Niedersächsisches FG v. 19.2.2020 - 9 K 104/19

Widerlegung des Anscheinsbeweises für die private Nutzung eines betrieblichen Pkw durch den einzigen Kommanditisten

Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die auch zur Nutzung für private Zwecke zur Verfügung stehen, tatsächlich auch privat genutzt (sog. Beweis des ersten Anscheins). Nach gegenwärtiger Finanzgerichtsrechtsprechung kommt jedoch eine Erschütterung dieses Anscheinsbeweises dann in Betracht, wenn für Privatfahrten ein weiteres Fahrzeug zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung steht. Voraussetzung für eine solche Entkräftung ist jedoch, dass dieses Privatfahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar ist.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt seit 2005 ein Unternehmen im Bereich des Recyclings von Straßenbauabfällen, der Ausübung von Erd- und Tiefbauarbeiten, der Förderung von Kies und Sand, sowie der Herstellung von Mörtel und der Verkauf dieser und anderer Baustoffe jeglicher Art in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Der alleinige Kommanditist der Klägerin nutzte einen im Betriebsvermögen befindlichen, im Jahr vor dem Streitjahr 2013 neu angeschafften Pkw (Fiat Doblo Easy 2.0 16V Multijet; Kastenwagen) für betriebliche Zwecke, insbesondere für tägliche Fahrten zu den Betriebsstätten. Ein Fahrtenbuch wurde nicht geführt.

Im Rahmen einer Außenprüfung rügte der Prüfer den fehlenden Ansatz eines Privatanteils nach der 1%-Regelung. Das Vorhandensein eines Mercedes Benz C 280 T (Baujahr 1997) im Privatvermögen des Kommanditisten erschüttere den für die Privatnutzung sprechenden Anscheinsbeweis nicht, da dieses Fahrzeug weder in Bezug auf den Gebrauchswert (kein variables Sitzkonzept, geringeres Kofferraumvolumen, veraltete Technik aufgrund des Alters, höhere Laufleistung, geringerer Sicherheitsstandard, größere Reparaturanfälligkeit) noch im Hinblick auf den Status vergleichbar sei.

Entsprechend den Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht erließ das Finanzamt für das Streitjahr einen entsprechend geänderten Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Für die private Pkw-Nutzung wurde dabei ein Privatanteil i.H.v. 2.220 € (1 % von 18.500 € x 12) angesetzt. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt.

Die Gründe:
Zu Unrecht hat das Finanzamt einen Privatanteil für die unterstellte Privatnutzung des im Betriebsvermögen der Klägerin befindlichen Fiat Doblo Easy 2.0 16V Multijet angesetzt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).

Die allgemeine Lebenserfahrung spricht auch dann für eine private Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs, wenn dem Steuerpflichtigen zwar für private Fahrten ein Fahrzeug zur Verfügung steht, aber dieses Fahrzeug dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert nicht vergleichbar ist. Allerdings ist unter diesen Umständen der für eine private Nutzung sprechende Anscheinsbeweis umso leichter zu erschüttern, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen.

Unter Gebrauchswert ist - nach dem Wortsinn - der Wert einer Sache hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit, ihrer Eignung für bestimmte Funktionen und Zwecke, mit anderen Worten der Nutzwert zu verstehen. In diesem Zusammenhang können Umstände wie Motorleistung (PS), Hubraum, Höchstgeschwindigkeit und Ausstattung Berücksichtigung finden.

Unter dem Aspekt des Status eines Fahrzeuges sind vornehmlich Prestigegesichtspunkte zu berücksichtigen. Der für eine Privatnutzung des Fiat Doblo Easy 2.0 16V Multijet sprechende Anscheinsbeweis ist im Streitfall deshalb erschüttert, weil nach Überzeugung des Gerichts für Privatfahrten mit dem Mercedes Benz C 280 T ein in Status und Gebrauchswert vergleichbares Fahrzeug zur alleinigen Verfügung des einzigen Kommanditisten stand. Mangels feststellbarer Privatnutzung war für die steuerliche Erfassung eines Privatanteils danach kein Raum.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.05.2020 12:22
Quelle: Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

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