OLG Zweibrücken v. 18.8.2021 - 4 U 3/21

EuGH-Vorlage: Frage der Zulässigkeit eines pauschalisierten Mindestschadens i.H.d. vierfachen Lizenzgebühr nach dem Gemeinschaftssortenrecht

Ist Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24.7.1995 über die Ausnahmeregelung gem. Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, soweit unter den dort genannten Voraussetzungen ein Mindestschadensersatz in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr verlangt werden kann, vereinbar mit der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.7.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (“Grundverordnung“), insbesondere mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1?

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine in Form einer GmbH organisierte Vereinigung von Sortenschutzberechtigten; sie ist von diesen mit der Wahrnehmung ihrer Schutzrechte, insbesondere mit der Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen in eigenem Namen beauftragt worden. Der Beklagte ist Landwirt und war von der Klägerin in erster Instanz u.a. auf Auskunft über den von ihm betriebenen Nachbau bezüglich der nach Gemeinschaftsrecht geschützten Wintergerstensorte „K. M.“ in Anspruch genommen worden.

Nachdem der Beklagte die für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 gem. Art. 94 Abs. 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.7.1994 als Schadensersatz (angemessene Vergütung) eingeklagte einfache übliche Lizenzgebühr (Z-Lizenzgebühr = 11,95 € pro dt), die für die Erzeugung in Lizenz zu zahlen wäre, i.H.v. 537,75 € (11,95 € x 45 dt) bezahlt hatte, verlangte die Klägerin die Zahlung eines weitergehenden Schadensersatzes i.H.v. 2.151 € (vierfache pauschale Lizenzgebühr für die Wirtschaftsjahre 2013/2014 und 2014/2015 jeweils unter Anrechung der nachträglich gezahlten einfachen Lizenzgebühr i.H.v. 310,70 € und 406,30 € = 932,10 € und 1.218,90 €) und in Höhe von 1.613,25 € (vierfache pauschale Lizenzgebühr für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 unter Anrechnung der einfachen Lizenzgebühr) gem. Art. 94 Abs. 2 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 i.V.m. Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24.7.1995.

Der Beklagte hat erstinstanzlich die Berechtigung dieses weitergehenden Zahlungsbegehrens in Abrede gestellt. Er vertrat die Ansicht, dass durch die Zahlung der einfachen Lizenzgebühr statt der Nachbaugebühr (Art. 5 Abs. 5 der (Durchführungs-)Verordnung (EG) Nr. 1768/95 i.V.m. der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3.12.1998 der durch sein unerlaubtes Verhalten bei dem Sortenrechtsinhaber eingetretene Schaden ausreichend kompensiert worden sei. Ein zusätzlicher pauschalierter „Strafschadensersatz“ sei mit der EuGH-Rechtsprechung nicht zu vereinbaren.

Das LG hat den Klageanträgen, mit Ausnahme eines Betrages i.H.v. 0,25 €, stattgegeben. Zur Begründung für die Zuerkennung von weiterem Schadensersatz wurde der eindeutige Wortlaut von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 angeführt. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
Die Entscheidung über die Berufung des Beklagten hängt ausschließlich davon ab, ob Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 gültig ist oder nicht. Die dort von der Kommission getroffene Bestimmung eines pauschalierten Mindestschadens in Höhe einer vierfachen Lizenzgebühr könnte gegen wesentliche Grundsätze von Art. 94 Abs. 2 Satz 1 Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 verstoßen und deshalb nichtig sein.

Dafür lässt sich anführen, dass bereits Art. 94 Abs. 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 dem Ausgleich des vom Verletzer (nicht privilegierter Landwirt i.S.v. Art. 14 dieser Verordnung) gezogenen Vorteils dient, der einem Betrag in Höhe der einfachen Lizenzgebühr (angemessene Vergütung) entspricht. In diesem Kontext könnte Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 dahingehend zu verstehen sein, dass der Sortenschutzinhaber im Fall eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoßes einen Anspruch auf Ersatz eines weitergehenden Schadens (nur) haben soll, wenn er diesen konkret darlegen kann.

Nach Dafürhalten des vorlegenden Gerichts deutet die bisherige EuGH-Rechtsprechung darauf hin, dass mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 eine normative Pauschalierung eines Mindestschadens - entgegen der in Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 getroffenen Regelung - nicht zu vereinbaren ist. Die Beantwortung der hier offenen Frage ist dem EuGH vorbehalten. Eine Durchführungsverordnung, die aufgrund einer Ermächtigung in einer Grundverordnung erlassen wurde, darf von deren Bestimmungen nicht abweichen und ist bei entsprechendem Widerspruch für ungültig zu erklären.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.10.2021 12:07
Quelle: Justizportal Rheinland-Pfalz

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