Aktuell in der GmbHR
Satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse im Gesellschaftsrecht und im Steuerrecht (Beck, GmbHR 2023, 59)
Der BFH entschied mit Urteil vom 28.9.2022 - VIII R 20/20, dass satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse zur Gewinnverteilung in der GmbH steuerrechtlich beachtlich sind. Die Entscheidung widerspricht der bisherigen Verwaltungspraxis, die sich auf das BMF-Schreiben vom 17.12.2013 - IV C 2 - S 2750 a/11/10001 (BStBl. I 2014, 63) stützt und billigt damit den Gesellschaftern auch im Steuerrecht den ihnen im Gesellschaftsrecht zukommenden weiten Gestaltungsspielraum zu. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Voraussetzungen dieser Gestaltungsmöglichkeit und die Auswirkungen der Entscheidung des BFH.
I. Einleitung
II. Die Behandlung inkongruenter Gewinnausschüttungen im Ertragsteuerrecht
1. Die bisherige Handhabung der Finanzverwaltung (BMF v. 17.12.2013 - IV C 2 - S 2750-a/11/10001)
2. Die Folgen des BFH-Urteils v. 28.9.2022 - VIII R 20/20
a) Anerkennung zivilrechtlich wirksamer satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschlüsse
b) Zivilrechtlich wirksame Beschlüsse sind nicht unangemessen i.S.d. § 42 AO
c) Zivilrechtlich unwirksame Beschlüsse führen zu vGA
III. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen
1. Die von der Finanzverwaltung anerkannten Gestaltungsmöglichkeiten (BMF v. 17.12.2013 - IV C 2 - S 2750-a/11/10001)
2. Satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse
a) Das Urteil des BFH v. 28.9.2022 - VIII R 20/20
b) Die gesellschaftsrechtliche Anerkennung satzungsdurchbrechender und gleichzustellender Gesellschafterbeschlüsse
c) Die Anfechtbarkeit satzungsdurchbrechender Beschlüsse
IV. Handhabung in der AG
V. Zusammenfassung
I. Einleitung
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Die Gesellschafter einer GmbH haben nach Maßgabe des § 29 GmbHG Anspruch auf den Gewinn der Gesellschaft. Auf Ebene des einzelnen Gesellschafters ist der ausgeschüttete Gewinn sodann als Einkunft aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu versteuern. Gesellschaftsrechtlich ist der Grundsatz vorgesehen, dass die Gewinnverteilung nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile (Nennbeträge) erfolgt (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Das Gesetz erlaubt aber auch, im Gesellschaftsvertrag hiervon abzuweichen und eine nicht den Geschäftsanteilen entsprechende Verteilung vorzusehen – eine inkongruente Gewinnausschüttung (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Im GmbHG nicht ausdrücklich erwähnt wird die weitere Möglichkeit, dass die Gesellschafter auch einen Beschluss fassen können, der vom Gesetz oder von der in der Satzung getroffenen Regelung für einen einzelnen Fall abweicht, die Satzung aber im Weiteren unberührt lässt. Die Finanzverwaltung erkennt inkongruente Gewinnausschüttungen nur unter bestimmten Voraussetzungen als ertragsteuerlich beachtlich an. Nicht dazu zählen die genannten punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüsse oder die ihnen gleichzustellenden punktuell vom Gesetz abweichenden Beschlüsse. Der BFH hat jüngst - ausgehend von den zivilrechtlichen Grundlagen - entschieden, dass punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse steuerrechtlich anzuerkennen sind. Das ist Anlass, sich mit der ertragsteuerlichen Einordnung solcher Beschlüsse (dazu II., Rz. 2-11) und den gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen (dazu III., Rz. 12-27) zu befassen und die Bedeutung der Entscheidung des BFH für die AG (dazu IV., Rz. 28-31) zu betrachten. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse (V., Rz. 32-37).
II. Die Behandlung inkongruenter Gewinnausschüttungen im Ertragsteuerrecht
1. Die bisherige Handhabung der Finanzverwaltung (BMF v. 17.12.2013 – IV C 2 - S 2750-a/11/10001)
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Die ertragsteuerliche Behandlung der Finanzverwaltung richtete sich zuletzt nach dem BMF-Schreiben v. 17.12.2013 - IV C 2 - S 2750-a/11/10001. Danach setzt die steuerliche Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung bei GmbH und AG voraus, dass eine vom Anteil am Grund- oder Stammkapital abweichende Gewinnverteilung zivilrechtlich wirksam bestimmt ist. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, bleibt die vorgenommene Gewinnverteilung steuerlich unbeachtet. Für die GmbH wurden nach dem BMF-Schreiben für das Vorliegen dieser zivilrechtlichen Wirksamkeit zwei Möglichkeiten anerkannt:
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1. Es wurde im Gesellschaftsvertrag gem. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgesetzt.
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2. Oder: Die Satzung enthält anstelle eines konkreten Verteilungsmaßstabs eine Klausel, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig über eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann, und der Beschluss ist mit der in der Satzung bestimmten Mehrheit gefasst worden.
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Das BMF-Schreiben leitet diese beiden Möglichkeiten ein mit „Dies ist der Fall, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist“. Es war daher und wegen des verwendeten „Oder“ davon auszugehen, dass nach Auffassung des BMF die in Frage kommenden Tatbestände abschließend genannt wurden, also weitere als die aufgelisteten Fälle die geforderte zivilrechtliche Wirksamkeit nicht begründeten.
2. Die Folgen des BFH-Urteils v. 28.9.2022 – VIII R 20/20
a) Anerkennung zivilrechtlich wirksamer satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschlüsse
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Im BMF-Schreiben nicht genannt wurde die Variante, in der die Satzung keine Regelung zur Gewinnverteilung und (folglich) auch keine Öffnungsklausel, die eine von einer Satzungsregelung oder vom Gesetz abweichende Gewinnverteilung durch Beschluss ermöglichte, enthielt, die Gesellschafter aber dessen ungeachtet einen zivilrechtlich wirksamen Beschluss zu einer inkongruenten Gewinnausschüttung fassen. Da die Aufzählung der zu berücksichtigenden Gestaltungen durch das BMF abschließend ist (s. oben II.1., Rz. 5), dürften diese Beschlüsse regelmäßig in der Praxis der Finanzämter beanstandet worden sein. Mit Urteil vom 28.9.2022 entschied der BFH nun, dass Beschlüsse in dieser Konstellation als satzungsdurchbrechende Beschlüsse wegen ihrer gesellschaftsrechtlichen Wirksamkeit steuerlich zu beachten sind.
b) Zivilrechtlich wirksame Beschlüsse sind nicht unangemessen i.S.d. § 42 AO
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Zudem hat der BFH der im BMF-Schreiben vorgesehenen „Fremdüblichkeitsprüfung“ eine Absage erteilt. Eine gesonderte steuerliche Angemessenheitskontrolle ist nach dem BFH abzulehnen. Damit nimmt der BFH der Finanzverwaltung die Möglichkeit, eine eigene Anerkennungsprüfung vorzunehmen. Das bestätigt seine bisherige Linie, inkongruente Gewinnausschüttungen (in anderen Konstellationen) vor den Vorgaben des...
