22 / 2019

Dr. Thomas Wachter

Die neuen Erbschaftsteuer-Richtlinien sind da – wo sind die Hinweise?

ErbSt-Richtlinien 2019

Am 11.10.2019 hat der Bundesrat den Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019 zugestimmt (BR-Drucks. 387/19 [Beschluss]). Die ErbStR 2019 sind grundsätzlich (rückwirkend) auf alle Erwerbsfälle anzuwenden, für die die Steuer nach dem Tag der Beschlussfassung der Bundesregierung (= 21.8.2019) entsteht (s. Abschnitt I. [2] ErbStR 2019).

Mit den ErbStR 2019 sollen die Verwaltungsvorschriften wieder auf den aktuellen Stand gebracht werden. Die bisherigen ErbStR 2011 waren in wesentlichen Teilen überholt. Dies gilt insbesondere für das Unternehmens-Erbschaftsteuerrecht, das durch das „Gesetz zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.11.2016“ (BGBl. I 2016, 2464) neu geregelt worden ist. Die bislang dazu ergangenen Anwendungserlasse der Finanzverwaltung (BStBl. I 2017, 902) wurden weitgehend unverändert in die neuen ErbStR 2019 übernommen. Die bayerische Finanzverwaltung konnte sich dabei mit ihren abweichenden Auffassungen nicht durchsetzen (s. zum einen R E 13b.27 Sätze 1 und 8 sowie R E 13.29 Abs. 4 ErbStR 2019 zum jungen Verwaltungsvermögen bei konzerninternen Umstrukturierungen und zum anderen R E 28a Abs. 2 Satz 6 ErbStR 2019 zur Minderung des verfügbaren Vermögens durch die auf den Erwerb anfallenden Steuern beim Steuererlass für Großerwerbe). Die neuen ErbStR 2019 gelten somit wieder bundesweit einheitlich.

Für die (berechtigten) Änderungsvorschläge des Finanzausschusses (BR-Drucks. 387/1/19 vom 30.9.2019) fand sich im Bundesrat gleichfalls keine Mehrheit. Die besonders problematischen Regelungen zu den jungen Finanzmitteln (R E 13b.29 Abs. 3 ErbStR 2019) und zum jungen Verwaltungsvermögen (R E 13b.29 Abs. 4 ErbStR 2019) blieben trotz aller Kritik inhaltlich unverändert (ausführlich dazu u.a. Diers, DB 2019, 572; Reich, DStR 2019, 145). Die wundersame Vermehrung der jungen Finanzmittel dürfte allerdings (nicht nur für die Finanzverwaltung) ein Traum bleiben und einer gerichtlichen Prüfung kaum Stand halten. Die neuen ErbStR 2019 verfehlen damit in einem zentralen Punkt das selbstgesteckte Ziel einer „verbindliche(n), übersichtliche(n) und praxisgerechte(n) Regelung“ (BR-Drucks. 387/19 vom 21.8.2019, S. 1). Vielmehr wird hier viele Jahre keine Rechts- und Planungssicherheit einkehren.


Hat sich das Warten gelohnt?

Die Verabschiedung der ErbStR hat sich – wie schon so oft bei Änderungen des Erbschaftsteuerrechts – wieder einmal erheblich verzögert. Ursprünglich sollten die neuen ErbStR bereits im Jahr 2018 in Kraft treten. Kurz vor Weihnachten 2018 hat das Bundesfinanzministerium dann immerhin einen Entwurf der neuen ErbStR veröffentlicht. Die Verbände sollten bis zum 24.1.2019 Stellung nehmen. Die kurz bemessene Frist deutete auf eine baldige Beschlussfassung hin. Allerdings passierte (jedenfalls soweit sich dies von außen beurteilen lässt) mehr als ein halbes Jahr erst einmal nichts. Erst am 21.8.2019 beschloss die Bundesregierung dann die neuen ErbStR 2019. Selbst Vertreter der Finanzverwaltung können die bedauerlichen Verzögerungen nicht erklären (s. etwa Mannek in Fachinstitut der Steuerberater (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 2018/2019, S. 255, 257).

Schlimmer als die zeitliche Verzögerung ist aber, dass sich das Warten in der Sache nicht gelohnt hat. Die jetzt beschlossene Fassung der ErbStR 2019 unterscheidet sich so gut wie nicht von dem im Dezember 2018 vorgelegten Entwurf. Die zahlreichen Stellungnahmen zu dem Entwurf wurden praktisch nicht berücksichtigt (Volltexte unter www.bundesfinanzministerium.de). Die interessanten Anregungen aus Wissenschaft und Praxis (s. etwa Korezkij, DStR 2019, 137; Stalleiken, DB 2019, 87; Weber/Schwind, ZEV 2019, 56; Winter, ZEV 2019, 128) fanden gleichfalls kein Gehör. Ein solches Verfahren ist kein guter Beweis für den ergebnisoffenen Diskurs in einem Rechtsstaat.

Schwer erklärlich ist auch, warum die zeitlichen Verzögerungen bei der Verabschiedung der ErbStR 2019 durch deren rückwirkendes Inkrafttreten kompensiert werden sollen. Ein sachlicher Grund dafür ist nicht ersichtlich. Die ErbStR 2019 sorgen auch insoweit für (vermeidbare) Rechtsunsicherheit.

Wo sind die Hinweise?

Die ErbStR werden traditionell in einer Sondernummer von Teil I des Bundessteuerblatts bekannt gemacht (s. ErbStR 2011, BStBl. I 2011, Sondernummer 1). Dabei werden die Richtlinien (eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, Art. 108 Abs. 7 GG) und die Hinweise (als gleichlautende Ländererlasse) zusammen veröffentlicht. Richtlinien und Hinweise bilden in der Praxis eine Einheit. Vielfach sind Richtlinien und Hinweise inhaltlich aufeinander abgestimmt und ergänzen sich gegenseitig. Manche Bestimmungen der Richtlinien sind ohne die Beispiele in den Hinweisen kaum verständlich. Die Hinweise machen rund die Hälfte des Umfangs aus.

Die Richtlinien wurden jetzt beschlossen, nicht aber auch die Hinweise. Die Hinweise liegen bis heute nicht vor (nicht einmal im Entwurf). Dem Vernehmen nach wurden die Hinweise bislang auch noch nicht abschließend beraten. Eine entsprechende Einigung soll möglicherweise auf der nächsten Bund-Länder-Sitzung im Dezember 2019 erfolgen.

Das Verfahren ist auch insoweit mehr als ungewöhnlich. Es bleibt abzuwarten, ob die ErbStR 2019 unter diesen Umständen jetzt schon (ohne die Hinweise) im Bundessteuerblatt veröffentlicht werden. Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen Richtlinien und Hinweisen wäre eine gemeinsame Veröffentlichung naheliegend (dann aber wohl erst im Jahr 2020). Bei einer derart späten Bekanntmachung dürfte die Zulässigkeit der Rückwirkung aber mehr als kritisch zu beurteilen sein.


Inhaltlich viele offene Fragen

Die neuen ErbStR 2019 sind inhaltlich kein großer Wurf. Die bestehenden ErbStR 2011 wurden unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungserlasse fortentwickelt. Grundlegende Änderungen sind nicht erfolgt.

Viele für die Praxis wichtige Fragen bleiben unbeantwortet. Dies gilt beispielsweise für die umstrittene Frage, unter welchen Umständen die Übertragung von Anteilen an einer GmbH & Co. KG unter Vorbehaltsnießbrauch steuerlich begünstigt ist (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, s. dazu im Zusammenhang mit einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zuletzt BFH, Urt. v. 8.5.2019 – VI R 26/17, DStR 2019, 2020, dort vor allem Rz. 19). Immerhin stellen die Richtlinien jetzt klar, dass die Weiterschenkung begünstigt erworbenen Vermögens unter Nießbrauchsvorbehalt kein Verstoß gegen die Behaltensregelungen ist (R E 13a.12 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 ErbStR 2019).

Die Richtlinien sehen keine Möglichkeit vor, den missglückten 90 %-Test beim Verwaltungsvermögen einzuschränken (s. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Dabei haben bereits erste FG verfassungsrechtlichen Bedenken an der Regelung geäußert (s. FG Münster, Urt. v. 3.6.2019 – 3 V 3697/18 Erb, ZEV 2019, 551 mit Anm. Reich).

Die neue Entscheidung des BFH zu Poolverträgen bei GmbH-Geschäftsanteilen ist in den ErbStR 2019 (noch) nicht berücksichtigt (BFH, Urt. v. 20.2.2019 – II R 25/16, GmbHR 2019, 844, ausführlich Fuhrmann, NZG 2019, 1016). Es bleibt daher unklar, ob die Finanzverwaltung weiterhin an dem Schriftformerfordernis (R E 13b.6 Abs. 6 ErbStR 2019) festhält. Die Einbringung von gepoolten Anteilen soll künftig nicht mehr nachsteuerschädlich sein, wenn die übernehmende Gesellschaft in gleicher Weise wie der Erwerber an die Poolvereinbarung gebunden ist (R E 13a.17 Abs. 3 Satz 1 HS 2 ErbStR 2019). In der Gestaltungspraxis sollte daher ein ausdrücklicher Eintritt in den Poolvertrag vorgesehen werden.


Mangelnde Abstimmung

Die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern im Bereich der Erbschaftsteuer verlaufen offenbar auch sonst nicht immer ganz reibungslos. Der Bundesrat hat nahezu zeitgleich mit der Verabschiedung der neuen ErbStR 2019 zahlreiche Vorschläge für eine Änderung des ErbStG unterbreitet (s. BR-Drucks. 356/19 [Beschluss] vom 20.9.2019, S. 101 bis 121). Es hätte sich angeboten, die Streitpunkte untereinander abzustimmen und zusammen zu behandeln. Gesetzestext und Richtlinien passen auch in anderen Bereichen nicht immer ganz zusammen. Die steuerlichen Folgen des Brexit hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich geregelt (s. Art. 5 Brexit-Steuerbegleitgesetz – Brexit-StBG vom 25.3.2019, BGBl. I 2019, 357 = BStBl. I 2019, 223). Die ErbStR 2019 berücksichtigen dies aber noch nicht.


Anstelle eines Schlussworts

René Sobisch, Betriebsprüfer in NRW mit dem Schwerpunkt Erbschaft- und Schenkungsteuer, hat jüngst in einem Beitrag zum Immobilienverwaltungsvermögen geäußert (ErbStB 2019, 262, 266): „Der Steuerberater sollte sich darauf einstellen, dass die Finanzverwaltung wahrscheinlich verstärkte Aufmerksamkeit auf die Überprüfung von Unternehmensvermögenserwerben lenkt, denn aus Sicht des einzelnen Bundeslandes handelt es sich bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer um eine durchaus wichtige und lukrative Steuereinnahmequelle.“

Dem ist wenig hinzu zufügen. Allerdings mutet der Begriff „lukrativ“ in diesem Zusammenhang etwas befremdlich an. Jedenfalls sollte die Erzielung von Gewinnen für den Fiskus bei der Erhebung von Steuern (§ 3 AO) nicht maßgebend sein.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 18.11.2019 12:35