Aktuell in der GmbHR

Bedeutung und Grenzen der Legitimationswirkung der Gesellschafterliste gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ( Bayer/Horner/Möller, GmbHR 2022, 1)

Der II. Zivilsenat des BGH hat in neuerer Zeit in mehreren Entscheidungen die traditionelle Dogmatik zur Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG mehrfach bekräftigt, indes vereinzelt auch Formulierungen gewählt, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben, im Schrifttum unterschiedlich aufgenommen wurden und in ihren Aus- und Folgewirkungen daher einer eingehenderen Untersuchung bedürfen. Die Ausführungen wollen einen weiteren Beitrag leisten zu einer stringenten und auch sachgerechten Dogmatik einerseits des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, andererseits aber auch zur Parallelvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 1 AktG.

I. Neuere BGH-Rechtsprechung
1. BGH vom 20.11.2018
2. BGH vom 2.7.2019
3. BGH vom 10.11.2020
4. BGH vom 26.1.2021
II. Kritik und Arbeitsprogramm
III. Entstehungsgeschichte des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG: Die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nach dem Vorbild der Legitimationswirkung des Aktienregisters

IV. Grundlagen der Dogmatik der Legitimationswirkung
1. Begriff und Bedeutung der „Legitimationswirkung“
2. Entkoppelung von formaler und materieller Gesellschafterstellung
a) Keine Auswirkungen einer unzutreffenden (Nicht-)Eintragung auf die materielle Rechtslage
b) Eintragung legitimiert ungeachtet der materiellen Rechtslage
3. Umfang der Legitimationswirkung
4. Voraussetzungen der Legitimationswirkung
5. Listenänderung und Listenkorrektur
a) Unterscheidung
b) Listenänderung
c) Listenkorrektur
d) Rechtswirkungen
V. Stellungnahme zu den durch die neuere BGH-Rechtsprechung aufgeworfenen aktuellen Fragestellungen
1. Verhältnis der Gesellschaft zu dem nicht eingetragenen wahren Anteilsinhaber
a) Problemskizze und bisheriger Meinungsstand
b) Auseinandersetzung mit der Fundamentalkritik von Altmeppen
aa) Schutzrichtung der § 67 Abs. 2 AktG, § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG
bb) Normzweck
cc) Keine Haftungslücke
c) Die obiter dicta des BGH
aa) Erwägungen des II. Zivilsenats
bb) Stellungnahme
d) Teleologische Bewertung
e) Ergebnis
2. Durchbrechungen der Legitimationswirkung
a) Problemskizze
b) Stellungnahme und Erörterung offener Fragen
aa) Pragmatische Durchbrechung der Legitimationswirkung
bb) Anfechtungsbefugnis
cc) Treuwidrige Berufung auf Legitimationswirkung
dd) Schwerwiegende Mängel im Eintragungsverfahren
ee) Beweislast
3. Verfrühte Listenänderung durch Geschäftsführer bzw. Notar
VI. Zusammenfassung


I. Neuere BGH-Rechtsprechung

1. BGH vom 20.11.2018

1
In der Grundsatzentscheidung vom 20.11.2018  stellt der II. Zivilsenat in Übereinstimmung mit der ganz h.M.  fest, dass die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG auch bei eingezogenen Geschäftsanteilen greift.  Daraus folgert der Senat, dass auch die Stimmabgabe des (noch) in der Gesellschafterliste eingetragenen klagenden Gesellschafters im Hinblick auf verschiedene Beschlussfassungen in einer (zweiten) Gesellschafterversammlung vom 28.7.2015 von der beklagten GmbH hätte berücksichtigt werden müssen.  Dieses Ergebnis sei auch weder nach § 242 BGB  noch im Hinblick auf die gesellschafterliche Treuepflicht  zu korrigieren; eine solche Korrektur würde vielmehr gerade „die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG unterlaufen“ und die mit der Regelung bezweckte Rechtssicherheit wieder beseitigen.

2
Zur Beschlussfassung über die Einziehung des Geschäftsanteils in der (ersten) Gesellschafterversammlung vom 7.3.2014 stellt der BGH im Hinblick auf den die Zwangseinziehung rechtfertigenden wichtigen Grund (wiederum in Übereinstimmung mit der ganz h.M.) auf den (noch) in der Liste eingetragenen bisherigen Gesellschafter ab und nicht auf den neuen materiellen Inhaber des Geschäftsanteils, der diesen zwei Tage vor der Beschlussfassung über die Einziehung rechtsgeschäftlich erworben hatte.  Allerdings lässt der Senat in einem obiter dictum offen („bedarf hier keiner Entscheidung“), ob die Gesellschaft die Einziehung möglicherweise auch auf Gründe in der Person des Klägers als den „wahren Anteilsinhaber“ hätte stützen können.

2. BGH vom 2.7.2019
3
In der Entscheidung vom 2.7.2019  bekräftigt der II. Zivilsenat zunächst seine bisherige Rechtsprechung zur Legitimationswirkung der Gesellschafterliste:  Zum einen wird ausgeführt, dass (nur) dem in der Liste aufgeführten Gesellschafter „sämtliche Mitgliedschaftsrechte [...] gegenüber der Gesellschaft zu[stehen], ohne dass es auf seine wahre Berechtigung ankommt“ , zum anderen entfalte § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG aber auch eine „negative Legitimationswirkung“ zu Lasten des nach erfolgter Einziehung des Geschäftsanteils nicht mehr in der Liste aufgeführten Gesellschafters, und zwar „ungeachtet der Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses“ mit der Folge, dass dieser Gesellschafter „seine mitgliedschaftlichen Rechte nicht länger ausüben [kann]“.
4
Bedeutsam ist das Urteil aber darüber hinaus insbesondere deshalb, weil der II. Zivilsenat nunmehr erstmals entscheidungserheblich ausspricht,  dass sich die Gesellschaft nach Treu und Glauben auf die Legitimationswirkung einer Gesellschafterliste „unter anderem dann nicht berufen [kann]“, wenn sie selbst – wie hier – „durch unredliches Verhalten die Aufnahme der Gesellschafterliste im Handelsregister herbeigeführt hat“.

5
Weiterhin wird bekräftigt, dass ein Notar bei Streit um die Wirksamkeit der Veränderung eine Gesellschafterliste erst dann einreichen dürfe, „wenn die Zweifel an der Wirksamkeit ausgeräumt wurden“.  Im Fall einer voreiligen Listeneinreichung durch den Notar sei der Geschäftsführer „nicht nur befugt,  sondern auch verpflichtet, die [...] eingereichte Gesellschafterliste zu korrigieren bzw. vom Notar korrigieren zu lassen“.

3. BGH vom 10.11.2020
6
In der BGH-Entscheidung vom 10.11.2020  verdeutlicht der II. Zivilsenat,  dass die Geschäftsführer die Gesellschafterliste nicht bereits „verfrüht“ ändern dürfen. Dies gelte insbesondere im Fall einer streitigen Zwangseinziehung. Die Geschäftsführer dürften die Liste erst dann korrigieren, wenn ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.12.2021 15:56
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite