Aktuell in der GmbHR

Die digitale GmbH-Gründung: Ein Entwicklungssprung für die vorsorgende Rechtspflege (Teichmann, GmbHR 2021, 1237)

Am 1.8.2022 wird das altehrwürdige GmbH-Gesetz endgültig im digitalen Zeitalter ankommen. An diesem Tag tritt das Gesetz zur Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie in Kraft, das eine voll elektronische GmbH-Gründung gestattet. Die Gründer werden sich nicht mehr persönlich zum Notar begeben müssen, sondern können ihre GmbH mit Handy und Laptop gründen. Dieser Digitalisierungsschritt war in Deutschland anfangs heftig umstritten, scheint er doch an den Grundfesten des hergebrachten Modells der vorsorgenden Rechtspflege zu rütteln. Ohne persönliches Erscheinen vor einem Notar könne eine qualitativ hochwertige Gründung nicht gewährleistet werden, hieß es seinerzeit. Für diese Bedenken herrschte auf europäischer Ebene zunächst wenig Verständnis, obwohl auch die gesellschaftsrechtliche Richtlinie durchaus ein Element der vorsorgenden Rechtspflege enthält. Offenbar stimmen aber das deutsche und das europäische Verständnis von vorsorgender Rechtspflege nicht gänzlich überein. Zur elektronischen GmbH-Gründung wurden dann über die Jahre verschiedene Vorschläge diskutiert. Dieser rechtspolitische Diskurs führte am Ende zu einer wechselseitigen Annäherung: Die deutsche Seite freundete sich mit dem Verfahren einer elektronischen Gründung an, bei dem die Qualität der vorsorgenden Rechtspflege aufrechterhalten werden kann; zugleich ist es gelungen, die vorsorgende Rechtspflege stärker als bislang im harmonisierten EU-Recht zu verankern. Die 2019 verabschiedete Digitalisierungsrichtlinie hat der deutsche Gesetzgeber kürzlich im sog. DiRUG umgesetzt. Auf dieser Basis könnte sich das neue Angebot einer elektronischen Gründung durch Notarinnen und Notare zukünftig sogar zum internationalen Standortvorteil entwickeln.

I. Vorsorgende Rechtspflege im Handels- und  Gesellschaftsrecht
1. Deutsches Verständnis von vorsorgender Rechtspflege
a) Präventive Konfliktvermeidung
b) Notarielle Betreuung von Gesellschaftsverträgen und Handelsregisteranmeldungen
c) Senkung von Transaktionskosten
2. Europäisches Verständnis von vorsorgender Rechtspflege
a) Europäisches Informationsmodell
b) Ausformung der vorsorgenden Rechtspflege im Richtlinienrecht
aa) Gründungskontrolle
bb) Nichtigkeit von Gesellschaften
cc) Organschaftliche Vertretungsbefugnis
c) Unterschiedliches Verständnis in den Mitgliedstaaten
II. Rechtspolitische Entwicklung der Online-Gründung
1. Gründungsverfahren im SPE-Vorschlag
2. Elektronische Gründung im SUP-Vorschlag
a) Kernelemente der elektronischen SUP-Gründung
b) Kritische Würdigung
c) Kompromisslinie: Online-Gründung durch Notare
3. Company Law Package
a) Zügige Verabschiedung auf Basis der vorangegangenen Diskussionen
b) Neues Kapitel zur Online-Gründung in der GesRRL
c) Aufwertung der vorsorgenden Rechtspflege
d) Ausstrahlung auf die nicht-digitale Gründung
III. Notarielle Online-Gründung und vorsorgende Rechtspflege
1. Online-Gründung der GmbH: Pilotprojekt für die digitale vorsorgende Rechtspflege
a) Verankerung im Beurkundungsgesetz
b) Qualitative Kontinuität in der vorsorgenden Rechtspflege
c) Zu erwartende Ausdehnung auf andere formbedürftige Rechtsakte
2. Notarielle Gatekeeper-Funktion bei grenzüberschreitenden Gründungen
a) Identifizierung der Beteiligten
b) Gründung durch juristische Personen oder Personengesellschaften
c) Unterschiedliche Qualität der Register in Europa
d) Gründung von Mehrpersonengesellschaften
IV. Fazit


I. Vorsorgende Rechtspflege im Handels- und
Gesellschaftsrecht

1. Deutsches Verständnis von vorsorgender Rechtspflege

a) Präventive Konfliktvermeidung

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Die „vorsorgende Rechtspflege“ ist ein Markenzeichen des deutschen Rechts, das wesentlich von der notariellen Tätigkeit geprägt wird. Notarinnen und Notare werden gem. § 1 BNotO als unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes „für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege“ bestellt. Im Gegensatz zur streitigen Gerichtsbarkeit, die sich vergangenheitsbezogen mit rechtlichen Konflikten befasst, hat die vorsorgende Rechtspflege eine präventive Ausrichtung. Sie will Streit von vornherein vermeiden. Notarinnen und Notare  tragen dazu bei, indem sie einen rechtlich relevanten Vorgang umfassend begleiten und die Parteien rechtlich beraten. Sie unterstützen die Beteiligten bei der interessengerechten Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse und stellen zugleich deren rechtliche Wirksamkeit sicher.  Soweit sie im Rahmen einer Beurkundung tätig werden, sind sie unparteiisch tätig und allen Beteiligten gleichermaßen verpflichtet.

b) Notarielle Betreuung von Gesellschaftsverträgen und Handelsregisteranmeldungen
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Im Handels- und Gesellschaftsrecht übernehmen Notare verschiedene Aufgaben, die der vorsorgenden Rechtspflege zuzuordnen sind. Das rechtliche Scharnier dafür bilden die spezialgesetzlichen Formvorschriften: GmbH-Gesellschaftsverträge (§ 2 Abs. 1 GmbHG) und AG-Satzungen (§ 23 Abs. 1 AktG) bedürfen der notariellen Beurkundung. Dies dient der interessengerechten und rechtswirksamen Gestaltung von Gesellschaftsverträgen. Mit der Beurkundungspflicht wird die gesamte Palette der notariellen Aufgaben und Pflichten, die sich im Beurkundungsgesetz und in den berufsrechtlichen Regelungen finden, in das Gesellschaftsrecht integriert: Die Notarin prüft die Identität der Beteiligten, berät sie bei der Vertragsgestaltung und gewährleistet die rechtliche Wirksamkeit der getroffenen Regelungen.

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Ein zweites Element der vorsorgenden Rechtspflege liegt in der Vorbereitung und Einreichung von Handelsregisteranmeldungen. Die hier maßgebliche Form der öffentlichen Beglaubigung (§§ 12 HGB, 129 BGB) zielt zwar grundsätzlich nur auf eine Identitätsprüfung ab und nicht auf eine Prüfung des Erklärungsinhaltes.  Im Handelsregisterwesen existiert allerdings eine Sonderregelung. Hier sind Anmeldungen gem. § 378 Abs. 3 FamFG von einem Notar „auf Eintragungsfähigkeit“ zu überprüfen. Er übernimmt damit eine „Filter- und Entlastungsfunktion“, indem er unzulässige, sachwidrige oder missverständliche Anträge von den Registergerichten fernhält.

c) Senkung von Transaktionskosten
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Schon dieser kursorische Blick auf die notarielle Tätigkeit bei der Gründung von Kapitalgesellschaften und beim Vollzug von Handelsregisteranmeldungen belegt, dass sich vorsorgende Rechtspflege im Handels- und Gesellschaftsrecht nicht auf die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten reduzieren lässt. Diese Funktion ist zwar mit abgedeckt. Denn die notarielle Beurkundung trägt dazu bei, dass Gesellschaftsverträge interessengerecht ausgestaltet sind und für künftige Konfliktfälle angemessene Vorsorge treffen. Wer beispielsweise eine klare Regelung für den Ausschluss eines Gesellschafters und für die Berechnung der dabei fälligen Abfindung getroffen hat, der muss diese Fragen später nicht vor Gericht klären.

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Das gesetzliche Handelsregisterverfahren hat aber noch eine darüber hinausweisende Funktion: Wenn das Handelsregister zuverlässige Informationen bereithält, so führt dies zur Senkung von Transaktionskosten. Geschäftspartner können sich kostengünstig und zuverlässig über diejenigen rechtlichen Daten informieren, die für einen wirksamen Vertragsschluss wesentlich sind. Den Stellenwert dieser Informationsquelle verdeutlicht ein Blick in Rechtsordnungen, die ein Handelsregister kontinentaleuropäischer Prägung nicht kennen. So ist es in den USA gang und gäbe, vor wichtigen Geschäftsabschlüssen eine Legal Opinion zu der Frage einzuholen, ob der Vertragspartner als juristische Person überhaupt existiert und ob die für ihn handelnden Personen vertretungsbefugt sind.

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Eine mit Publizitätswirkung versehene Eintragung, die all diese Prüfungen entbehrlich machen würde, gibt es in den USA nicht. In Deutschland hingegen kann man sich den Zeit- und Kostenaufwand für langatmige Rechtsgutachten getrost sparen. Denn die Existenz der Gesellschaft und die Vertretungsmacht ihrer Organe lassen sich durch einen Blick in das Handelsregister zweifelsfrei und rechtssicher klären. Die deutsche Rechts- und Wirtschaftsordnung hat daher ein elementares Interesse daran, die ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.11.2021 14:07
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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