BGH v. 23.2.2021 - II ZR 65/19

Verschmelzungen und Spaltungen: Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre?

Ungeachtet der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes kann bei Verschmelzungen und Spaltungen ein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1 AktG erforderlich sein. Ein Sonderbeschluss der Stammaktionäre nach § 65 Abs. 2 Satz 2 UmwG ist nicht erforderlich, wenn es neben den stimmberechtigten Stammaktien als weitere Aktiengattung nur stimmrechtslose Vorzugsaktien gibt. Notariell zu beurkunden sind mit einem Spaltungsvertrag sämtliche Abreden, die nach dem Willen der Beteiligten mit diesem ein einheitliches Ganzes bilden, also mit ihm stehen und fallen sollen.

Der Sachverhalt:
Die beklagte börsennotierte Aktiengesellschaft verfügt über ein Grundkapital von rd. 835 Mio. €, das eingeteilt ist in rd. 320 Mi. nennwertlose Stammaktien und rd. 2,7 Mio. nennwertlose Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Sie ist die Restgesellschaft der ehemaligen M. Group, die mit diversen Tochtergesellschaften im Bereich Groß- und Lebensmitteleinzelhandel (M. C. und R.) sowie im Bereich Elektronikfachhandel (M. und S.) tätig war. Die M. Group war an dem Lebensmittelgeschäft über Tochtergesellschaften zu 100 % beteiligt. An dem Elektronikgeschäft war sie über die M. -Holding GmbH beteiligt, deren Geschäftsanteile sie zu 78,38 % mittelbar hielt. Die übrigen 21,62 % der Geschäftsanteile an der M. Holding GmbH hielt die Gründerfamilie mittelbar über eine Beteiligungsgesellschaft, deren hundertprozentige Tochtergesellschaft die Klägerin zu 1) ist.

Am 13.12.2016 schlossen die Beklagte, damals firmierend als M. AG, und ihre hundertprozentige Tochtergesellschaft M. W. AG einen Ausgliederungs- und Abspaltungsvertrag, in dem die Aufteilung in zwei auf ihr jeweiliges Marktsegment spezialisierte börsennotierte Aktiengesellschaften vereinbart wurde. Die Aufteilung sollte dergestalt erfolgen, dass die Vermögensgegenstände des Geschäftsbereichs Lebensmittel von der Beklagten auf die MW. AG gegen die Gewährung von Anteilen an die Aktionäre der Beklagten (Abspaltung) bzw. die Beklagte (Ausgliederung) übertragen werden und der Teilbereich Elektronik bei der Beklagten verbleibt. Nach Eintragung der Ausgliederung und Abspaltung sollte die Beklagte ihre Firma in C. AG und die MW. AG ihre Firma in M. AG ändern. Nach der Aufteilung wurden 90 % des Grundkapitals der MW. AG von Aktionären der Beklagten gehalten. Diese Aktien wurden mittels Kapitalerhöhung zum Zwecke der Spaltung geschaffen und den Aktionären der Beklagten als Gegenleistung für die Spaltung gewährt. Die Aktien wurden im Verhältnis 1:1 zugeteilt, also für jede Stamm- bzw. Vorzugsaktie der Beklagten wurde eine Stamm- bzw. Vorzugsaktie der MW. AG gewährt (§ 18 Spaltungsvertrag).

Die Vorzugsaktien sowohl der Beklagten als auch der MW. AG gewähren eine Vorabdividende von 0,17 € je Vorzugsaktie (§ 21 der jeweiligen Satzung). Die Vorzugsaktien der Beklagten gewähren außerdem eine Mehrdividende von 0,06 € je Vorzugsaktie, die sich auf 10 % der unter Berücksichtigung der Regelung über die weitere Gewinnausschüttung an die Stammaktionäre gezahlten Dividende erhöht, wenn diese je Stammaktie 1,02 € erreicht oder übersteigt. Die Vorzugsaktien der MW. AG gewähren nur eine Mehrdividende i.H.v. 10 % der unter Berücksichtigung der Regelung über die weitere Gewinnausschüttung an die Stammaktionäre gezahlten Dividende, wenn diese je Stammaktie 1,02 € erreicht oder übersteigt.

Die verbleibenden 10 % am Grundkapital der MW. AG hielt die Beklagte, wovon ihr 1 % als Gegenleistung für die Ausgliederung gewährt wurde (§ 7 Spaltungsvertrag) und sie 9 % bereits zum Zeitpunkt der Hauptversammlung am 6.2.2017 über eine Zwischenholding hielt. Zur Vorbereitung der Spaltung wurden aus steuerlichen Gründen im September 2016 verschiedene Vermögensgegenstände des Bereichs Lebensmittel auf die MW. AG übertragen, u.a. wurde eine Kommanditbeteiligung der Beklagten an der M. GmbH & Co. KG in Höhe von 92,9 % in die Kapitalrücklage der MW. AG eingebracht. In der M. GmbH & Co. KG war ein Großteil der deutschen Immobilienaktivitäten der M. Group gebündelt. Über den bei der Beklagten verbliebenen Kommanditanteil in Höhe von rund 6,6 % haben u.a. die Beklagte und die MW. AG am 19.9.2016 einen Optionsvertrag geschlossen, welcher der Beklagten eine Put-Option und der MW. AG eine Call-Option einräumte.

Am 21.12.2016 wurde im Bundesanzeiger die Einladung zu einer Hauptversammlung der Beklagten am 6.2.2017 veröffentlicht, auf der u.a. unter Tagesordnungspunkt 11 ein Beschluss über die Zustimmung zu dem Ausgliederungs- und Spaltungsvertrag herbeigeführt werden sollte. Die Beklagte machte den Aktionären eine Kopie des Spaltungsvertrages ohne Urkundenmantel und Vollmachten auf ihrer Homepage zugänglich. Den mit der MW. AG geschlossenen Optionsvertrag legte die Beklagte nicht aus und machte ihn auch sonst nicht zugänglich. Zur Vorbereitung der Hauptversammlung erstatteten die Vorstände der Beklagten und der MW. AG einen gemeinsamen Spaltungsbericht. Die Hauptversammlung stimmte dem Spaltungsvertrag mit 99,95 % der Stimmen der Stammaktionäre zu. Sonderbeschlüsse wurden nicht gefasst. Unter Tagesordnungspunkt 3 wurde die Entlastung der Vorstandsmitglieder, unter Tagesordnungspunkt 4 die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder sowie unter Tagesordnungspunkt 9 und 10 Satzungsänderungen im Zusammenhang mit der Abspaltung beschlossen. Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten und haben in der Hauptversammlung Widerspruch gegen alle gefassten Beschlüsse zur Niederschrift des Notars erklärt.

Auf Antrag der Beklagten hat das OLG im Freigabeverfahren festgestellt, dass die Erhebung der Klagen gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten vom 6.2.2017 zu Tagesordnungspunkt 11 der Eintragung der Ausgliederung und Abspaltung in das Handelsregister nicht entgegenstehe. Die Eintragung erfolgte daraufhin am 12.7.2017. Die Kläger begehren in unterschiedlichem Umfang die Feststellung der Nichtigkeit, die Nichtigerklärung oder die Feststellung der Unwirksamkeit der unter Tagesordnungspunkt 3 (Entlastung Vorstand 2016/2017), Tagesordnungspunkt 4 (Entlastung Aufsichtsrat 2016/2017), Tagesordnungspunkt 9 (Satzungsänderung Firma), Tagesordnungspunkt 10 (Neufassung Satzung) und Tagesordnungspunkt 11 (Zustimmung zum Ausgliederungs- und Spaltungsvertrag) gefassten Beschlüsse.

Das LG wies die Klagen ab. Das OLG wies die Berufungen der Kläger und des Nebenintervenienten zu 3) zurück. Die Revisionen des Klägers und des Nebenintervenienten zu 3) hatten vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der unter Tagesordnungspunkt 11 gefasste Beschluss über die Zustimmung zum Ausgliederungs- und Abspaltungsvertrag ist weder nach § 243 AktG anfechtbar noch unwirksam.

Im Ergebnis ist die Auffassung des OLG zutreffend, dass der Beschluss zu Tagesordnungspunkt 11 nicht wegen der Verletzung des Einsichtsrechts der Aktionäre anfechtbar ist, § 243 Abs. 1 AktG. Zwar hat die Beklagte die ihr nach §§ 125, 63, 64 UmwG obliegenden gesetzlichen Informationspflichten verletzt, die Anfechtung ist aber nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG ausgeschlossen. Der Beschluss zu Tagesordnungspunkt 11 ist auch nicht wegen Verletzung des Auskunftsrechts der Aktionäre nach § 131 Abs. 1 AktG anfechtbar, § 243 Abs. 1 AktG. Der Hauptversammlungsbeschluss zu Tagesordnungspunkt 11 ist auch nicht nach § 128 Satz 1 UmwG unwirksam, weil ihm nicht alle Aktionäre zugestimmt haben. Gem. § 128 Satz 1 UmwG wird ein Spaltungs- und Übernahmevertrag nur wirksam, wenn ihm alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers zustimmen, insofern bei Abspaltung die Anteile des übernehmenden Rechtsträgers den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers nicht in dem Verhältnis zugeteilt werden, das ihrer Beteiligung an dem übertragenden Rechtsträger entspricht. Die Abspaltung erfolgte aber verhältniswahrend.

Ein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre zu dem Hauptversammlungsbeschluss zu Tagesordnungspunkt 11 war auch nicht nach § 141 Abs. 1 AktG erforderlich, wovon das OLG im Ergebnis zutreffend ausgegangen ist. Ein Beschluss, durch den der Vorzug aufgehoben oder beschränkt wird, bedarf nach § 141 Abs. 1 AktG zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. Zwar schließen die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (§ 65 Abs. 2, § 23 UmwG) die Anwendbarkeit des § 141 Abs. 1 AktG auf den Abspaltungsbeschluss nicht aus. Der Abspaltungsbeschluss der Beklagten beschränkt den Gewinnvorzug aber nicht i.S.v. § 141 Abs. 1 AktG. Die Vorschriften des UmwG schließen die Anwendbarkeit von § 141 AktG nicht aus. Ungeachtet der Regelung in § 65 Abs. 2 UmwG kann ein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1 AktG erforderlich sein. §§ 140 f. AktG und § 65 Abs. 2 UmwG sind nebeneinander anzuwendende, einander ergänzende Regelungen.

Ein Sonderbeschluss der Stammaktionäre nach § 65 Abs. 2 Satz 2 UmwG ist nicht erforderlich, wenn es neben den stimmberechtigten Stammaktien als weitere Aktiengattung nur stimmrechtslose Vorzugsaktien gibt, wie das OLG rechtsfehlerfrei angenommen hat. Nach dem Wortlaut des § 65 Abs. 2 UmwG muss zwar ein Sonderbeschluss gefasst werden, wenn mindestens zwei Gattungen von Aktien existieren. Gibt es neben den stimmberechtigten Stammaktien aber nur stimmrechtslose Vorzugsaktien, wäre es reine Förmelei, einen Sonderbeschluss der Stammaktionäre zu fordern. Es käme zu einer unnötigen Beschlussdoppelung, wenn dieselben Aktionäre zu demselben Tagesordnungspunkt ein zweites Mal abstimmen müssten. Der Sonderbeschluss der Stammaktionäre ist materiell-rechtlich eine Zustimmung zu dem Hauptversammlungsbeschluss, der bereits allein mit ihren Stimmen gefasst wurde. Eine über das allgemeine Zustimmungserfordernis der §§ 125, 13 UmwG hinausgehende Warnfunktion kommt dem Sonderbeschluss nach § 65 Abs. 2 UmwG nicht zu.

Der zu Tagesordnungspunkt 11 gefasste Beschluss der Hauptversammlung ist auch nicht wegen eines Formmangels des Spaltungsvertrags anfechtbar. Das OLG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Spaltungsvertrag nicht an einem Mangel der notariellen Beurkundung leidet. Der Spaltungsvertrag musste nicht gemeinsam mit dem im September 2016 geschlossenen Optionsvertrag beurkundet werden. Der Spaltungsvertrag vom 13.12.2016 war nach § 6 UmwG i.V.m. § 125 Satz 1 UmwG notariell zu beurkunden. Für den Umfang der Beurkundungspflicht kann auf die zu § 311b Abs. 1, 3 BGB entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Danach unterliegen der Beurkundungspflicht nicht nur der Spaltungsvertrag selbst, sondern sämtliche Abreden, die nach dem Willen der Beteiligten mit dem Spaltungsvertrag ein einheitliches Ganzes bilden, also mit ihm stehen und fallen sollen. Erforderlich ist ein rechtlicher Zusammenhang dergestalt, dass ein Geschäft nicht ohne das andere durchgeführt werden soll. Ein bloß wirtschaftlicher Zusammenhang, der vorliegt, wenn ein Geschäft für das andere bloßer Anlass war oder dieses erst ermöglicht hat, genügt nicht. Gleichgültig ist, ob die zusammenhängenden Vereinbarungen in einer oder mehreren Urkunden niedergelegt werden. Bilden Rechtsgeschäfte ein einheitliches Ganzes in diesem Sinne, muss der Verknüpfungswille ebenfalls beurkundet werden, also in den Urkunden eindeutig zum Ausdruck kommen.

Die Beurteilung, ob ein einheitliches beurkundungsbedürftiges Rechtsgeschäft vorliegt, obliegt im Einzelfall dem Tatrichter. Das Revisionsgericht überprüft nur, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt ist und ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind. Dieser Überprüfung hält die Auslegung durch das OLG stand, das nach ausführlicher Würdigung der vertraglichen Regelungen keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen Spaltungs- und Optionsvertrag gesehen, sondern angenommen hat, dass diese Verträge nach dem Willen der Beteiligten nicht miteinander "stehen und fallen" sollten.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.04.2021 17:19
Quelle: BGH online

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