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Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG? (Bitter, ZIP 2021, 321)

Die Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts hat zum 1. 1. 2021 bedeutsame Änderungen für die Haftung von Geschäftsleitern in der Insolvenz mit sich gebracht. Die wichtigste ist die Abschaffung des § 64 GmbHG und seiner Parallelvorschriften und ihre Ersetzung durch den neuen § 15b InsO. Die Insolvenzgründe und die Insolvenzantragspflicht wurden modifiziert, neue Pflichten im Restrukturierungsrahmen nach §§ 42, 43 StaRUG eingeführt und die Haftung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung in § 276a Abs. 2 und 3 InsO verankert. Die Neuerungen werden nachfolgend vorgestellt und einer ersten Bewertung unterzogen.

I. Einführung
II. Geschäftsführung im Gläubigerinteresse
III. Änderungen der Insolvenzgründe und Insolvenzantragspflicht

1. Fixierung des Prognosezeitraums bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit
2. Verkürzung des Prognosezeitraums bei der Überschuldung
3. Verlängerung der Drei-Wochen-Frist bei der Insolvenzantragspflicht
IV. Verbotene Zahlungen nach Insolvenzreife (§ 15b InsO)
1. Das einheitliche Zahlungsverbot in § 15b Abs. 1 InsO
2. Präzisierung der Sorgfaltsausnahme aus § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO in den Absätzen 2, 3 und 8
2.1 Übernahme der Regelung aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG
2.2 Die Problematik der bisherigen BGH-Rechtsprechung zur Notgeschäftsführung
2.3 Unterscheidung zwischen pflichtgemäß und pflichtwidrig handelnder Geschäftsleitung
2.4 Unbedingte Privilegierung bei Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters
2.5 Verhältnis des § 15b InsO zu § 266a StGB und §§ 34, 69 AO
2.5.1 Missliche Konsequenzen der Rechtsprechung des II. Zivilsenats
2.5.2 Der Vorrang des Massesicherungsgebots und das Ende von „Erst zahlen, dann anfechten!“
2.5.3 Die klarstellende Funktion des § 15b Abs. 8 InsO
2.5.4 Analogie zu § 15b Abs. 8 InsO im Fall des § 266a StGB
3. Neubestimmung der Rechtsfolge in § 15b Abs. 4 InsO
3.1 Einzelne Zahlungen als Vermutungstatbestand für den Gesamtgläubigerschaden
3.2 Relevanz der Anforderungen an die Darlegungslast im Prozess
3.3 Ausweitung der BGH-Grundsätze zum Aktiventausch
3.3.1 Einzelbetrachtung als Hintergrund der engen Rechtsprechung
3.3.2 Erforderlichkeit einer Neubewertung
3.3.3 Kompensation auch durch Dienstleistungen
3.3.4 Keine Haftung für erfolgreiche Gesamtprojekte
3.3.5 Der neue § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO als Basis des erweiterten Aktiventauschs
3.4 Reihenfolge von Leistung und Gegenleistung
3.4.1 Kompensation nur durch nachfolgende Gegenleistung
3.4.2 Keine Begrenzung der „Gegenleistung“ auf das einzelne Austauschgeschäft
4. Fortgeltung bisher anerkannter Grundsätze
5. Problemfall: Haftung der Aufsichtsräte nach § 116 AktG
6. Zeitlicher Anwendungsbereich
V. Haftung im präventiven Restrukturierungsrahmen (§§ 42, 43 StaRUG)
1. Insolvenzanzeigepflicht aus § 42 StaRUG und Konsequenzen ihrer Verletzung
2. Haftung für die Verletzung der Gläubigerinteressen (§ 43 StaRUG)
2.1 Verhältnis des § 43 StaRUG zu § 43 GmbHG und § 93 AktG
2.2 Anwendbarkeit des § 15b InsO neben § 43 StaRUG
2.3 Verzicht, Vergleich, Verjährung (§ 43 Abs. 2 und 3 StaRUG)
VI. Haftung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung (§ 276a Abs. 2 und 3 InsO)
1. Übernahme von BGHZ 218, 290 ins Gesetz
2. Erweiterung von BGHZ 218, 290 auf die vorläufige Eigenverwaltung
3. Zurückdrängung des Gesellschaftereinflusses in der vorläufigen Eigenverwaltung
4. Verhältnis des § 276a Abs. 2, 3 InsO zu § 15b InsO und § 43 GmbHG
4.1 Gleichlauf zwischen § 43 GmbHG und § 60 InsO?
4.2 Vorrang des § 276a Abs. 2 und 3 vor § 15b InsO?
VII. Zusammenfassende Thesen


I. Einführung
Die Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts ist in atemberaubendem Tempo beschlossen worden und zum 1. 1. 2021 in Kraft getreten. Ein Schwerpunkt der bereits mit dem Referenten- und Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) ausgelösten Diskussion betrifft die Änderungen bei der Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz, die naturgemäß nicht nur Unternehmensleiter, sondern insbesondere auch die (insolvenzrechtlichen) Berater und die Insolvenzverwalter im Blick haben müssen. Im Mittelpunkt jener Debatte steht der neue § 15b InsO, der die bisher in den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen (insbesondere in § 64 GmbHG) verankerten Vorschriften zur Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife ersetzt (dazu unten IV.). Jener § 15b InsO soll nachfolgend in den Gesamtkontext der insolvenzrechtlichen Geschäftsleiterhaftung eingeordnet werden, die in der aktuellen Reform auch an anderen Stellen Änderungen erfahren hat, etwa durch ganz neue Vorschriften im Restrukturierungsrahmen nach dem StaRUG.

Zunächst soll ein allgemeiner Blick auf die Frage gerichtet werden, ob und ab welchem Stadium der Krise die Geschäftsleiter die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen haben und ob insoweit die Streichung der noch im Regierungsentwurf vorgesehenen §§ 2 f. StaRUG-E eine wesentliche Änderung gebracht hat (unten II.). Anschließend werden die Änderungen bei den Insolvenzgründen der §§ 18 f. InsO und der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO betrachtet (unten III.), weil darin die Basis für die zentrale, nun direkt hinter der Antragspflicht platzierte Haftungsnorm des § 15b InsO liegt (dazu unten IV.). Nach diesem Hauptteil der hiesigen Überlegungen ist knapp auf die (Verschleppungs-)Haftung im präventiven Restrukturierungsrahmen nach §§ 42, 43 StaRUG einzugehen (unten V.) sowie auf die nunmehr gesetzlich fixierte Haftung in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 276a Abs. 2 und 3 InsO (unten VI.). Der Beitrag schließt mit zusammenfassenden Thesen (unten VII.).

II. Geschäftsführung im Gläubigerinteresse
Die größten Widerstände – insbesondere von Seiten der Gesellschaftsrechtler – hatte das Vorhaben im Referenten- und Regierungsentwurf hervorgerufen, in § 2 StaRUG-E eine allgemeine Verpflichtung der Geschäftsleiter und Aufsichtsräte auf das Gläubigerinteresse bereits ab drohender Zahlungsunfähigkeit i. S. v. § 18 InsO vorzusehen und die Verletzung dieser Pflicht in § 3 StaRUG-E haftungsrechtlich zu sanktionieren. Mülbert und Wilhelm sprachen in der Börsenzeitung von einem „gravierenden Eingriff in das geltende Recht“ und einem „Paradigmenwechsel“. Andere malten gar das Horrorbild einer entschädigungslosen Verdrängung der Gesellschafter weit vor der materiellen Insolvenz an die Wand. Auf die Spitze getrieben werde der Gläubigerschutz mit § 45 StaRUG-E, weil darin gar eine Außenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber den Gläubigern bei Verletzung von deren Interessen vorgesehen sei.

Vermutlich waren es derartige Aufschreie, welche den Rechtsausschuss veranlasst haben, die §§ 2 f. StaRUG-E zu streichen und die nun in § 43 StaRUG vorgesehene Haftung im Restrukturierungsrahmen von einer Außen- in eine Innenhaftung umzuwandeln. Doch war der StaRUG-Entwurf in diesem Punkt wirklich so „revolutionär“ und bedrohlich? Und ist die Revolution nun durch die Streichung der §§ 2 f. StaRUG-E abgewendet?

Richtigerweise haben die Verfasser des Referenten- und Regierungsentwurfs im Kern nur eine Strömung in der jüngeren Literatur und instanzgerichtlichen Rechtsprechung aufgegriffen, welche in den letzten Jahren unter dem Stichwort eines „shift of duties“ einen Wandel der Interessenausrichtung in der Insolvenz weg von den Gesellschaftern hin zu den Gläubigern postuliert. Da jener Wandel der Geschäftsleiterpflichten oft an die materielle Insolvenz im Sinne eines Pflichtantragsgrundes bei haftungsbeschränkten Gesellschaften (§ 15a InsO i. V. m. §§ 17 und 19 InsO) angeknüpft wird, ist dies von ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.02.2021 09:48
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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