BGH v. 29.4.2021 - IX ZB 25/20

Geschäftsführer: Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte wegen Einmalleistung aus Kapitallebensversicherung nach Pfandreife

Erhält der Schuldner aus einer Kapitallebensversicherung, die ihm zur Sicherung für Ansprüche aus einer für seine Tätigkeit als Geschäftsführer erteilten Pensionszusage wirksam verpfändet ist, nach Pfandreife eine Einmalleistung, kann er hierfür Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte geltend machen. Dem steht nicht entgegen, dass die Voraussetzungen des besonderen Pfändungsschutzes bei Altersrenten nicht gegeben sind.

Der Sachverhalt:
Im Jahr 2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des im Jahr 1949 geborenen Schuldners eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Schuldner bezieht eine gesetzliche Altersrente. Er war zuvor Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die ihm eine Versorgungszusage erteilt hatte, nach der er ab Erreichen des 65. Lebensjahres eine Pension von mtl. 3.000 DM, wahlweise eine Kapitalabfindung beanspruchen konnte. Zur Sicherung des Versorgungsanspruchs verpfändete ihm die GmbH zwei von ihr bei der A-AG als Rückdeckungsversicherungen abgeschlossene Lebensversicherungen mit Kapitalwahlrecht. Die Versicherungszeiträume waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners abgelaufen. Die Ablaufleistungen der Versicherungen betrugen rd. 130.000 € und 145.000 €.

Die Versicherungsleistungen wurden am 21.3.2018 einem von dem Insolvenzverwalter eingerichteten Anderkonto gutgeschrieben. Mit Schreiben vom 31.3.2018 beantragte der Schuldner, ihm einen Betrag von rd. 650 € mtl. pfandfrei zu belassen und den Insolvenzverwalter anzuweisen, zur Sicherung der Unterhaltsrente einen Betrag von 140.000 € nicht für die Masse zu verwerten. Der Insolvenzverwalter trat dem insbesondere mit der Auffassung entgegen, § 850i ZPO sei nicht mehr anwendbar, weil die Versicherungsleistungen vor Stellung des Pfändungsschutzantrags ausbezahlt worden seien.

Das AG - Insolvenzgericht – ordnete an, dem Schuldner insgesamt einen Teilbetrag von rd. 7.000 € nach § 850i ZPO pfandfrei zu belassen, wobei es nach Würdigung von Bedarf und Einkommen eine mtl. Unterdeckung i.H.v. rd. 170 € angenommen und als angemessenen Zeitraum i.S.d. § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechend der Zeitspanne zwischen Antragstellung und Ablauf der Abtretungserklärung 40 Monate zu Grunde gelegt hat. Gegen diesen Beschluss legten sowohl der Schuldner als auch der weitere Beteiligte sofortige Beschwerde ein. Das LG änderte den Beschluss ab, wies den Antrag auf Pfändungsschutz insgesamt zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Die Beschwerdeentscheidung wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners am 5.6.2019 zugestellt. Mit am gleichen Tag beim BGH eingegangenen Schriftsatz vom 3.7.2019 beantragte der Schuldner Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein ursprüngliches Begehren weiter.

Der BGH gewährte dem Schuldner gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hob den Beschluss auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Der durch den Schuldner beantragte Pfändungsschutz nach § 850i ZPO ist nicht aus den von dem LG angeführten Gründen ausgeschlossen.

Die dem Schuldner verpfändeten Versicherungsansprüche unterfallen dem Anwendungsbereich des § 850i ZPO. Es handelt sich bei den Ansprüchen des Schuldners aus den ihm verpfändeten Rückdeckungsversicherungen um selbst erwirtschaftete Einkünfte. Die dem Schuldner erteilte Pensionszusage hat nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter und steht damit der Leistung des Schuldners auch als Gegenleistung aus dem Dienstverhältnis gegenüber. Diese Pensionszusage wurde durch die verpfändeten Rückdeckungsversicherungen abgesichert. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist die Pensionszusage als Teil der Vergütung des Schuldners zu sehen, die durch ihn selbst erwirtschaftet worden ist. In der Folge sind die Ansprüche des Schuldners aus den ihm verpfändeten Rückdeckungsversicherungen vollstreckungsrechtlich wie von ihm selbst erwirtschaftete Einkünfte zu behandeln. Einem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO steht nicht entgegen, dass die Ansprüche aus den Versicherungen nicht die Anforderungen an eine nach § 851c ZPO geschützte Altersvorsorge erfüllen.

Nach § 850i Abs. 3 ZPO bleiben die Bestimmungen der Versicherungs-, Versorgungs- und sonstigen gesetzlichen Vorschriften über die Pfändung von Ansprüchen bestimmter Art unberührt. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei den besonderen Pfändungsschutzvorschriften der § 851a ZPO (Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse), § 851b ZPO (Miet- und Pachtzinsen), § 851c ZPO (Altersrenten), § 851d ZPO (steuerlich gefördertes Altersvorsorgevermögen) und § 852 ZPO (Pflichtteil, Zugewinnausgleich, Herausgabe eines Geschenks) im Verhältnis zu § 850i ZPO um abschließende Sonderregelungen handelt oder ob sie einen ergänzenden Pfändungsschutz für bestimmte Einkünfte gewähren. Zwar wird § 851c ZPO als Sonderregelung angesehen, die speziell für den Pfändungsschutz der Altersvorsorge Selbständiger bestimmt ist. Vorrangig sind die spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 851c, 851d ZPO, soweit es um den automatischen Pfändungsschutz für laufende Zahlungen und den Schutz des Vorsorgekapitals geht. § 850i ZPO findet auf Fallgestaltungen, für die die spezielle Schutzregelung des § 851c ZPO gilt, keine Anwendung.

Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass ein an sich nach § 850i ZPO begründeter Pfändungsschutz immer dann entfällt, wenn die betreffenden Einkünfte zugleich einzelne, jedoch nicht alle der Voraussetzungen des § 851c ZPO erfüllen. Dementsprechend hat der BGH einen Pfändungsschutz nach Maßgabe des § 850i ZPO für Lebensversicherungen als Altersversorgung abhängig Beschäftigter für möglich gehalten, die nicht unter § 850 Abs. 3 Buchst. b ZPO fallen, weil sie nicht als Rente, sondern als Kapitalabfindung gewährt werden. Ferner hat das BAG den Pfändungsschutz für Kapitalleistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung dem Anwendungsbereich des § 850i ZPO zugeordnet. Die Annahme des LG, bei § 851c ZPO handele es sich um eine abschließende Sonderregelung mit Sperrwirkung, wenn eine tatbestandliche Überschneidung mit anderen Pfändungsschutznormen zwar nicht vorläge, aber eine Versicherungsleistung mit Versorgungsfunktion betroffen wäre, erforderte eine Abgrenzung, wann eine Versicherungsleistung, die nicht in den Anwendungsbereich des § 851c ZPO fiele, von der Ausschlusswirkung erfasst würde, die diese Norm für jeglichen Pfändungsschutz nach anderen Vorschriften bewirken würde.

Dies führte zu Wertungswidersprüchen, die weder in dem Gesetzeszweck des § 851c ZPO noch in dem des § 850i ZPO eine Rechtfertigung finden. Es widerspräche dem Zweck des § 850i ZPO, Schutzlücken für Selbständige zu schließen, wenn nach § 850i ZPO zwar Kapitalleistungen aus Lebensversicherungen ohne Rentenwahlrecht geschützt würden, da keine der Voraussetzungen des § 851c ZPO erfüllt wären, aber bei Leistungen aus Lebensversicherungen mit Renten- und Kapitalwahlrecht, sofern und soweit diese ebenfalls eigenständig erwirtschaftete Einkünfte darstellen und wirtschaftlich an die Stelle eines nicht mehr erwirtschafteten Einkommens treten können, aufgrund einer Sperrwirkung des § 851c ZPO jeglicher Pfändungsschutz entfiele. Das liefe dem Schutzgedanken des § 850i ZPO, alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte des Schuldners der Unterhaltssicherung verfügbar zu machen, zuwider. Die mit § 850i ZPO verfolgte Absicht des Gesetzgebers, den Pfändungsschutz für nicht abhängig Erwerbstätige auf den gesamten selbst erwirtschafteten Lebensunterhalt zu erweitern und so das Existenzminimum zu schützen, um öffentliche Haushalte von Transferleistungen zu entlasten, streitet dagegen, diese Zwecke bei Einkünften aus Versicherungen, die nicht nach § 851c ZPO (oder § 850 Abs. 3 Buchst. b ZPO oder § 851d ZPO) qualifiziert sind, zurückzustellen. Auch aus Wortlaut, Systematik und Zweck des § 851c ZPO lässt sich die Annahme einer solchen Sperrwirkung i.Ü. nicht begründen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.07.2021 10:40
Quelle: BGH online

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