16 / 2019

Dr. Thomas Wachter

Demnächst in Deutschland: Online-Gründung von GmbHs

Am 31.7.2019 ist die EU‑Richtlinie zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts in Kraft getreten (Art. 4 der Richtlinie (EU) 2019/1151 v. 20.6.2019, ABl. EU v. 11.7.2019, Nr. L 186, 80, mit der amtlichen Bezeichnung „Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht“). Damit ist das von der EU-Kommission erst vor gut einem Jahr mit dem Company Law Package eingeleitete Gesetzesvorhaben (COM (2018) 239 final v. 25.4.2018) erstaunlich schnell zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen (ausführlich zum Ganzen zuletzt u.a. Bormann/Stelmaszcyk, NZG 2019, 601; Kindler/Jobst, DB 2019, 1550; Knaier, GmbHR 2019, R132).

Ziel des Europäischen Gesetzgebers ist der „Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren“, um durch die Gründung von Gesellschaften oder die Errichtung von Zweigniederlassungen wirtschaftliche Aktivitäten „einfacher, rascher und (...) effizienter“ einleiten zu können (EG Nr. 2). Darüber hinaus soll die Nutzung digitaler Technologien während des gesamten „Lebenszyklus“ der Gesellschaft durch die Möglichkeit der Online-Einreichung von Urkunden gefördert werden (Art. 13j und EG Nr. 26).


Umsetzung in Deutschland

Der deutsche Gesetzgeber muss die Richtlinie nunmehr innerhalb von zwei Jahren in das nationale Recht umsetzen (Art. 2 Abs. 1, sofern er von der Verlängerungsoption um ein Jahr nach Art. 2 Abs. 3 i.V.m. EG Nr. 42 keinen Gebrauch macht). Für das deutsche GmbH-Recht mit seiner über 125-jährigen „analogen“ Geschichte dürfte der Sprung in das digitale Zeitalter durchaus einer kleinen Revolution gleichkommen.

Herzstück der Richtlinie ist die vollständige Online-Gründung von Kapitalgesellschaften.

Eine solche Möglichkeit gibt es in Deutschland bislang nicht. Die Errichtung einer GmbH setzt in Deutschland seit jeher voraus, dass die Gesellschafter (bzw. deren Bevollmächtigte) und die Geschäftsführer „physisch“ bei einem Notar anwesend sind (s. §§ 2 ff., 8 GmbHG; § 12 HGB und §§ 8 ff., 40 BeurkG). Eine Beurkundung oder Beglaubigung ohne eine solche persönliche Anwesenheit ist unzulässig (zur Fernbeglaubigung s. statt vieler Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019, § 39a Rz. 30, § 40 Rz. 34 und 86, m.w.N.).

Künftig muss es möglich sein, die „Online-Gründung von Gesellschaften vollständig online“ durchzuführen, „ohne dass der Antragsteller persönlich“ vor einem Notar oder dem Registergericht erscheinen muss (Art. 13g Abs. 1 und EG Nr. 8). Die „physische Anwesenheit“ kann nur noch „im Einzelfall“ (nicht jedoch systematisch) verlangt werden. Dafür müssen Anhaltspunkte für einen Verdacht auf Identitätsfälschung oder auf Verstöße gegen die Vorschriften über die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Antragssteller und ihrer Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft vorliegen (Art. 13g Abs. 8 und EG Nr. 21). Die notarielle Beurkundung und Beglaubigung im Zusammenhang mit einer GmbH-Gründung wird somit ab dem 1.8.2021 online erfolgen können.


Rechtssichere Online-Gründung von Kapitalgesellschaften

Der deutsche Gesetzgeber steht dabei vor der Herausforderung, einerseits die Möglichkeit einer reinen Online-Gründung einzuführen und andererseits die Rechtssicherheit des Geschäftsverkehrs nicht zu gefährden. Dabei muss in jedem Fall verhindert werden, dass es bei der Eintragung von Gesellschaften im Handelsregister zu „Betrug“, „Unternehmensidentitätsdiebstahl“ oder sonstigen Fällen von „Missbrauch“ kommt (s. EG Nr. 3, 20 und 37). Das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Handelsregisters ist für das Gesellschaftsrecht von überragender Bedeutung. Der Europäische Gesetzgeber hat dies bereits vor über 50 Jahren mit der ersten Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zur Publizität des Handelsregister bestätigt (Erste RL 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 und heute Teil der Gesellschaftsrechtsrichtlinie (EU) 2017/1132 v. 14.6.2017, ABl. EU Nr. L 169, 46).

In Deutschland besteht daher Einigkeit, dass die Sicherheit des Rechtsverkehrs nur bei einer Kombination von elektronischer und audiovisueller Identifizierung (beispielsweise mittels Videokonferenzen, s. EG Nr. 22) gewährleistet werden kann (s. nur Bormann/Stelmaszcyk, NZG 2019, 601, 607 ff.; Kindler/Jobst, DB 2019, 1550, 1551 ff.; Lieder, NZG 2018, 1081, 1087 ff.; Teichmann, ZIP 2018, 2451, 2455 ff.). Aktuelle Presseberichte über Betrugsfälle bei der Videoidentifizierung beim (vermeintlich sicheren) Online-Banking zeigen, dass die mit der Online-Gründung verbundenen Risiken auf keinen Fall unterschätzt werden dürfen. Das Vertrauen in das Handelsregister lässt sich, wenn es einmal zerstört ist, kaum wieder herstellen. Der deutsche Gesetzgeber sollte daher einen hohen Sicherheitsstandard anstreben. Die entsprechenden (rechtlichen, organisatorischen und technischen) Rahmenbedingungen sollten dabei möglichst nicht unmittelbar im Gesetz, sondern in Rechtsverordnungen oder Richtlinien geregelt werden. Nur dann ist eine schnelle Anpassung an neue technische Entwicklungen möglich. Bei der Umsetzung in Deutschland sollten auch die Erfahrungen in Österreich mit den dort bereits seit Anfang 2019 geltenden Regelungen berücksichtigt werden (s. Elektronische Notariatsform-Gründungsgesetz – ENG, Bundesgesetz öBGBl. I Nr. 71/2018, und Notar-E-Identifikations-Verordnung – NEIV, Verordnung öBGBl. II Nr. 1/2019, Volltexte auch unter ris.bka.gv.at).


Noch viele offene Fragen

Die neue Möglichkeit der Online-Gründung wirft zahlreiche Fragen auf, die im Rahmen des deutschen Gesetzgebungsverfahrens sorgfältig erörtert werden müssen. Dazu gehören u.a. auch die folgenden Themen:

  • Die Online-Gründung tritt neben die weiterhin bestehende Möglichkeit der klassischen Gründung mit physischer Präsenz beim Notar. Die Gründer können künftig zwischen beiden Verfahren frei wählen. Zulässig dürfte auch eine Kombination der Verfahren in der Form sein, dass ein Beteiligter physisch beim Notar anwesend ist und die anderen Beteiligten online zugeschaltet sind. Die nicht anwesenden Parteien müssen sich dabei nicht alle am selben Ort (in Deutschland) aufhalten, sondern können auch von unterschiedlichen Orten (im In- und Ausland) miteinander verbunden werden. Die nicht anwesenden Beteiligten müssen sich auch nicht etwa bei einem (anderen) Notar befinden, sondern können die Online-Gründung von einem beliebigen Ort aus vornehmen (etwa zu Hause auf der Couch oder im Urlaub am Strand). Voraussetzung ist aber in allen Fällen, eine sichere und ununterbrochene Bild- und Tonverbindung zwischen allen Beteiligten.

  • Die Identifizierung der Beteiligten, die Feststellung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit und die Prüfung der Vertretungsbefugnisse gehört grundsätzlich zu den höchstpersönlichen Aufgaben des Notars. Daran wird sich auch im Zeitalter der Digitalisierung nichts ändern. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Notar bei der Online-Gründung auf (möglicherweise besonders geschulte und zertifizierte) Mitarbeiter oder Dienstleister zurückgreifen darf.

  • Bei der Online-Gründung wird es wohl weiterhin (auch) eine Gründungsurkunde in Papier geben, die zumindest von dem Notar unterzeichnet wird. Nicht ganz klar ist allerdings, wie die (digitalen) Unterschriften der nicht physisch anwesenden Beteiligten geleistet und (dauerhaft) dokumentiert werden. Allgemein wird zu klären sein, ob und inwieweit das Online-Gründungsverfahren aufgezeichnet werden darf bzw. muss. Dabei erscheint (nicht nur im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten und die Vorgaben des Datenschutzrechts) Zurückhaltung angebracht. Jede Aufzeichnung beeinträchtigt die Unbefangenheit der Beteiligten in der Beurkundungsverhandlung. Zudem stellen sich zahlreiche Folgefragen, etwa nach Art und Dauer der Aufbewahrung oder dem Zugriff auf Aufzeichnungen (durch die Beteiligten, Aufsichtsbehörden oder Gerichte). Der Vergleich mit der heutigen Präsenzbeurkundung spricht grundsätzlich gegen eine Aufzeichnung.

  • Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass die Gründung einer Kapitalgesellschaft vollständig online durchgeführt werden kann. Dies bedeutet aber nicht unbedingt auch, dass jeder Notar diese Gründungsvariante tatsächlich anbieten muss. Angesichts der erheblichen technischen und organisatorischen Voraussetzungen für eine Online-Gründung sollte der Gesetzgeber, den ansonsten geltenden Kontrahierungszwang insoweit lockern (s. § 4 BeurkG). In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, in welchen Einzelfällen ausnahmsweise die „physische Anwesenheit“ der Beteiligten verlangt werden kann. Diese Entscheidung dürfte allein dem jeweiligen Notar obliegen. Der Notar trifft seine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen. Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig (§ 15 BNotO).


Schrittweises Vorgehen des deutschen Gesetzgebers sinnvoll

Ab dem Jahr 2021 soll in Europa jede Gründung einer Kapitalgesellschaft vollständig online möglich sein. Nach den Vorstellungen des europäischen Gesetzgebers gilt dies gleichermaßen für kleine und große Gesellschaften, für innerstaatliche und grenzüberschreitende Gründungen, für Ein- und Mehrpersonengründungen, für in- und ausländische Gründer, für natürliche und juristische Personen sowie für Bar- und Sachgründungen. Diese Ziele sind sehr ambitioniert. Dies zeigt sich schon daran, dass selbst in Estland – dem viel gerühmten Vorreiter in Sachen Digitalisierung – Online-Gründungen bislang nur für eigene Staatsangehörige möglich sind, die sich zuvor mindestens einmal persönlich bei einer estnischen Behörde oder Botschaft identifiziert haben. Die Umsetzung der jetzt beschlossenen Richtlinie wird daher alle Mitgliedstaaten nicht nur rechtlich, sondern vor allem technisch vor enorme Herausforderungen stellen. Der flächendeckende Aufbau einer Infrastruktur für eine sichere und störungsfreie Online-Gründung in allen Mitgliedstaaten dürfte in zwei bzw. drei Jahren kaum zu bewerkstelligen sein. Dies zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen mit der Vernetzung der europäischen Handelsregister, die trotz jahrelanger Vorarbeiten immer noch nicht wirklich Realität sind (zur Offenlegung im Register s. auch Art. 16 der Richtlinie).

Der deutsche Gesetzgeber sollte bei der Umsetzung der Richtlinie daher sehr behutsam vorgehen und sich zunächst auf die zwingend notwendigen Themen beschränken. In einem ersten Schritt sollte die Möglichkeit der Online-Gründung nur für GmbHs (einschließlich Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt)) eröffnet werden, die im Wege der Bargründung errichtet werden. Für Aktiengesellschaften (einschließlich KGaA) sollte derzeit keine Online-Gründung vorgesehen werden. Sachgründungen erscheinen aufgrund der rechtlichen Komplexität für Online-Gründungen generell nicht geeignet. Zudem sollte die Online-Gründung generell nur solchen Antragstellern offenstehen, die an dem Verfahren selbst teilnehmen. Für ein Handeln von Bevollmächtigten besteht bei Online-Gründungen regelmäßig kein Bedarf. Auf diese Weise werden die mit dem Nachweis der Bevollmächtigung verbundenen Probleme zumindest für die Fälle der rechtsgeschäftlichen Vertretung vermieden (s. § 2 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 172 BGB). Die Richtlinie steht dem nicht entgegen (s. EG Nr. 15 und 25).


Qualifikation von Geschäftsführern

In Deutschland muss bislang jeder neu bestellte Geschäftsführer gegenüber dem Handelsregister persönlich versichern, dass in seiner Person keine Bestellungshindernisse bestehen (§§ 8 Abs. 3, 6 Abs. 2 GmbHG). Falsche Versicherungen sind strafbar (§ 82 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG).

Der europäische Gesetzgeber verlässt sich nicht allein auf die bloße Versicherung der Geschäftsführer, um deren Geeignetheit zu überprüfen. Vielmehr sollen die Registergerichte auch die Möglichkeit erhalten, Informationen über die mögliche Disqualifikation eines Geschäftsführers über das europäische System der Registervernetzung anzufordern (s. Art. 13i der Richtlinie und EG Nr. 23 und 24). In Deutschland verfügen die Registergerichte aber selbst nicht über entsprechende Informationen, sondern allenfalls das Bundeszentralregister und die (örtlichen) Gewerberegister. Der deutsche Gesetzgeber wird daher zumindest die Vernetzung der Register und die Möglichkeit des Informationsaustauschs neu regeln müssen.


Musterprotokoll und andere Muster

In Deutschland muss künftig ein zweisprachiges (deutsch/englisches) Muster für die Gründung von GmbHs zur Verfügung stehen (Art. 13h der Richtlinie). In diesem Zusammenhang könnte an das bestehende Musterprotokoll angeknüpft werden (§ 2 Abs. 1a GmbHG). Die Beschränkung auf höchstens drei Gesellschafter und einen Geschäftsführer wäre europarechtlich allerdings nicht zulässig. Die erforderliche Beurkundung kann auch bei Verwendung des Musters online erfolgen.


Fazit

Bereits in zwei Jahren soll die Gründung von GmbHs in Deutschland vollständig online möglich sein. Bis dahin bleibt noch viel zu tun. Alle Beteiligten müssen konstruktiv zusammenarbeiten, damit die deutsche GmbH auch in der digitalen Welt ein Erfolgsmodell bleibt.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 08.10.2019 10:30