BFH v. 19.8.2020 - XI R 32/18

Zur Passivierung von Verbindlichkeiten bei Rangrücktritt

Eine Rangrücktrittserklärung, die die Erfüllung der Verpflichtung nicht nur aus zukünftigen Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus "sonstigem freien Vermögen" vorsieht, löst selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot aus, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird.

Der Sachverhalt:
Die klagende GmbH, die im Streitzeitraum keine operative Tätigkeiten ausübte, hatte Verbindlichkeiten gegenüber ihrer Alleingesellschafterin. Diese erklärte zur Abwendung der Überschuldung der Klägerin, auf ihre Forderungen i.H.v. max. rund 3 Mio. € hinter die Forderungen aller anderen gegenwärtigen und zukünftigen Gläubiger in der Weise zurückzutreten, dass die Forderungen nur aus sonst entstehenden Jahresüberschüssen, einem Liquidationsüberschuss oder aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Klägerin übersteigenden freien Vermögen zu bedienen sind.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass aufgrund dieser Rangrücktrittserklärung keine ernste Rückzahlungsabsicht bei der Klägerin mehr vorliege und löste die bestehenden Verbindlichkeiten abzüglich des freien Vermögens (insgesamt rd. 2 Mio. €) gewinnerhöhend auf.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.

Gründe:
Das FG hat ohne Rechtsfehler dahin erkannt, dass die ertragswirksame Auflösung der Verbindlichkeiten ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Denn eine Rangrücktrittserklärung, die die Erfüllung der Verpflichtung nicht nur aus zukünftigen Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus "sonstigem freien Vermögen" vorsieht, löst selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot aus, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird. Das wirtschaftliche Unvermögen des Schuldners ist unerheblich; vielmehr kommt es allein auf den rechtlichen Gehalt der Durchsetzungssperre an.

Im Streitfall waren die Voraussetzungen für die handelsbilanzielle Passivierung der Verbindlichkeiten nicht entfallen. Eine erfolgswirksame Auflösung dieser Verbindlichkeit kam nicht in Betracht. Nach BGH-Rechtsprechung bildet die nachträgliche Übereinkunft eines Rangrücktritts einen verfügenden Schuldänderungsvertrag i.S. des § 311 BGB, wenn der Zweck einer Rangrücktrittsvereinbarung darin liegt, dass - wie im Streitfall - die betreffende Forderung zur Vermeidung einer Insolvenz nicht in der Überschuldungsbilanz erscheint. Aufgrund des Schuldänderungsvertrages wird die Forderung mit dinglicher Kraft inhaltlich dahin umgewandelt, dass sie - bezogen auf den Überschuldungsstatus - nicht mehr zu passivieren ist. Die Forderung bildet im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern haftendes Kapital und darf deshalb nicht an den Forderungsinhaber ausbezahlt werden. Damit wird der Forderung vereinbarungsgemäß eine nachrangige Stellung zugewiesen, die eine Befriedigung nur aus freiem, nicht zur Schuldendeckung benötigtem Vermögen der Gesellschaft gestattet.

Durch die Vereinbarung wird zwar die Rangfolge, nicht aber der Bestand der Forderung geändert, so dass auch etwaige Sicherungsrechte nicht berührt werden. Die betreffende Verbindlichkeit bleibt mithin rechtlich bestehen und wird nur in ihrem Rang verändert; der Rangrücktritt stellt damit keinen Forderungsverzicht dar, der Gläubiger bleibt Inhaber der Forderung. Dies betraf auch den Streitfall. Wird die mit einem Rangrücktritt versehene Forderung von dem Schuldner trotz Insolvenzreife beglichen, steht ihm nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB ein Rückforderungsanspruch gegen den Gläubiger zu und ein Insolvenzverwalter kann die Zahlung anfechten. Dies betrifft den rechtlichen Bestand der Forderung indes nicht und lässt daher nicht den Schluss zu, dass die vom Rangrücktritt erfassten Forderungen keinen rechtlichen Bestand mehr hätten und es sich insoweit um eine nicht zu passivierende "Nichtschuld" handeln würde.

Die Klägerin war am Bilanzstichtag zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung verpflichtet, die nach Maßgabe der getroffenen Schuldänderungsvereinbarung vom Gläubiger erzwungen werden konnte. Eine Tilgungsmöglichkeit für die Verbindlichkeiten bestand, soweit die Forderungen u.a. "aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft übersteigenden freien Vermögen" zu bedienen waren. Die wirtschaftliche Belastung der Klägerin war am Bilanzstichtag auch nicht entfallen. Denn das rechtliche Bestehen einer Verbindlichkeit bewirkt im Regelfall eine wirtschaftliche Belastung und rechtfertigt somit eine Passivierung der Verbindlichkeit. Es lässt darauf schließen, dass der Gläubiger sein Forderungsrecht geltend machen wird und das Vermögen somit durch bevorstehende Zahlungen belastet ist. Besteht die Forderung rechtlich fort und ist der Gläubiger weiterhin zur Geltendmachung der Forderung entschlossen, hat sich die Vermögenslage des Schuldners nicht verbessert. Die mit einem Rangrücktritt versehenen Verbindlichkeiten sind weiterhin - nachrangige - Verbindlichkeiten, die den Vermögensrechten der Gesellschafter vorgehen und damit fortbestehende Verbindlichkeiten.

Anders als bei einem vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht führt der Rangrücktritt nicht dazu, dass die betreffende Verbindlichkeit erlischt oder sich im Bestand mindert. Die streitgegenständliche Rangrücktrittsvereinbarung löste auch kein steuerbilanzielles Passivierungsverbot (§ 5 Abs. 2a EStG) aus. Denn das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG setzt voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers verabredungsgemäß nur auf künftiges Vermögen des Schuldners - damit nicht: auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen - bezieht. Unter Einnahmen oder Gewinnen sind mithin künftige Vermögenswerte zu verstehen. Auch auf Rangrücktrittsvereinbarungen, die zum Inhalt haben, dass die Verbindlichkeiten nur aus künftigen Gewinnen oder einem etwaigen Liquidationsüberschuss erfüllt werden müssen, ist § 5 Abs. 2a EStG anwendbar .Dagegen ist § 5 Abs. 2a EStG auf Rangrücktrittsvereinbarungen nicht anwendbar, wenn die Verbindlichkeit auch aus sonstigem Vermögen, dem sog. freien Vermögen, zu tilgen ist.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.12.2020 12:32
Quelle: BFH online

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