21 / 2019

Dr. Christian Brand

Das neue Verbandssanktionengesetz – Reform mit Augenmaß oder Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Bislang hat sich der deutsche Gesetzgeber dem weltweiten Trend zur Schaffung eines Verbandsstrafrechts erfolgreich widersetzt. Anläufe, auch in Deutschland eine Verbandsstrafbarkeit einzuführen, gab es zwar immer wieder. Wie der aus Nordrhein-Westphalen stammende Vorschlag verliefen sie jedoch stets im Sande. Trotz dieser Rückschläge blieben die Verfechter eines Verbandsstrafrechts aus Wissenschaft und Praxis hartnäckig und unterbreiteten der Fachöffentlichkeit zahlreiche Vorschläge eines künftigen Verbandsstrafrechts. Davor konnte auch der Gesetzgeber die Augen nicht länger verschließen und so hat nach dem Sprichwort „steter Tropfen höhlt den Stein“ das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Mitte August den Ball aufgenommen und den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ vorgestellt.


Das „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“

Zentrale Vorschrift des „Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ ist § 3 E-VerSanG. Die Vorschrift des § 3 E-VerSanG regelt unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, gegen einen Verband i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 E-VerSanG eine Verbandssanktion zu verhängen. Zwei Anknüpfungspunkte sieht § 3 Abs. 1 E-VerSanG vor: Zum einen die Verbandsstraftat (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 E-VerSanG), die jemand als Leitungsperson (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 E-VerSanG) begangen hat (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 E-VerSanG), zum anderen die von irgendeinem Unternehmensangehörigen in Wahrnehmung der Verbandsangelegenheiten verwirklichte Verbandsstraftat, deren Begehung verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre, hätten die Leitungspersonen angemessene organisatorische Vorkehrungen getroffen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 E-VerSanG). Unter einer Verbandsstraftat versteht der Entwurf gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 E-VerSanG jede Straftat, durch die entweder Pflichten des Verbands verletzt wurden oder der Verband bereichert wurde bzw. werden sollte.

Die Rechtsfolgen einer so hergestellten Verbandsverantwortlichkeit finden sich im dritten Teil des Entwurfs. Dort listet § 8 E-VerSanG abschließend die drei möglichen Verbandssanktionen auf: die Verbandsgeldsanktion, die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt sowie die Verbandsauflösung. Gegenüber den bisher möglichen, auf die §§ 30, 130 OWiG gestützten Bußgelder hat der „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ den Sanktionsrahmen deutlich angehoben. Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und deren durchschnittlicher Jahresumsatz hundert Millionen Euro übersteigt, kann gem. § 9 Abs. 2 E-VerSanG für vorsätzliche Verbandsstraftaten eine Verbandsgeldsanktion i.H.v. bis zu 10 % und für fahrlässige Verbandsstraftaten i.H.v. bis zu 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes auferlegt werden.

Da der Sanktionsrahmen, den sowohl § 9 Abs. 1 E-VerSanG als auch erst recht § 9 Abs. 2 E-VerSanG umreißt, enorme Ausmaße hat – der Rahmen, den § 9 Abs. 2 Nr. 1 E-VerSanG absteckt, reicht von mindestens zehntausend Euro bis höchstens 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes –, der Richter also einen schier unerschöpflichen Spielraum besitzt, welches die angemessene Verbandsgeldsanktion für die begangene Verbandsstraftat ist, sieht § 16 Abs. 2 Satz 2 E-VerSanG einen umfassenden Katalog an Kriterien vor, die die konkrete Höhe der Verbandsgeldsanktion bestimmen. Neben aus der klassischen Strafzumessungslehre bekannten Kriterien wie den Beweggründen und Zielen des Täters, den Auswirkungen der Verbandsstraftat und der Ausführungsart sind gem. § 16 Abs. 2 Nr. 6, 7 E-VerSanG auch zu berücksichtigen die Vorkehrungen, die der Verband im Vorfeld der Verbandsstraftat getroffen hat, um solche Taten zu vermeiden oder wenigstens frühzeitig aufzudecken sowie das nachträgliche Bemühen des Verbands die Verbandsstraftat aufzuklären und den Schaden wiedergutzumachen. Damit anerkennt der Gesetzgeber ausdrücklich die Installation von Compliance-Systemen auf Verbandsebene als sanktionszumessungsrelevanten Grund. Auch das Durchführen von verbandsinternen Untersuchungen wertet der „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ deutlich auf. Gemäß § 18 Abs. 1 E-VerSanG kann das Gericht die Verbandssanktion mildern, wenn die verbandsinternen Untersuchungen zur Aufklärung der Verbandsstraftat beigetragen haben, der Aufklärer nicht zugleich als Verteidiger des Verbands oder des Beschuldigten einer Verbandsstraftat tätig war, der Verband mit den Verfolgungsbehörden ununterbrochen und uneingeschränkt zusammengearbeitet sowie das Ergebnis der Untersuchung den Verfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt hat und die verbandsinternen Untersuchungen sowohl die Grundsätze eines fairen Verfahrens als auch die geltenden Gesetze beachtet haben. Führt der beschuldigte Verband die internen Untersuchungen diesen Kautelen folgend durch, belohnt ihn § 19 E-VerSanG reichlich: Das gem. § 9 E-VerSanG vorgesehene Höchstmaß der Verbandsgeldsanktion reduziert sich um die Hälfte, das Mindestmaß entfällt und die Verbandsauflösung gem. § 14 E-VerSanG sowie die Bekanntmachung der Verbandsverurteilung gem. § 15 E-VerSanG sind ausgeschlossen.

Teil 5 des „Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ regelt schließlich Verfahrensfragen. Ausgangspunkt ist § 25 Abs. 1 E-VerSanG, dem zufolge die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren entsprechend gelten, soweit das „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ nichts anderes bestimmt. Umfassend regelt das „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ die Vertretung des Verbands im Sanktionsverfahren (vgl. §§ 29, 30 E-VerSanG) sowie die Rechte der gesetzlichen Vertreter (vgl. § 34 E-VerSanG). Auch die Voraussetzungen, unter denen die Strafverfolgungsbehörden aus Opportunitätserwägungen von der Verfolgung des Verbands absehen dürfen, normiert das „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ abweichend von den §§ 153, 153a StPO, da die Verbandsverantwortlichkeit von einem Verbandsverschulden unabhängig ist, geringe Schuld hier also eine Einstellung nicht trägt.


Kritik am „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ und ihre Berechtigung

Was lange währt, wird endlich gut? Ob es gerechtfertigt ist, den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ vom 15.8.2019, den das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Ressortabstimmung vorgelegt hat, unter dieses Motto zu stellen, erscheint – betrachtet man die ersten Stellungnahmen aus dem Schrifttum (s. etwa Dierlamm, StV 11/2019, I; zurückhaltender Krakow/Ruhmannseder, F.A.Z. v. 2.10.2019, S. 18) – alles andere als eindeutig. Kritik hat vor allem § 9 Abs. 2 E-VerSanG hervorgerufen. Die Kritiker monieren, der Entwurf differenziere bei der Höhe der Verbandsgeldsanktion nicht hinreichend deutlich zwischen verschieden großen Unternehmen. Ab Erreichen einer durchschnittlichen Jahresumsatzschwelle von mehr als einhundert Millionen Euro bereits die Möglichkeit vorzusehen, eine Verbandsgeldsanktion i.H.v. 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes zu verhängen, sei unverhältnismäßig und stelle ohne rechtfertigenden Grund mittlere und große Unternehmen gleich (s. zur Kritik Saliger/Tsambikakis, BB 40/2019, Die Erste Seite). Angesichts des weiten Sanktionsrahmens, den § 9 Abs. 2 E-VerSanG offeriert und der bei vorsätzlichen Verbandsstraftaten von zehntausend Euro bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes reicht, erscheint die Kritik freilich etwas übertrieben. Warum es den Gerichten nicht gelingen soll, die Größe des Verbands als sanktionszumessungsrelevanten Faktor bei der Festsetzung der Verbandsgeldsanktion in ihre Entscheidung einfließen zu lassen, sagen die Kritiker nicht. Prima vista überzeugend ist dagegen der Vorschlag, kleinere Verbände aus dem Einzugsbereich des „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ herauszunehmen (näher dazu Saliger/Tsambikakis, BB 40/2019, Die Erste Seite; vgl. auch Baur/Holle, ZRP 2019, 186, 188 f.). Eine solche Privilegierung bestimmter Verbände wäre auch kein gesetzliches Novum, wie § 15a Abs. 7 InsO zeigt, der Vereine und Stiftungen von der strafbewehrten Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO befreit.

Vor dem Hintergrund allgemeiner Kritik an einem Verbandsstrafrecht (instruktiv Frisch in FS Wolter, 2013, S. 349, 352 ff.) problematischer ist indes die Konstruktion der Verbandsverantwortlichkeit nach dem „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Bereits die Begehung einer Verbandsstraftat durch eine Leitungsperson soll bei Bestehen eines inneren Zusammenhangs zwischen der Verbandsstraftat und der Stellung der Leitungsperson die Verbandsverantwortlichkeit auslösen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 E-VerSanG). Ein eigenes Verschulden des Verbands fordert § 3 Abs. 1 Nr. 1 E-VerSanG hingegen nicht. Damit bildet § 3 Abs. 1 Nr. 1 E-VerSanG insofern einen Fremdkörper im überkommenen Sanktionenrecht, als er vorsieht, dem Verband eine zwischen Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht changierende (zu dieser Einordnung s. auch Baur/Holle, ZRP 2019, 186, 187) Sanktion für fremde Schuld – nämlich die der Leitungsperson – aufzuerlegen.

Nachbesserungsbedarf besteht beim Kreis der Verbände, die Adressaten einer Verbandssanktion sein können. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 E-VerSanG, die den Verbandsbegriff näher konturiert, erwähnt nämlich mit keinem Wort die Vor-Verbände, die weder juristische Personen noch rechtsfähige Personengesellschaften, sondern Verbände sui generis sind. Dass der Gesetzgeber diese Verbände sanktionsfrei stellen wollte, erscheint ausgeschlossen. Allerdings geht es nicht an, die Reichweite des Gesetzes teleologisch auszudehnen und Vor-Verbände dem § 2 Abs. 1 E-VerSanG zu subsumieren. Auch wenn das „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ kein Strafrecht im engeren Sinne normiert, dürfte Art. 103 Abs. 2 GG einem solchen Vorgehen entgegenstehen.


Ziel verfehlt?

Dass der „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ sein vorrangiges Ziel, „eine angemessene Ahndung von Verbandsstraftaten zu ermöglichen“ (RefE, S. 1), verfehlt hätte, kann man nicht sagen. Vielmehr bildet der Entwurf eine solide Diskussionsgrundlage, auf deren Basis sich weiterarbeiten lässt.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 18.11.2019 12:33