Aktuell in der GmbHR

Virtuelle Gesellschafterversammlung der GmbH nach DiREG und der Personengesellschaft nach MoPeG (Wertenbruch, GmbHR 2023, 157)

Eine nicht unerwünschte gesellschaftsrechtliche Nebenwirkung der Corona-Pandemie besteht darin, dass der unaufhaltsame Aufstieg der Videokonferenz als Sitzungsformat den Gesetzgeber als Promoter der virtuellen Gesellschafterversammlung auf den Plan gerufen hat. Der II. Zivilsenat des BGH schlug mit seiner Entscheidung zur virtuellen Generalversammlung der Genossenschaft eine passgenaue Flanke von der Seite des Umwandlungsrechts in den Lauf der Gesetzgebungsarbeiten. Die neuen gesetzlichen Versammlungsregeln für Gesellschaften differenzieren allerdings zwischen genereller Zulassung der virtuellen Versammlung und der Kompetenz zur Festlegung dieser Form im Verhältnis zur Präsenzversammlung als Regelformat. Zudem umfasst die bei den einzelnen Gesellschaftsformen nahezu unisono den Geschäftsleitern zustehende Einberufungsbefugnis nicht ohne Weiteres auch die Zuständigkeit zur Festlegung des Versammlungsformats.

I. Einfügung des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG zum 1.8.2022 durch das DiREG
II. Rechtsnatur und systematische Einordnung der virtuellen GmbH-Gesellschafterversammlung

1. Die neue Systematik des § 48 GmbHG – Versammlung als Oberbegriff für Präsenzversammlung und virtuelle Versammlung
2. Unmittelbare Geltung der Einberufungsvorschriften der §§ 49 ff. GmbHG für virtuelle Versammlungen
3. Versammlungsleitung und Beschlussfeststellung in virtuellen GmbH-Versammlungen
4. Präsenzversammlung als gesetzliches GmbH-Regelformat – Wertentscheidung des DiREG-Gesetzgebers
III. Zulässigkeit von Hybrid-Formaten nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG
1. Vereinbarkeit mit dem Versammlungsbegriff des § 48 Abs. 1 GmbHG n.F.
2. Erfordernis der Textform-Zustimmung sämtlicher Gesellschafter
IV. Beschlussanfechtung bei fehlender Textform-Zustimmung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG
1. Nichtigkeit der Beschlüsse bei fehlender Zustimmung
2. Ersetzung der Textform durch Erklärung der Zustimmung zu Protokoll – Rechtsgedanke der §§ 129, 129a, 278 Abs. 6 Satz 1, 496 ZPO
3. Keine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 3 GmbHG bei rügeloser Teilnahme an der Versammlung
4. Anspruch auf Zuschaltung bei nicht zu vertretender Verhinderung eines GmbH-Gesellschafters kraft Treuepflicht – Beschlussanfechtung
5. Beschlussquorum für Satzungsregelung bezüglich virtueller Gesellschafterversammlung – „Durchschlagen“ des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG auf § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG?
V. Das Verhältnis zwischen § 48 Abs. 1 GmbHG und dem Versammlungsbegriff des § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG bei Umwandlungsbeschlüssen
1. Inhalt und Reichweite der BGH-Entscheidung vom 5.10.2021 zum Verschmelzungsbeschluss der Genossenschaft
2. Folgerungen für Umwandlungsbeschlüsse der GmbH – Ausschluss des schriftlichen Beschlussverfahrens i.S.d. § 48 Abs. 2 GmbHG
VI. Die virtuelle Gesellschafterversammlung bei der Personengesellschaft nach MoPeG
1. Unterscheidung zwischen Zulässigkeit der virtuellen Versammlung und Umfang der Einberufungsbefugnis der Geschäftsführer nach § 109 Abs. 2 HGB n.F. – Problemstellung
2. § 109 Abs. 1 und Abs. 2 HGB n.F. im systematischen Vergleich zu § 48 Abs. 1 GmbHG, § 118a AktG, § 43b GenG und § 13 Abs. 1 UmwG
a) Wortlaut des § 109 Abs. 1 und Abs. 2 HGB n.F.
b) Präsenzversammlung als Regelformat bei GmbH und AG – keine Versammlungsform-Festlegungskompetenz der Geschäftsleiter (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG und § 118a AktG)
c) Virtuelle Generalversammlung der Genossenschaft nach § 43b GenG – Präsenzversammlung als Regelformat im Konfliktfall (§ 43b Abs. 6 Satz 3 GenG)
d) Das Verhältnis zwischen § 109 HGB n.F. und § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG
e) Konkretisierung des Versammlungsbegriffs durch die amtliche Begründung zu § 109 Abs. 1 HGB n.F. – systematische Auslegung
f) Keine Versammlungsform-Festlegungskompetenz des einberufenden Gesellschafters gem. § 109 Abs. 2 HGB n.F. – systematische Auslegung und Gesetzesbegründung
g) Zwischenergebnis zu § 109 Abs. 1 und Abs. 2 HGB n.F.
3. Quorum für Zustimmung der Gesellschafter und Abänderung des Gesellschaftsvertrags der OHG/KG
4. Die virtuelle Versammlung bei der GbR
VII. Zusammenfassung


I. Einfügung des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG zum 1.8.2022 durch das DiREG

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Die neue Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG zur Zulässigkeit einer virtuellen Gesellschafterversammlung der GmbH beruht auf Art. 5 des Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG) vom 15.7.2022. Danach ist § 48 Abs. 1 GmbHG a.F. um folgenden Satz 2 zu ergänzen: „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.“ Der DiREG-Gesetzgeber rechtfertigt diese Modernisierung des Versammlungsrechts der GmbH insbesondere damit, dass sich die Lebenswirklichkeit während der Corona-Pandemie erheblich verändert habe und Zusammenkünfte von Personen immer häufiger via elektronischer Kommunikationsmittel veranstaltet würden. Konferenzschaltungen per Telefon oder Video in Gremien und Organen zum Zwecke der Durchführung von Besprechungen seien immer mehr als Normalfall anzusehen. Daraus resultiere vielfach die Erwartung, dass auch Gesellschafterbeschlüsse im Rahmen eines solchen virtuellen Formats ebenso wie in einer Präsenzversammlung mündlich gefasst werden können. Gleichwohl verlangt § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG für die Zulässigkeit einer virtuellen Gesellschafterversammlung die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter in Textform i.S.d. § 126b BGB. Dass die ganz überwiegende Zahl der GmbH-Gesellschafter die virtuelle Versammlung als Normalfall ansieht und die Wahl dieses Formats auch erwartet, genügt also nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht, sofern ein Gesellschafter – unabhängig vom Umfang seiner Beteiligung – damit nicht einverstanden ist.

II. Rechtsnatur und systematische Einordnung der virtuellen GmbH-Gesellschafterversammlung

1. Die neue Systematik des § 48 GmbHG – Versammlung als Oberbegriff für Präsenzversammlung und virtuelle Versammlung

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Die bis zum Inkrafttreten des DiREG am 1.8.2022 geltende Fassung des § 48 GmbHG regelte im ersten Absatz, dass Beschlüsse der Gesellschafter „in Versammlungen gefaßt“ werden. Diese Vorschrift gilt ohne Abänderung als § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG fort. § 48 Abs. 2 GmbHG hat nach wie vor das schriftliche Umlaufverfahren zum Gegenstand. Sowohl im Fall des § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG als auch bei § 48 Abs. 2 GmbHG handelt es sich zwar um eine Beschlussfassung und damit um einen Akt der Willensbildung aufseiten der GmbH. Das Forum für die Willensbildung ist aber – bei dieser Gegenüberstellung von gesetzlichen Formaten – nur im Geltungsbereich des § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eine Gesellschafterversammlung. Für das schriftliche Umlaufverfahren stellt § 48 Abs. 2 GmbHG mit der Formulierung „Der Abhaltung einer Versammlung bedarf es nicht, [...]“ das Nichtvorliegen einer Gesellschafterversammlung klar. Der Grundsatz, dass eine Beschlussfassung bei der GmbH nicht zwingend eine Gesellschafterversammlung voraussetzt, wird durch das DiREG nicht tangiert.

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In gesetzessystematischer Hinsicht ist die neue Regelung zur virtuellen Gesellschafterversammlung weder Gegenstand eines zusätzlichen Paragraphen des GmbHG (etwa eines „§ 48a“) noch eines separaten Absatzes (z.B. eines eingeschobenen neuen „zweiten Absatzes“) des § 48 GmbHG. Implementiert wurde das virtuelle Format vielmehr als Satz 2 nach § 48 Abs. 1 GmbHG a.F. zur Beschlussfassung „in Versammlungen“. Mit dieser neue Paragraphen- und Absatzarchitektur kommt zum Ausdruck, dass die virtuelle Versammlung einen Unterfall der nunmehr in § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG platzierten Gesellschafterversammlung darstellt. Bestätigt wird dies zweifelsfrei durch die in § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG enthaltene Formulierung „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, [...]“. Die Konjunktion „auch“ lässt hier keine andere Klassifizierung zu. Zudem ergibt sich aus der amtlichen Begründung zu § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, dass im Geltungsbereich des GmbHG die virtuelle Versammlung im Verhältnis zur tradierten Präsenzversammlung in Bezug auf den Versammlungsbegriff kein aliud ist. Denn danach soll mit dem neuen § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG „die Möglichkeit der Willensbildung im Rahmen einer Gesellschafterversammlung auf nichtphysische Zusammenkünfte“ erweitert werden. Darüber hinaus wird die digitale Gesellschafterversammlung in diesen Erwägungen des DiREG-Gesetzgebers gerade nicht als Beschlussverfahren sui generis, sondern vielmehr als „Versammlungsform“ angesehen. Schließlich basiert auch die in der Gesetzesbegründung niedergelegte rechtspolitische Legitimation des Regelungsbedürfnisses auf der systematischen Einordnung der virtuellen Form als Gesellschafterversammlung. Die DiREG-Begründung rekurriert nämlich in diesem Kontext darauf, dass nach bisherigem Versammlungsrecht der GmbH umstritten gewesen sei, ob bei einer „gemeinsamen Zusammenschaltung der Gesellschafter mittels elektronischer Kommunikationsmittel die notwendigen Voraussetzungen für eine Versammlung hergestellt werden können.“

2. Unmittelbare Geltung der Einberufungsvorschriften der §§ 49 ff. GmbHG für virtuelle Versammlungen
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Mit der systematischen Integration der virtuellen Versammlung in den Versammlungsbegriff des neu gefassten § 48 Abs. 1 GmbHG erzielt der DiREG-Gesetzgeber einen erheblichen legislatorischen Synergieeffekt dergestalt, dass die nachfolgenden §§ 49, 50, 51 GmbHG über die Einberufung der „Versammlung“ grundsätzlich unmittelbar Platz greifen. Demzufolge enthält das DiREG für die virtuelle Versammlung keine eigenständigen Einberufungsvorschriften. Aufgrund der begrifflichen und systematischen Verkoppelung der virtuellen Formate mit dem konventionellen Versammlungsbegriff des GmbHG war der DiREG-Gesetzgeber auch nicht gehalten, eine nur entsprechende Geltung der §§ 49 ff. GmbHG anzuordnen. Für die Form der Einberufung einer virtuellen Gesellschafterversammlung gilt daher grundsätzlich § 51 GmbHG. Supplementiert werden die versammlungsbezogenen Einberufungsstatuten der §§ 49 ff. GmbHG allerdings durch das Textform-Zustimmungserfordernis des § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Mit der vom DiREG-Gesetzgeber formell und materiell hergestellten Kompatibilität der virtuellen Versammlung mit den hergebrachten gesetzlichen Einberufungsvorschriften wird zugleich bestätigt, dass die virtuellen Formate schon qua Rechtsnatur ohne Weiteres vom Versammlungsbegriff des GmbHG erfasst werden.

3. Versammlungsleitung und Beschlussfeststellung in virtuellen GmbH-Versammlungen
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Die unmittelbare Zugehörigkeit der virtuellen Formate zu dem durch das DiREG konkretisierten Versammlungsbegriff des GmbHG hat zur Folge, dass von den Gesellschaftern – ohne Abweichung von Recht und Praxis der Präsenzversammlung – Beschlüsse gefasst werden können. Die Regelung des § 47 Abs. 1 GmbHG, nach der die Beschlussfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen erfolgt, ist selbstverständlich ohne Weiteres auf Abstimmungen in einer virtuellen Versammlung anwendbar. Das Gleiche gilt, soweit für einen bestimmten Beschlussgegenstand kraft Gesetzes oder Satzung ein qualifiziertes Beschlussquorum erreicht werden muss. Die in Rede stehenden verschiedenen Beschlussquoren kommen aber – ebenso wie die generelle Möglichkeit einer Beschlussfassung – bei der virtuellen Versammlung grundsätzlich nur unter der Voraussetzung zum Zuge, dass sich sämtliche Gesellschafter gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG mit der Wahl eines virtuellen Formats einverstanden erklären.

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Die Durchführung einer virtuellen Versammlung erfolgt dann in Übereinstimmung mit der Praxis der Präsenzversammlung unter der Regie eines statutarisch unmittelbar legitimierten oder ad hoc gewählten Versammlungsleiters. Soweit die Satzung der GmbH das Amt des Versammlungsleiters fix einer bestimmten Person zuweist, etwa dem amtierenden Geschäftsführer, ist dies regelmäßig so auszulegen, dass dies auch für eine im konkreten Fall nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG oder kraft Satzungsbestimmung zulässige virtuelle Versammlung gilt. Wenn eine statutarische Festlegung des Versammlungsleiters und eines besonderen Quorums für dessen Wahl nicht vorhanden ist, dann greift...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.02.2023 15:57
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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