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Virtuelle Gesellschafterversammlungen - Spannende Aufgabe für die Gestaltungspraxis (Heckschen, GmbHR 2023, 105)

Die Corona-Zeit hat zu einem enormen Digitalisierungsschub, insbesondere auch im juristischen Bereich, speziell dort im gesellschaftsrechtlichen Bereich, geführt. Nach Auslaufen der coronabedingten Spezialgesetzgebung wurden inzwischen für einzelne Rechtsträger dauerhaft virtuelle Versammlungsformen ermöglicht. Eine vertiefte Diskussion zur Frage, inwieweit diese zu Präsenzformen funktionsäquivalent sind und welche Schwachstellen sich ergeben, hat bisher kaum stattgefunden. Der Beitrag analysiert die derzeitige Rechtslage und zeigt vor allem für die Gestaltungspraxis auf, wo neben Vorteilen auch Problembereiche virtueller Formate liegen.

I. Einleitung
II. Die virtuelle Versammlung bei den einzelnen Rechtsträgern

1. AG/SE/KGaA/VVaG
2. GmbH
3. Genossenschaft
4. Personengesellschaften
5. Eingetragener Verein
6. Zwischenfazit
III. Vor- und Nachteile virtueller/hybrider Versammlungen
1. Vorteile
2. Nachteile hybrider/virtueller Formate
a) Sinn und Zweck der Anteilseignerversammlung
b) Defizite bei virtuellen Versammlungen
aa) Eingangskontrolle
bb) Sicherung des korrekten Abstimmungsvorgangs
cc) Datenschutz und Datensicherheit
dd) Eingeschränkte Funktionsäquivalenz bei anderen als Präsenzformaten
(1) Defizite bei der Eingangs- und Präsenzkontrolle
(2) Datenschutz/Datensicherheit
(3) Qualität der Kommunikation
(4) Technische Probleme
IV. Konsequenz für die Gestaltungspraxis
V. Fazit
VI. Formulierungsvorschlag für eine Satzungsklausel


I. Einleitung

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Während bis zum Ende des letzten Jahrtausends die Thematik, inwieweit die Gesellschafterversammlung auch anders als in der Form einer Präsenzversammlung durchgeführt werden kann, kaum eine Rolle spielte und Versammlungen in Form einer Telefonkonferenz oder Videokonferenz trotz entsprechender technischer Möglichkeiten praktisch nicht durchgeführt worden waren, hat sich die Thematik spätestens seit der Corona-Krise deutlich in den Vordergrund geschoben. Nicht nur die Kommentarliteratur, sondern auch die Rechtsprechung hatte lange Zeit andere Formen der Gesellschafterversammlung als die Präsenzversammlung kaum diskutiert. Noch im Jahr 2006 entschied der II. Zivilsenat des BGH, dass die Kombination von verschiedenen Versammlungsformen, obwohl sie einverständlich durch die Gesellschafter durchgeführt worden war, unzulässig sei.

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Seit 2019 überschlagen sich die Digitalisierungsschritte. Die EU nahm die Digitalisierung in den Fokus und mit dem Aufkommen der Corona-Pandemie musste der Gesetzgeber schnell handeln. Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote etc. rückten die Online-Versammlung und andere Formate wie hybride Versammlungen und virtuelle Umlaufverfahren in den Blickpunkt. Nachdem die entsprechende Sondergesetzgebung mittlerweile ausgelaufen ist, hat der Gesetzgeber in vielfältiger Weise für die einzelnen Rechtsformen reagiert und für fast alle Gesellschaftsformen – allerdings in unterschiedlicher Weise – dauerhafte Regelungen getroffen, die in ihrer Detailtiefe jedoch höchst unterschiedlich sind.

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Nach einem kurzen Überblick sollen nachfolgend insbesondere für die GmbH und Personengesellschaften untersucht werden, welche Herausforderungen sich für die Gestaltungspraxis stellen.

II. Die virtuelle Versammlung bei den einzelnen Rechtsträgern

1. AG/SE/KGaA/VVaG

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Mit dem Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften vom 20.7.2022 hat der Gesetzgeber der AG, SE, KGaA und dem VVaG die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung eröffnet. Im Unterschied zu der seit langem bestehenden Regelung des § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG, der die hybride Versammlung unter teilweiser Mitwirkung von Anteilseignern in Präsenz und solchen, die lediglich online teilnehmen regelt, ist das vom Gesetzgeber nun eröffnete Verfahren ein reines Online-Verfahren. Kennzeichen dieses Verfahrens nach §§ 118a ff. AktG ist einerseits, dass die Anteilseigner mit Dreiviertel-Mehrheit darüber entscheiden müssen, ob sie die virtuelle Hauptversammlung einführen oder den Vorstand zur Durchführung eines solchen Formats ermächtigen, und andererseits ein recht detailliert vorgegebener Pflichtenkatalog für die virtuelle Versammlung aufgestellt wird. Für alle vorgenannten Rechtsträger wird in § 118a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 AktG festgelegt, dass die entsprechende Ermächtigung bzw. Satzungsbestimmung alle fünf Jahre durch die Anteilseigner bestätigt werden muss. Der Gesetzgeber legt Spielregeln für das Online-Verfahren fest, die eindeutig darin bestehen, dass eine Zwei-Wege-Kommunikation möglich sein muss und in weitestgehendem Umfang Kennzeichen einer Präsenzversammlung sich auch im Online-Bereich widerspiegeln müssen. Nähere Konkretisierungen zum technischen Standard, zur Frage der Datensicherheit etc. lässt der Gesetzgeber allerdings offen. So wird z.B. weder festgelegt, ob eine Zwei-Wege-Kommunikation zu gewährleisten ist noch ob eine Verschlüsselungstechnik einzusetzen ist oder Zugangscodes erforderlich sind. Dies läuft faktisch auf eine sehr liberale Sichtweise hinaus, da die Praxis sich erfahrungsgemäß an einem niedrigen Standard orientiert.

2. GmbH
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Während der Gesetzgeber für die GmbH im COVMG nur das sog. Umlaufverfahren bei Zustimmung aller Gesellschafter auch dann eröffnete, wenn dies in der Satzung nicht vorgesehen war, hat er nun mit dem DiREG auch der GmbH die Online-Versammlung und darüber hinausgehend auch die Gesellschafterversammlung in Form der fernmündlichen Kommunikation eröffnet. Auch hier trifft der Gesetzgeber wiederum eine Grundsatzentscheidung, die bereits für die AG eindeutig ausgefallen war: Die Anteilseigner müssen einem derartigen Online-Verfahren gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG einstimmig zustimmen. Entgegen teilweise von einer Mindermeinung vertretenen Ansätzen wird die Frage des „Ob“ einer derartigen Versammlung völlig zu Recht den Anteilseignern und eben nicht z.B. der Geschäftsführung übertragen.

3. Genossenschaft
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Mit dem Gesetz zur Einführung von virtuellen Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften vom 20.7.2022 hat der Gesetzgeber in letzter Sekunde des Gesetzgebungsverfahrens in § 43b GenG auch der Genossenschaft hybride und Online-Formate neben Präsenzformaten für die Mitgliederversammlung eröffnet. Aus welchen Gründen er hier von dem vorbeschriebenen Grundsatz abweicht, dass es dazu eines positiven Votums der Mitglieder bedarf, wird aus dem Gesetz und der Regierungsbegründung nicht ersichtlich. Dies ist erstaunlich, weil gerade die Genossenschaft...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.02.2023 12:11
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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