bis 18 des Mesebergpapiers enthaltenen und bei der OECD als Pilar 2 diskutierten Vorschläge zur Einführung einer Mindestbesteuerung auswirken werden. Während diesbezüglich von der (aktuellen) finnischen und der kroatischen Präsidentschaft nicht viel erwartet werden kann, da die Diskussionen bei der OECD noch in ihren Anfängen begriffen sind, beabsichtigt Deutschland dem Vernehmen nach, seine Präsidentschaft, die bereits in einem knappen Jahr beginnt, steuerlich unter diesen „Stern“ zu stellen. Wie sich diese Vorschläge dann zu der ebenfalls anstehenden Reform der Hinzurechnungsbesteuerung in Deutschland verhalten bzw. wie die ATAD I und II dann eventuell geändert oder in die GKB zu integrieren sein werden, ist völlig unklar. Oder bleibt diese Aufgabe einer eventuellen ATAD III vorbehalten? In jedem Fall könnte die Diskussion zur Mindestbesteuerung ein wirkungsvolles politisches Moment für die Beförderung der GKB begründen.

Aus Sicht der Wirtschaft muss das freilich kein gutes Omen sein, da die GKB dann endgültig zu einem Vehikel für Steuererhöhungen verkommen wäre. Von der ursprünglichen Motivation, aus der EU einen attraktiven Steuerstandort zu machen, bliebe rein gar nichts mehr übrig, stattdessen: keine positiven steuerlichen Anreize und eine flächendeckende Steuererhöhung ohne Substanz-Escape. Nicht einmal zu einer grenzüberschreitenden Verlustverrechnung können sich die Mitgliedstaaten bislang durchringen, obwohl dies dem Grundgedanken des EU-Binnenmarktes Rechnung tragen würde. Ein solches Gesamtpaket wäre nicht attraktiv sondern in höchstem Maße standortschädlich!

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 08.10.2019 10:27