19 / 2019

Prof. Dr. Volker Römermann, CSP

War das schon alles mit der „großen BRAO-Reform 2019“?

Das Eckpunktepapier des BMJV zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht

Lange angekündigt, durch umfangreiche Stellungnahmen von BRAK und DAV vorbereitet (dazu Römermann, GmbHR 2019, R104), liegt sie nun vor, die „große BRAO-Reform“, zumindest in den Grundzügen. Am 27.8.2019 veröffentlichte das BMJV „Eckpunkte für eine Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften“ (abrufbar unter www.bmjv.de). Die Reaktionen fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Während der DAV die Eckpunkte, die sich zu guten Teilen an einen von diesem Verband vorgeschlagenen Entwurf anlehnen, ausdrücklich begrüßt und als Vorboten für „ein modernes anwaltliches Berufsrecht“ feiert (Pressemitteilung des DAV vom 29.8.2019, abrufbar unter www.anwaltverein.de), ernten sie von der BRAK „viel Lob, aber auch Kritik“ (Pressemitteilung der BRAK vom 29.8.2019, abrufbar unter www.brak.de). Der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion gehen praktisch alle vorgeschlagenen Neuerungen viel zu weit (Joachim Jahn, CDU/CSU sperrt sich gegen fremde Geldgeber für Anwaltskanzleien, NJW-Onlinepräsenz v. 5.9.2019, abrufbar unter https://rsw.beck.de/cms/?toc=njw.root&docid=419730).

Ein solcher Befund ist Anlass genug, die vorgeschlagenen Änderungen des anwaltlichen Gesellschaftsrechts einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Dabei wird zwischen Inhalten zu differenzieren sein, bei denen das BMJV entschieden ist, dass etwas Neues kommen soll, und solchen, wo es aus Sicht des BMJV noch Diskussionsbedarf gibt.


Klare Sache? – Was kommen soll

Eindeutig verhält sich das Eckpunktepapier zu einem Gegenstand, der durchaus nicht trivial und vielleicht auch nicht mit den dürren Worten seiner Ziff. 3 hinreichend umrissen ist. Berufsausübungsgesellschaften aus Drittstaaten (WTO oder außerhalb WTO) sollen danach Rechtsdienstleistungen im deutschen und europäischen Recht erbringen können, wenn an ihnen zumindest ein deutscher oder europäischer Anwalt beteiligt ist, der die Leistungen persönlich erbringt. Das liest sich zunächst banal, deutsche Rechtsanwälte dürfen nun einmal im deutschen Recht beraten. Doch es geht gar nicht um den einzelnen Berufsträger als Leistungserbringer, sondern um die Gesellschaft als solche. Damit wird die gesellschaftsrechtliche Frage der Anerkennung von deren jeweiliger Rechtsform aufgeworfen. Wie sollte schließlich eine Gesellschaft, die vom deutschen Recht gar nicht anerkannt wird, berufsrechtlich zu irgendeiner eigenen Rechtsberatung befugt sein? Die Anerkennung von Rechtsformen außerhalb derjenigen in EU-Mitgliedstaaten muss eine besondere Grundlage haben, wie sie etwa der Deutsch-Amerikanischen Freundschafts‑, Handels- und Schifffahrtsvertrag von 1954 bildet (vgl. nur Dostal in Römermann, Münchener Anwaltshandbuch zur GmbH, 3. Aufl. 2019, § 26 Rz. 474 ff.). Fehlt es daran, geht auch die von den Eckpunkten postulierte Befugnis ins Leere.

Berufsausübungsgesellschaften sollen nach Ziff. 4 des Eckpunkte-Katalogs in einem von der BRAK geführten elektronischen Verzeichnis registriert werden. Damit wird auch die Gesellschafterstruktur der BGB-Gesellschaft erstmals transparent erfasst. Das könnte und sollte das Ende einer langen Rechtsprechungstradition werden, die mangels eines Registers mit Rechtsfiguren wie „Scheinsozietät“ operiert, um sog. „Scheinpartner“ persönlich in die Haftung zu nehmen. Wo sich das Publikum komplikationslos unterrichten kann, wer Partner ist, bleibt für derartige Konstruktionen kein Raum (vgl. nur Römermann in Römermann, 5. Aufl. 2017, § 8 PartGG Rz. 43 ff.). Ob es aber dann wirklich so kommt, ist offen. Im Zusammenhang mit der Partnerschaft, die mit dem Partnerschaftsregister im Grunde schon heute keinen Grund mehr bietet, über Rechtsschein nachzudenken, werden nämlich immer wieder in der Literatur Stimmen laut, die eine Art tatsachenüberlagernden Anschein annehmen und dadurch der Rechtsscheinhaftung immer neuen Odem einhauchen wollen (vgl. nur Offermann-Burckart, AnwBl. 2014, 366, 375).


Mehrstöckig und interprofessionell

Mehrstöckige Gesellschaften, d.h. die Beteiligung von Anwaltsgesellschaften an anderen Sozietäten, sollen endlich ermöglicht werden (Ziff. 8). Zuletzt hatte der Anwaltssenat des BGH dies de lege lata noch abgelehnt (BGH, Urt. v. 20.3.2017 – AnwZ (Brfg) 33/16, GmbHR 2017, 572 m. Komm. Römermann). Seine fernliegende Begründung: Die Beteiligung einer Gesellschaft, die im Partnerschaftsregister registriert ist, an einer Gesellschaft, die im Handelsregister erfasst ist, führe zu intransparenten Verhältnissen – die Beteiligung der bislang nirgendwo registrierten BGB-Gesellschaft indes nicht.

Interprofessionelle Sozietäten sollen in größerem Umfang als bisher zugelassen werden (Ziff. 9). Angehörige aller „vereinbaren“ Berufe, die im Zweitberuf auch durch Rechtsanwälte ausgeübt werden könnten, sollen mögliche Partner sein. Hiergegen hat die BRAK bereits Widerstand angekündigt (Pressemitteilung der BRAK vom 29.8.2019, abrufbar unter www.brak.de). Die Unabhängigkeit der Anwälte werde gefährdet. Der DAV beurteilt die Erweiterung hingegen positiv: Rechtsrat werde „besser – und billiger“ (Pressemitteilung des DAV vom 29.8.2019, abrufbar unter www.anwaltverein.de). Beides hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Wer einen Gesellschaftsvertrag eingeht, gibt freiwillig ein Stück Unabhängigkeit auf, wobei es ohne Relevanz ist, welchen Berufen die künftigen Kompagnons nachgehen. Derartige Bindungen ziehen Vor- und Nachteile nach sich. Nachteile liegen in den Einschränkungen der eigenen, bis dahin womöglich als unumschränkt empfundenen Entscheidungsgewalt. Vorteile sind etwa im Zugewinn von Know-how und Ressourcen zu sehen. Das alles muss abgewogen und sollte sorgsam überlegt werden. Eine Systematik, wonach Sozietäten stets als „schlecht“, Investoren und gewerbliche Unternehmer stets als „rechtsblind“ und andere Anwälte stets als „altruistisch“ zu beurteilen wären, hielte dem Praxistest nicht stand. Ebenso wenig ist die generelle Vermutung des DAV gerechtfertigt, die Leistungen würden – so die Pressemitteilung im Wortlaut! – „billiger“ und „besser“. Anwälte beraten nicht unbedingt „schlechter“ als ihre künftigen Mitgesellschafter, und „billiger“ wird es auch nicht zwingend (eine für einen Anwaltverein ohnehin überraschende Zielsetzung). Im Gegenteil, es könnte sogar teurer werden. Letztlich entscheidet der Markt, der in der Praxis dann doch ein besseres Gespür für ein adäquates Preis-/Leistungsverhältnis hat als die Verfasser berufsrechtlicher Texte.

Anforderungen an bestimmte Mehrheiten bei interprofessionellen Sozietäten soll es künftig nicht mehr geben (Ziff. 15). Das klingt spektakulärer als es ist. Hier wird im Grunde nur umgesetzt, was das BVerfG für einzelne Berufe vorgegeben hatte, ohne es – was eigentlich näher gelegen hätte – schon in der Entscheidung zum allgemeinen Prinzip zu erklären (BVerfG, Beschl. v. 14.1.2019 – 1 BvR 2998/11, NZG 2014, 481 m. Bespr. Römermann).


Unentschieden: Was diskutiert werden soll

„Soweit wie möglich“ sollen für die Berufsausübungsgesellschaften der Rechtsanwaltschaft einheitliche Regelungen geschaffen werden. Ob Personenhandelsgesellschaften und insbesondere die GmbH & Co. KG zugelassen werden sollen, werde „im Rahmen des für diese Legislaturperiode vorgesehenen Gesetzesvorhabens zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts geprüft“ (Ziff. 1 der Eckpunkte). Der unbefangene Leser, also derjenige, der nicht die jahrelangen qualvollen, ideologiegetränkten Debatten verfolgt hat über (das Gespenst der) „Kommerzialisierung“ und die (stets hoffnungslosen) Versuche von Definitionen und Abgrenzungen, was sich dem Freiberufler schicke und was einen Hauch zu viel Gewerblichkeit auftrage (insbesondere BGH, Urt. v. 18.7.2011 – AnwZ (Brfg) 18/10, AnwBl. 2011, 774 m. Anm. Römermann; BVerfG, Beschl. v. 6.12.2011 – 1 BvR 2280/11, GmbHR 2012, 341 m. Komm. Römermann; BGH, Urt. v. 15.7.2014 – II ZB 2/13, GmbHR 2015, 1197 m. Komm. Römermann), staunt. Steuerberater dürfen schon nach dem Wortlaut ihres Berufsgesetzes die GmbH & Co. KG gründen, Anwälte nicht. Was könnte, rational, unideologisch, nüchtern betrachtet, eigentlich dagegen sprechen, Rechtsanwälten eine für Unternehmen jeder Couleur mögliche Rechtsform zu öffnen? Nie konnte ein echter Grund gefunden werden, auch nicht nach jahrzehntelanger Suche.

Nun will das BMJV also weiter forschen und nicht etwa schlank durch simple Ergänzung der BRAO – analog zu § 49 StBerG – das einführen, was nach Art. 12 GG, der Berufsfreiheit also, eigentlich längst geboten ist, zumal Gemeinwohlbelange offensichtlich nicht entgegenstehen. Die Zulassung soll, wenn sie denn politisch gewünscht sein sollte, in eine Reform des Personengesellschaftsrechts eingebettet werden. Die wiederum soll, wenn es die Unwägbarkeiten der politischen Verhältnisse in der Endphase der Legislaturperiode gestatten, noch kommen. Sogar eine solche Selbstverständlichkeit wird also nicht einfach umgesetzt, sondern das Thema von diesem auf einen anderen Tisch geschoben.


Aktive, natürliche, mittellose Gesellschafter

Gesellschafter einer Anwaltsgesellschaft soll nur eine natürliche Person sein dürfen, die ihren Beruf aktiv in der Kanzlei ausübt (Ziff. 6). Eine gewisse, begrenzte, Lockerung des Verbots reiner Kapitalbeteiligungen soll diskutiert werden. Wenn das zugelassen würde, etwa für nicht mehr aktive Berufsangehörige, müssten, so heißt es, ergänzende Vorschriften die Unabhängigkeit und Einhaltung von Berufspflichten besonders sichern. Auch hier werden Themen berührt, die seit einem Vierteljahrhundert auf der Agenda stehen, ohne dass sichtbare Fortschritte erkennbar geworden wären. Was „aktiv“ konkret bedeutet – reicht etwa Akquise durch Seniorpartner in Großkanzleien? –, ist undefinierbar (näher Römermann in Römermann, 5. Aufl. 2017, § 1 PartGG Rz. 43 ff.). Warum es die „Unabhängigkeit“ beeinträchtigen könnte, wenn sich ältere Partner zurückziehen, bleibt rätselhaft. Neue Verbote schon anzukündigen, wenn eine punktuelle Lockerung erwogen wird, eröffnet Felder für unproduktive Debatten. Während die Anwälte auf der Stelle treten, sind nichtanwaltliche Anbieter auf dem Rechtsberatungsmarkt erschienen, die eine professionelle Lösung von Rechtsproblemen vorschlagen und zugleich unbegrenzt Fremd- und Eigenkapital aufnehmen dürfen, um etwa digitalisierte, smarte und hochintelligente Verfahren entwickeln zu können.

Ebenso soll geprüft werden, ob reine Kapitalbeteiligungen mit dem Ziel eröffnet werden können, Wagniskapital für LegalTechs mit hohen Anfangsinvestitionen für „neue Rechtsdienstleistungsangebote“ zu erschließen (Ziff. 7). Neue Angebote sollen also auf frisches Geld zugreifen dürfen, klassische anwaltliche Berater hingegen nicht. Ist das zu rechtfertigen? Wer definiert, was als „neues“ Angebot gilt? Sicher ist die flächendeckende Einführung von Erfolgshonorar bei LegalTechs „neu“, aber das dürfen doch weiterhin nach den Plänen des BMJV nur die nichtanwaltlichen LegalTechs. Warum darf nur derjenige Rechtsanwalt Investoren begeistern, der „wagt“, und nicht derjenige, der einen klassischen, soliden Ansatz verfolgt? Richtig ist: Jegliche Bevormundung von anwaltlichen Unternehmen, welches Geschäftsmodell sie mit welcher finanziellen Ausstattung begründen dürfen, sollte unterbleiben. Anwälten sollten sämtliche allgemein legalen Finanzierungsquellen zu Gebote stehen. Wird ihnen das versagt, so werden sie schon in Ermangelung hinreichender Mittel den Wettstreit um das attraktivste Angebot im Beratungsmarkt verlieren. So wird es wohl kommen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt sich in einer ersten Stellungnahme „entschieden gegen jede Aufweichung des Verbots von Kapitalbeteiligungen durch externe Investoren an Anwaltskanzleien“ (Joachim Jahn, NJW-Onlinepräsenz v. 5.9.2019, abrufbar unter https://rsw.beck.de/cms/?toc=njw.root&docid=419730) und lehnt sogar die vorsichtigen Überlegungen des Eckpunktepapiers als zu weitgehend ab.


Fazit

Das soll sie schon gewesen sein, die „große BRAO-Reform“ des Jahres 2019? Das BMJV hat entdeckt, dass es Anwaltsgesellschaften gibt, nun sollen auch sie ein beA einrichten dürfen. Ein paar Kanzleien dürfen womöglich ein wenig Kapital für bestimmte Zwecke unter näheren Bedingungen und einschneidenden Einschränkungen aufnehmen, aber bitte nicht so viel, dass sich die Inkassounternehmen, die in rasantem Tempo den Beratungsmarkt übernehmen, erschrecken könnten, und – wenn die CDU/CSU-Fraktion sich durchsetzt – am besten gleich gar nichts. Das anwaltliche Berufsrecht dreht Pirouetten und schlägt ideologisch motivierte Schlachten. Der Mandant, längst aus dem Blick geraten, wendet sich derweil anderen Anbietern zu, die rasch, unkompliziert und hochprofessionell seine Probleme lösen.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 08.10.2019 10:43