BFH v. 7.5.2020 - V R 14/19

Keine Masseverbindlichkeit bei vorläufiger Eigenverwaltung

Der Umsatzsteueranspruch für einen Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, ist weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit; auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren einer GmbH. Diese hatte als Insolvenzschuldner am 13.12.2016 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gem. § 270a InsO beantragt. Am 1.9.2017 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Nach dem Beschluss war die GmbH berechtigt, unter Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 bis 285 InsO). Zum Sachwalter wurde wiederum der Kläger bestellt.

Nachdem das Finanzamt die durch die GmbH am 18.4.2017 geleistete Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Februar 2017 nach insolvenzrechtlicher Anfechtung am 22.9.2017 an die GmbH wieder ausgekehrt hatte, setzte es durch Bescheid vom 24.11.2017, der an die GmbH unter deren Massesteuernummer adressiert war, die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Februar 2017 i.H.v. 6.771 € fest. In der Anlage teilte es mit, dass eine Masseverbindlichkeit nach §§ 270a, 270 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 55 Abs. 4 InsO festgesetzt werde. Zugleich meldete das Finanzamt die streitgegenständliche Forderung auch als Insolvenzforderung an, da es sich über deren insolvenzrechtliche Qualifizierung nicht sicher war.

Mit einem notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 27.11.2017 veräußerte die GmbH wesentliche, dem Betrieb ihres Unternehmens dienende Aktiva an einen Erwerber zum Zwecke der Fortführung des Geschäftsbetriebes. Durch Beschluss vom 31.1.2018 hob das AG die Anordnung der Eigenverwaltung auf und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH. Bereits zuvor war beim Finanzamt die Zahlung eines auf Steuerverbindlichkeiten der GmbH entfallenden Gesamtbetrages i.H.v. 250.022 € eingegangen, der auch den auf die Zahlung zur Umsatzsteuer für Februar 2017 entfallenden Betrag umfasste.

Das FG gab der hiergegen gerichteten statt. Es war der Ansicht, dass BGH-Urteil vom 22.11.2018 - IX ZR 167/16 keine Masseverbindlichkeit vorliege. Der BFH bestätigte diese Ansicht.

Gründe:
Es liegen keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 und Abs. 4 InsO vor.

Der Umsatzsteueranspruch für einen Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, ist weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit; auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht. Soweit die Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit nicht vorliegen, folgt hieraus nicht das Vorliegen einer Regelungslücke, die durch eine Analogie zu einzelnen Bestimmungen des § 55 InsO zu schließen wäre, sondern die gesetzlich vorgesehene Anwendung von § 38 InsO.

Im Streitfall fehlte es an einer selektiv wirkenden staatlichen Maßnahme. Die Einordnung der bis zur Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis folgt dem sich aus § 251 Abs. 2 Satz 1 AO ergebenden Grundsatz, dass der Steuergläubiger im Insolvenzfall wie alle anderen Gläubiger behandelt wird. Durchbrochen wird der hierdurch gewährleistete Gleichbehandlungsgrundsatz nur durch § 55 Abs. 4 InsO. Die hier angeordnete Masseverbindlichkeit beruht aber auf einer Amtstätigkeit bereits im Eröffnungsverfahren, an der es bei der vorläufigen Eigenverwaltung fehlt, so dass es im Übrigen beim Regelprinzip des § 38 InsO bleibt. Unabhängig von den weiteren Voraussetzungen fehlt es damit jedenfalls an einer selektiven Vorteilsgewährung.

Der vom Finanzamt behauptete Verfahrensmangel der Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu dem vom Finanzamt behaupteten Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO liegt nicht vor. Selbst wenn man in einem Eröffnungsverfahren mit einer Dauer von über acht Monaten angesichts einer vom Finanzamt angenommenen durchschnittlichen Verfahrensdauer von nur drei Monaten einen Gestaltungsmissbrauch sehen sollte, kam dies im Streitfall, in dem es um den Voranmeldungszeitraum für Februar 2017 bei einem in Dezember 2016 gestellten Antrag auf Verfahrenseröffnung ging, nicht in Betracht.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.08.2020 14:03
Quelle: BFH online

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