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Vergleichendes Familiengesellschaftsrecht am Beispiel abberufener Familiengesellschafter-Geschäftsführer (Fleischer, GmbHR 2021, 113)

Familiengesellschaften sind eine besondere Spezies. Dies gilt nicht nur hierzulande, sondern auch anderwärts. Gleichwohl fehlt es bisher an rechtsvergleichenden Studien darüber, inwieweit Gerichte im In- und Ausland das Vorliegen einer Familiengesellschaft in ihrer Spruchpraxis berücksichtigen. Der Beitrag möchte dies mit einer Miniatur zum Familiengesellschaftsrecht in Deutschland, England und den Vereinigten Staaten ändern. Als Anschauungsmaterial und roter Faden dienen ihm Fälle der Abberufung eines Familiengesellschafter-Geschäftsführers nach einem Zerwürfnis zwischen Familienangehörigen.

I. Familienunternehmen: Dominante Organisationsform und rechtliches Schattendasein
II. Vereinigte Staaten: Termination and Oppression

1. Sachverhalt
2. Rechtliche Einkleidung
3. Relevanz des Vorliegens einer Familiengesellschaft
III. England: Dismissal and Unfair Prejudice
1. Sachverhalt
2. Rechtliche Einkleidung
3. Relevanz des Vorliegens einer Familiengesellschaft
IV. Deutschland: Abberufung und Treuepflicht
1. Sachverhalt
2. Rechtliche Einkleidung
3. Relevanz des Vorliegens einer Familiengesellschaft
V. Zusammenfassende Würdigung und Ausblick
1. Gegenwärtiger Rechtsstand
2. Empfehlungen für die Zukunft


I. Familienunternehmen: Dominante Organisationsform und rechtliches Schattendasein
1
Wohin man auch blickt: Familienunternehmen sind fast überall auf der Welt die vorherrschende Organisationsform im Wirtschaftsleben.  Hierzulande sind 90 % aller Unternehmen familienkontrolliert; sie beschäftigen 58 % aller Arbeitnehmer und erzielen 52 % des Gesamtumsatzes im privaten Sektor.  Ähnliche Zahlen liegen für die Vereinigten Staaten vor, auch wenn dort Familienunternehmen unter den mittleren und großen Gesellschaften weniger zahlreich vertreten sind: Man schätzt, dass 80–90 % aller Unternehmen family firms sind, bei denen 57 % aller Beschäftigten arbeiten und die 57 % aller Umsätze erzielen.  Im Vereinigten Königreich sind 87 % aller Unternehmen family businesses, die 51 % aller Arbeitnehmer beschäftigen und 43 % des Gesamtumsatzes beisteuern. 

2
Ungeachtet aller Dominanz von Familienunternehmen hat sich bisher in keinem der drei Länder ein spezifisches Familiengesellschaftsrecht herausgebildet.  Dies liegt hauptsächlich an der streng gesellschaftsformbezogenen Organisation des Rechtsstoffes: Im Reigen der Gesellschaftsformen gibt es nirgendwo eine Familiengesellschaft als solche, sondern nur eine familiengeführte OHG, KG oder GmbH, eine family-owned partnership oder company bzw. corporation.  Vor Gericht dreht sich die gesellschaftsrechtliche Prüfung folgerichtig um die Vorschriften der betreffenden Rechtsform, ohne dass es tatbestandlich auf das Vorliegen eines Familienunternehmens ankommt.

3
Wer das Feld der Rechtsvergleichung für Familiengesellschaften urbar machen möchte, muss infolgedessen nicht norm-, sondern sachverhaltsbezogen ansetzen. Der vorliegende Beitrag greift sich ein typisches Szenario in Familienunternehmen heraus, das in neuerer Zeit Anlass zu Gerichtsentscheidungen in allen drei Rechtsordnungen gegeben hat: ein dauerhaftes Zerwürfnis zwischen Familienangehörigen, in dessen Folge der Mehrheitsgesellschafter dem im Familienunternehmen mitarbeitenden Minderheitsgesellschafter kündigt und ihn so um einen Teil der erhofften Früchte aus der Gesellschaftsbeteiligung bringt. Untersucht wird, welche allgemeinen Rechtsbehelfe dem ausgebooteten Minderheitsgesellschafter in den Vereinigten Staaten, England und Deutschland zur Verfügung stehen, und inwieweit die Gerichte dabei berücksichtigen, dass es sich um ein Familienunternehmen handelt. Die Analyse dieser Fallgestaltung erscheint deshalb besonders vielversprechend, weil sich die Beteiligten hier in verschiedenen Rollen begegnen: als family members, family owners und family employees – ganz im Sinne des berühmten Drei-Kreis-Modells der Familienunternehmensforschung. 

II. Vereinigte Staaten: Termination and Oppression

1. Sachverhalt

4
In den Vereinigten Staaten finden sich zahlreiche Fälle, in denen Minderheitsgesellschafter als Geschäftsführer oder Mitarbeiter in Familienunternehmen gekündigt werden: „You’re Fired! Termination as Oppression“.  Über ein typisches Beispiel musste der Pennsylvania Superior Court im Jahr 2005 entscheiden.  Eine vierköpfige Familie betrieb den Golfplatz Riverview in Form einer closely held corporation. Sohn und Tochter des Unternehmensgründers arbeiteten dort mit: Bill in Vollzeit, Peggy auf Stundenbasis. Nach dem Tod des Vaters wurde Bill als Mehrheitsgesellschafter Präsident von Riverview, entließ Peggy als Mitarbeiterin und heuerte stattdessen seine Frau und seinen Sohn als bezahlte Mitarbeiter an, die beide auch zu Direktoren der Gesellschaft gewählt wurden. Daneben betrieb Bill auf eigene Rechnung einen lukrativen Pro Shop und ein profitables Golf-Cart-Geschäft auf dem Golfplatzgelände, für die er nur eine geringe Summe an Riverview zahlte. Peggy sah sich durch die Kündigung um ihre Erwartung auf lebenslange Mitarbeit in dem Familienunternehmen gebracht und klagte gegen ihren Bruder.

2. Rechtliche Einkleidung
5
Der wichtigste Rechtsbehelf für Minderheitsgesellschafter in geschlossenen Gesellschaften ist das sog. oppression remedy, das inzwischen in den Gesellschaftsrechtsgesetzen zahlreicher Einzelstaaten kodifiziert ist. Mangels Legaldefinition herrscht allerdings kein Einvernehmen darüber, was genau unter ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.01.2021 14:27
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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