Aktuell in der GmbHR

Neue Gestaltungs- und Handlungsspielräume für die inkongruente, disquotale bzw. gespaltene Gewinnverwendung und -verteilung bei der GmbH (Birkenmaier/Obser, GmbHR 2022, 850)

Nicht jede Gestaltung, die (gesellschafts-)rechtlich möglich ist, ist aus steuerlicher Sicht sinnvoll – und sei es nur, weil diesbezüglich (noch) keine Rechtssicherheit besteht. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung hat in letzter Zeit den Grundsatz, dass zivilrechtlich wirksame Gesellschafterbeschlüsse steuerlich anzuerkennen sind, wiederholt zugunsten der Steuerpflichtigen bestätigt und der Praxis damit entsprechende Gestaltungs- und Handlungsspielräume hinsichtlich liquiditätsschonender Gewinnausschüttungen in Form von inkongruenten Gewinnausschüttungen bei der GmbH eröffnet.

I. Einleitung
II. Gesellschaftsrecht

1. Ergebnisermittlung
2. Ergebnisverwendung/inkongruente Gewinnverwendung
a) Satzungsregelung, insbesondere Öffnungsklausel
b) Satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschluss
c) Gesellschaftervereinbarung/Stimmbindungsvertrag
d) Verlustrisiko des zurücktretenden Gesellschafters
3. Ergebnisverteilung/inkongruente Gewinnverteilung
a) Konkrete Satzungsregelung
b) Abstrakte Satzungsregelung: Öffnungsklausel
c) Satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschluss
4. Sonderfall: Vorabgewinnausschüttung
III. Steuerrecht
1. Ertragsteuerrecht
a) Gespaltene bzw. zeitlich inkongruente Gewinnverwendung: gesellschafterbezogene Gewinnrücklage
b) Inkongruente Gewinnverteilung
aa) Inkongruente Gewinnverteilung im Allgemeinen
bb) Sonderfall: Inkongruente Gewinnverteilung im Vorfeld von Anteilsveräußerungen
2. Schenkungsteuerrecht
a) Gespaltene bzw. zeitlich inkongruente Gewinnverwendung: gesellschafterbezogene Gewinnrücklage
b) Inkongruente Gewinnverteilung
aa) Inkongruente Gewinnverteilung im Allgemeinen
bb) Sonderfall: Inkongruente Gewinnverteilung im Vorfeld von Anteilsveräußerungen bzw. des Ausscheidens
IV. Steuerbelastungs- bzw. Liquiditätsvergleich
V. Handlungsempfehlung

1. Statutarische Öffnungsklausel für die disquotale Gewinnverteilung
2. Statutarische Öffnungsklausel für die disquotale Gewinnverwendung
3. Nachträgliche Einfügung von Öffnungsklauseln durch Satzungsänderung
4. Steuerliche Aspekte
VI. Fazit


I. Einleitung

1
Insbesondere gesellschaftsrechtlich erfolgt die Diskussion überwiegend unter dem Begriff der inkongruenten bzw. disquotalen Gewinnverteilung. Die inkongruente Gewinnverwendung, die systematisch eine Stufe vor der Gewinnverteilung liegt, wird hingegen eher stiefmütterlich behandelt. Durch ein jüngst veröffentlichtes Urteil des BFH mag die Diskussion um die inkongruente Gewinnverwendung durch Einstellung anteiliger Gewinne in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen neue Fahrt aufnehmen. In Bezug auf die disquotale Gewinnverteilung sind aber in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls weitere Pflöcke eingeschlagen worden. Auch wenn die letzte explizite Stellungnahme der Finanzverwaltung in Form eines BMF-Schreibens aus dem Jahr 2013 datiert und somit noch keine endgültige Rechtssicherheit besteht, eröffnet die Rechtsprechung doch Gestaltungs- und Handlungsspielräume und es bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung der mittlerweile ständigen Rechtsprechung zumindest im weiteren Sinne in näherer Zukunft folgen wird.

II. Gesellschaftsrecht
2
Das Recht des Gesellschafters auf Teilhabe an dem Vermögenszuwachs der Gesellschaft, das Gewinnstammrecht oder Gewinnbezugsrecht, ist Teil seines unentziehbaren Mitgliedschaftsrechts, das in § 29 GmbHG konkretisiert wird. In diesem Zusammenhang sind drei Bereiche auseinanderzuhalten:

  • Ergebnisermittlung,
  • Ergebnisverwendung und
  • Ergebnisverteilung.

1. Ergebnisermittlung
3
Die Ergebnisermittlung erfolgt im Rahmen des Jahresabschlusses, der von der Geschäftsführung aufzustellen und von der Gesellschafterversammlung festzustellen ist. Aus dem festgestellten Jahresabschluss ergibt sich das verwendungs- und damit ausschüttungsfähige Ergebnis. Ein wirksamer Feststellungsbeschluss ist Voraussetzung für einen wirksamen Ergebnisverwendungsbeschluss.

2. Ergebnisverwendung/inkongruente Gewinnverwendung
4
Soweit nicht die Bilanz bereits nach § 29 Abs. 1 Satz 2 GmbHG unter Berücksichtigung der teilweisen Ergebnisverwendung aufgestellt wurde, ist gesondert über die Ergebnisverwendung zu beschließen (§ 29 Abs. 2, § 42a Abs. 2 Satz 1, § 46 Nr. 1 GmbHG). Pauschal unterscheidet man im Rahmen der Gewinnverwendung zwischen Thesaurierung und Gewinnausschüttung. Zu den zulässigen Verwendungsarten, über die grundsätzlich frei entschieden werden kann, gehören: Einstellung in Gewinnrücklagen, Verrechnung mit Vorbelastungshaftung, Gewinnvortrag, Gewinnverteilung, zusätzlicher Aufwand oder Ertrag und sonstige Ergebnisverwendung. Der Ergebnisverwendungsbeschluss muss das gesamte verwendbare Ergebnis umfassen und zielt auf die Aufteilung der zu verwendenden Vermögensmasse zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern ab, es kommt mithin insoweit im Regelfall zu einer allgemeinen Ergebnisabgrenzung zwischen Gesellschaftsebene und Gesellschafterebene. Dazu gehört auch, dass bei der GmbH als Kapitalgesellschaft – anders als bei Personengesellschaften – sowohl die Gewinnrücklage als auch die Kapitalrücklage eine solche der Gesellschaft und nicht der Gesellschafter ist. Eine GmbH hat folglich eine Gewinnrücklage, an der die Gesellschafter – wie am Stammkapital – grundsätzlich quotenmäßig beteiligt sind.

5
Auch bilanziell bleibt es bei der GmbH bei einem einheitlichen Bilanzausweis des Postens „Gewinnrücklagen“ (§ 266 Abs. 3 A.III. HGB) bzw. des Unterpostens „andere Gewinnrücklagen“ (Nr. 4). Es erscheint jedoch zulässig und, sofern gewünscht, zweckmäßig, die Gewinnrücklage in der Buchhaltung mittels Unterkonten quotenabweichend den Gesellschaftern zuzuordnen. Aus Sicht der Gesellschaftsgläubiger, für die es in erster Linie um die Haftungsfunktion des Eigenkapitals geht, ist eine individuelle Zuordnung von Rücklagenpositionen irrelevant, da das gesamte Eigenkapital zu ihrer Befriedigung zur Verfügung steht.

a) Satzungsregelung, insbesondere Öffnungsklausel
6
Auch wenn in § 29 Abs. 2 GmbHG für die inkongruente Gewinnverwendung – anders als § 29 Abs. 3 Satz 3 GmbHG für die quotenabweichende Gewinnverteilung – nicht ausdrücklich eine gesellschaftsvertragliche Regelung postuliert wird, erscheint es angesichts der Gestaltungsfreiheit nach § 45 GmbHG zulässig und für die Praxis jedenfalls empfehlenswert, in die Satzung eine entsprechende (Öffnungs-)Klausel aufzunehmen. Eine solche allgemeine Klausel kann z.B. den Inhalt haben, dass, soweit die Gewinnverteilung nur an einzelne Gesellschafter, d.h. disquotal, erfolgt, die Zuweisung zu den Gewinnrücklagen allein...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.08.2022 09:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite