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Brexit: Implikationen des EU-UK TCA im Bereich des Gesellschaftsrechts (Schmidt, GmbHR 2021, 229)

Kurz vor Ablauf des Übergangszeitraums haben die EU und das Vereinigte Königreich (UK) am 30.12.2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen (EU-UK Trade and Cooperation Agreement – EU-UK TCA) unterzeichnet, das zum 1.1.2021 vorläufig in Kraft trat. Der Beitrag beleuchtet die Implikationen im Bereich des Gesellschaftsrechts, insbesondere die Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften sowie die Folgen des Wegfalls der Bindung des UK an das EU-Gesellschaftsrecht.

I. Brexit und der Weg zum EU-UK TCA
II. Überblick über das EU-UK TCA
III. Implikationen von Austrittsabkommen und EU-UK TCA im Bereich des Gesellschaftsrechts

1. Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften
a) Wegfall der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV
aa) Keine „europarechtliche Gründungstheorie“ mehr
bb) Konsequenzen aus der Perspektive des UK und von Gründungstheorie-Mitgliedstaaten
cc) Konsequenzen aus der Perspektive von Deutschland und anderen Mitgliedstaaten, die (zumindest partiell) der Sitztheorie folgen
b) Bedeutung der Regelungen zur Liberalisierung von Investitionen im EU-UK TCA
aa) Schutzumfang
bb) Persönlicher Anwendungsbereich
(1) Investoren einer Vertragspartei
(2) Erfasste Unternehmen
cc) Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften
(1) Sitz- oder Gründungstheorie?
(2) Einschränkung durch das Erfordernis von „substantive business operations“?
2. Wegfall der Bindung des UK an das EU-Gesellschaftsrecht
a) Ende der Geltung des EU-Gesellschaftsrechts kraft Mitgliedschaft in der EU
b) Weitgehende Inkorporation ins innerstaatliche Recht des UK
c) Ausgewählte Einzelfragen
aa) BRIS
bb) Zweigniederlassungen
cc) Grenzüberschreitende Verschmelzungen
(1) Aufhebung der Companies (Cross-Border  Mergers) Regulations 2007
(2) Deutsche Perspektive: §§ 122a, 122m UmwG
dd) Grenzüberschreitende Formwechsel und  Spaltungen
ee) Europäische Rechtsformen: EWIV, SE und SCE
ff) Übernahmerecht
(1) Perspektive des UK
(2) Mitgliedstaatliche und insbesondere deutsche Perspektive
gg) Bilanz- und Abschlussprüfungsrecht
3. Kein Einfluss des UK mehr auf das Europäische  Gesellschaftsrecht
IV. Zusammenfassung


I. Brexit und der Weg zum EU-UK TCA

1
Nachdem bei dem schicksalsträchtigen Referendum am 23.6.2016 eine knappe Mehrheit für den Brexit gestimmt und das UK daraufhin am 29.3.2017 den Austritt erklärt hatte, war lange Zeit unklar, wie der Brexit eigentlich genau aussehen sollte. Diskutiert wurde ein breites Spektrum verschiedener Modelle, u.a. „Common Market 2.0“, „EEA model“ („Norway model“), „Switzerland model“, „customs union“, „CETA/Canada model“ oder schlicht ein „no deal Brexit“. 

2
Selbst nachdem das UK nach Abschluss eines Austrittsabkommens (Withdrawal Agreement)  am 31.1.2020 tatsächlich aus der EU ausgetreten war und ein elfmonatiger Übergangszeitraum begonnen hatte, ging die nervenaufreibende Zitter- und Hängepartie weiter. Erst am 24.12.2020 gelang es der EU und dem UK – als „Weihnachtsgeschenk“ für die durch Corona gebeutelte Wirtschaft – doch noch eine Einigung über ein EU-UK Trade and Cooperation Agreement (EU-UK TCA)  zu erzielen. Es wurde am 30.12.2020 unterzeichnet  und trat am 1.1.2021 vorläufig in Kraft . Das UK hat das Abkommen am 31.12.2020 auch bereits ratifiziert;  auf EU-Seite sind noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und ein Beschluss des Rats erforderlich.

II. Überblick über das EU-UK TCA
3
Das EU-UK TCA besteht aus drei Hauptpfeilern: 

  • Ein Freihandelsabkommen, das sich nicht nur auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen erstreckt, sondern u.a. auch auf Investitionen, Wettbewerb und eine Reihe anderer Bereiche;
  • ein neuer Rahmen für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (nicht aber in Zivil- und Handelssachen!);
  • eine horizontale Vereinbarung über die Governance des Abkommens (im Fall von Streitigkeiten entscheidet nicht der EuGH, sondern ein Schiedsgericht).

4
Neben dem EU-UK TCA bleibt das Austrittsabkommen (Withdrawal Agreement) in Kraft.

III. Implikationen von Austrittsabkommen und EU-UK TCA im Bereich des Gesellschaftsrechts

1. Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften

a) Wegfall der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV

5
Infolge des Austritts des UK aus der EU gilt im Verhältnis zwischen UK und EU-Mitgliedstaaten keine Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV mehr; ebenso gilt im Verhältnis des UK zu den EWR-Mitgliedstaaten keine Niederlassungsfreiheit gem. Art. 31 Abs. 1, 34 Abs. 1 EWRV  mehr. Dies hat auch Konsequenzen für die Anerkennung und rechtliche Behandlung von Gesellschaften.

aa) Keine „europarechtliche Gründungstheorie“ mehr
6
Mit dem Wegfall der Niederlassungsfreiheit gilt für das Verhältnis zwischen dem UK und EU-/EWR-Mitgliedstaaten auch die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit nicht mehr – und damit insbesondere auch das vom EuGH in der berühmten Entscheidungstrias „Centros – Überseering  – Inspire Art“ de facto etablierte „Herkunftslandprinzip“, auch bekannt als „europarechtliche Gründungstheorie“. Folglich sind die EU-/EWR-Mitgliedstaaten nicht mehr verpflichtet, Gesellschaften, die nach dem Recht des UK gegründet wurden, ihren Verwaltungssitz aber in dem betreffenden Mitgliedstaat haben, aufgrund der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV bzw. Art. 31 Abs. 1, 34 Abs. 1 EWRV) als solche – und zwar genau so und in der Form, wie sie nach dem Recht des UK ausgestaltet sind – anzuerkennen. Die Niederlassungsfreiheit statuiert auch keine Einschränkungen mehr in Bezug auf die Aufstellung von Sonderregeln für solche „Scheinauslandsgesellschaften“.  Entsprechendes gilt umgekehrt auch für das UK in Bezug auf Gesellschaften, die nach dem Recht eines EU-/EWR-Mitgliedstaats gegründet wurden, ihren Verwaltungssitz aber im UK haben.

bb) Konsequenzen aus der Perspektive des UK und von Gründungstheorie-Mitgliedstaaten
7
Für das UK, das traditionell der Gründungstheorie folgt,  sowie für EU-/EWR-Mitgliedstaaten, die ohnehin der Gründungstheorie folgen (z.B. die Niederlande, Irland oder Malta), wird dies zugegebenermaßen nicht wirklich zu Problemen führen. Denn nach der Gründungstheorie ist Gesellschaftsstatut das Recht, nach dem die Gesellschaft gegründet und ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.02.2021 11:20
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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