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Die Familie als Unternehmen - Der Gesellschaftsvertrag der Tchibo GmbH (Lieder, GmbHR 2020, 929)

Die Geschichte der Tchibo GmbH steht beispielhaft für deutsche Familienunternehmen, für ihre besondere Prosperität und Konfliktanfälligkeit. Der Beitrag zeigt auf, wie sich familiäre Interessen unnachgiebig im Unternehmen Bahn brechen können. Die Rechtsform der GmbH erweist sich für die Zwecke des Familienunternehmens als nachgerade ideale Rechtsform. Dazu passt der analysierte Gesellschaftsvertrag der Tchibo GmbH, der seine Funktion auch ohne weitschweifige Regelungen zu erfüllen vermag.

I. Einführung

II. Geschichte des Unternehmens

1. Max Herz: Erste Gehversuche als Kaufmann

2. Gesellschaftsgründung

3. Max Herz als Alleingesellschafter

4. Tod des Firmengründers und Generationenwechsel

5. Vom Einzelunternehmen zur Unternehmensgruppe

a) Beiersdorf AG

b) Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH

6. Expansion im wiedervereinigten Deutschland und in Europa

7. Family-Buy-out

8. Geplante Umstrukturierung zur SE & Co. KGaA

III. Gesellschaftsvertrag der Tchibo GmbH

1. Keine Präambel

2. Zwingender Satzungsinhalt

3. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag

4. Geschäftsführung

5. Altersgrenze

6. Gesellschafterausschuss

IV. Zusammenfassung und Schluss


I. Einführung

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Der Gesellschaftsvertrag der Tchibo GmbH ist auf den ersten Blick ein recht unscheinbares Stück Papier. Seine Tragweite erschließt sich erst bei einem näheren Blick hinter die Kulissen des Familienunternehmens. Da ist zum einen die besondere Anteilseignerstruktur der Tchibo GmbH, die im Alleineigentum der maxingvest ag als Holding der Unternehmerfamilie Herz steht und in der Vergangenheit schon zahlreiche Umstrukturierungen erlebt hat. Die vorliegende Darstellung wäre daher unvollständig, nähme man nicht zumindest auch die zentralen Entwicklungen der Familienholding und ihre maßgeblichen Beteiligungen mit in den Blick. Zum anderen sind da die innerfamiliären Konflikte, welche die kargen Satzungsregelungen erst lebendig werden lassen. Mit Blick auf die besondere Interessenlage der Familiengesellschafter und die im Unternehmen über viele Jahre ausgetragenen Konflikte, Nachfolgestreitigkeiten und Auseinandersetzungen der zweiten Generation erscheint die Geschichte der Tchibo GmbH geradezu paradigmatisch für deutsche Familienunternehmen, die noch immer das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden.

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Der Blick in die Entwicklungsgeschichte von Tchibo wird allerdings dadurch erschwert, dass die Familie Herz seit jeher sehr auf Diskretion bedacht ist. Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen sind ebenfalls Mangelware; sie beschränken sich im Wesentlichen auf spärliche Informationen auf der unternehmenseigenen Homepage und Zeitungsberichte. Hinzu kommen aus dem Handelsregister abrufbare Gesellschaftsverträge und andere publikationspflichtige Dokumente. Alle Versuche, weitere Informationen direkt beim Unternehmen zu erlangen, verliefen erfolglos. Auch Materialien aus dem Tchibo-Archiv waren nicht zugänglich. Obgleich sich die internen Verhältnisse vor diesem Hintergrund nicht vollständig aufhellen lassen, erzählt das verfügbare Material doch eine beeindruckende Erfolgsgeschichte aus der deutschen Nachkriegszeit.

II. Geschichte des Unternehmens
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Als sich der Kaffeeimporteur Max Herz und der Trockenfrüchtespezialist Carl Tchilling-Hiryan am 15.3.1949 durch Errichtung einer GmbH zusammenschlossen, um Kaffee selbst zu rösten und per Post an Privatkunden zu vertreiben, wählten sie als Markennamen die Bezeichnung „Tchibo“ – eine Abkürzung für „Tchilling-Bohne“. Heute gehört Tchibo zu den bekanntesten deutschen Marken überhaupt und gibt auch der unternehmenstragenden „TCHIBO GmbH“ ihren Namen. Das seit jeher in Hamburg ansässige Unternehmen konnte für das Geschäftsjahr 2018 einen Gesamtumsatz von 3,15 Mrd. € verbuchen. Mit etwa 620 deutschen und etwa 350 ausländischen Filialen sowie 19.000 Depots im Fach- und Lebensmittelhandel gehört Tchibo heute zu Deutschlands größten Handels- und Konsumgüterunternehmen, das derzeit insgesamt 11.850 Mitarbeiter beschäftigt, über 7.700 davon in Deutschland. Der Weg vom innovativen Kaffee-Start-up in den Nachkriegsjahren zu einem der größten deutschen Familienunternehmen ist das Verdienst der Familie Herz.

1. Max Herz: Erste Gehversuche als Kaufmann
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Die Gründung des Unternehmens ging maßgeblich zurück auf den Hamburger Kaufmann Max Herz. Seinen Geschäftssinn hatte er offenbar von seinem Vater Walter Herz geerbt, der selbst in Hamburg als Kaufmann tätig war, zunächst eine Fabrik für Malzkaffee betrieb und später Rohkaffee importierte. Der 1905 geborene, einzige Sohn Max interessierte sich früh für das Kaffeegeschäft und begann noch als Jugendlicher, bei seinem Vater zu arbeiten. Dessen Firma G. C. Breiger musste – gebeutelt von der Weltwirtschaftskrise – am 8.8.1930 Vergleich anmelden. Max Herz engagierte sich sehr für die Sanierung des Unternehmens und tat auch neue Kapitalquellen auf, so dass das Vergleichsverfahren in weniger als einem Monat zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht und ein Konkursverfahren abgewendet werden konnte. Zwar wurde Max Herz in der Folge als Gesellschafter in die fortgeführte OHG aufgenommen. Aufgrund der massiven Importbeschränkungen der Nationalsozialisten war dem Unternehmen aber kein großer Erfolg beschieden. Als zweites Standbein diente ihm daher ...
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.08.2020 11:48
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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