OLG Hamm v. 13.4.2022 - 8 U 112/21

Ausscheiden eines Gesellschafters aus gemeinnütziger GmbH: Beschränkung der Abfindung auf den Nennbetrag der Stammeinlage zulässig

Die Regelung in der Satzung einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH), wonach im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters eine Abfindung nur in Höhe des Nennbetrages seiner Stammeinlage zu leisten ist, ist nicht nach § 138 BGB nichtig, selbst wenn ein grobes Missverhältnis zwischen dem Nennwert und dem nach allgemeinen gesetzlichen Regeln zu bestimmenden Abfindungsbetrag besteht. Wenn die Gesellschaft steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 55 ff. AO verfolgt, ist die Klausel zulässig und geboten.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der gemeinnützigen A Pflege-Dienste Ruhr gGmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin), die in B einen ambulanten Pflegedienst betrieb. Das Insolvenzverfahren wurde 2013 eröffnet.

Die Insolvenzschuldnerin war Gesellschafterin der Beklagten mit einer Stammeinlage von 1.000 €. Das Stammkapital der Beklagten beträgt insgesamt 63.000 €.

2017 schlossen die Gesellschafter die Insolvenzschuldnerin aus der Beklagten aus und bestimmten ihr Abfindungsguthaben auf den Nennwert ihrer Stammeinlage von 1.000 €. Sie beriefen sich dabei auf die Regelung im Gesellschaftsvertrag der Beklagten, wonach sich die Abfindung nach dem Nennwert des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters berechnet.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Insolvenzschuldnerin ein Anspruch auf Zahlung des vollen wirtschaftlichen Werts ihres Anteils an der Beklagten zustehe, den er auf ca. 21.000 € beziffert. Die Beschränkung der Abfindung auf den Nennbetrag der Stammeinlage hält der Kläger für insolvenzzweckwidrig. Die Regelung sei wegen des großen Abstandes zwischen dem Nennwert und dem Verkehrswert des Geschäftsanteils und der damit einhergehenden grob unbilligen Benachteiligung der Insolvenzschuldnerin als unangemessene sittenwidrige Klausel i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB zu qualifizieren und damit unwirksam.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG hat nun auch die Berufung zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der Insolvenzschuldnerin steht aufgrund der wirksamen Regelungen im Gesellschaftsvertrag der Beklagten nur eine Abfindung in Höhe des Nennwerts des Anteils, hier also i.H.v. 1.000 €, zu. Eine höhere Abfindung kann der Kläger nicht beanspruchen.

Die Regelung über die Beschränkung der Abfindung auf den Nennbetrag im Fall der Einziehung ist wirksam. Die Klausel ist nicht wegen eines großen Abstandes zwischen dem Nennwert und dem Verkehrswert und der damit einhergehenden unbilligen Benachteiligung der Insolvenzschuldnerin bzw. ihrer Gläubiger sittenwidrig, § 138 Abs. 1 BGB.

Wie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Abfindungsregelung waren, kann dahinstehen. Denn die Beschränkung des Abfindungsanspruchs auf den Nominalbetrag der Einlage ist mit Blick auf den unstreitigen sachlichen Grund für diese Regelung, nämlich den ideellen Gesellschaftszweck der Beklagten, nicht nur ausnahmsweise zulässig, sondern rechtlich geboten:

Die Beklagte ist eine gemeinnützige GmbH (vgl. § 4 Satz 2 GmbHG), die steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 55 ff. AO verfolgt, so dass die von dem Kläger beanstandete Satzungsgestaltung für sie zwingend vorgeschrieben ist. Es muss nämlich sichergestellt sein, dass die Gesellschafter keine Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten; das Vermögen der Beklagten darf selbst im Fall ihrer Auflösung nicht den Gesellschaftern zufließen, sondern ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke verwendet werden (vgl. die Mustersatzung, Anlage 1 zu § 60 AO).

Mitglieder dürfen daher auch bei ihrem Ausscheiden aus der Körperschaft oder bei Auflösung der Körperschaft nicht mehr als die eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert ihrer Sacheinlagen zurückerhalten, § 55 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Die Vorschrift dehnt das allgemeine Gewinnausschüttungsverbot des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO auf die Liquidation der Körperschaft und das Ausscheiden eines Mitglieds aus, um zu verhindern, dass das steuerbegünstigt gebildete Vermögen die steuerbegünstigte Sphäre verlässt (Weitemeyer, Fallstricke der gGmbH, GmbHR 2021, 57, 60). Eine Bestimmung in der Satzung, die zur Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderlich ist, kann nach dem Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nicht nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein. Eine Sittenwidrigkeit scheidet damit aus, ohne dass es auf ein Missverhältnis zwischen der Höhe des Abfindungsanspruchs und dem Verkehrswert des eingezogenen Geschäftsanteils ankommt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2022 14:43
Quelle: Justiz NRW online

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