Christian Schlögell,
Syndikus, Frankfurt a. M.

Ein Jahr Änderungen im GmbH-Kapitalersatzrecht

I. Einführung

Das überwiegend im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte, in der GmbH-Novelle 1980 in §§ 32 a, 32 b GmbHG nur in Ansätzen kodifizierte Kapitalersatzrecht hat inzwischen eine Komplexität erreicht, die sich dem normalen Volljuristen weitgehend verschließt. Von der juristischen Subspecies der "berufsmäßigen Eigenkapitalersatzrechtler" (Seibert, GmbHR 1998, 309) gehegt und gepflegt und in der Literatur als "höchst intelligente und weise, wenn auch äußerst komplizierte Rechtsentwicklung" (Kallmeyer, GmbHR 1998, 307) anerkannt, war das Kapitalersatzrecht in den letzten 15 bis 20 Jahren durch personelle Erstreckung auf gesellschaftsfremde Dritte (z. B. Treugeber, Pfandgläubiger, Familienmitglieder, verbundene Unternehmen und "Quasi-Gesellschafter") und inhaltliche Erweiterung unter Stichworten wie Stehenlassen von Darlehen, Finanzplankredit und Nutzungsüberlassung auf eine fortlaufende Verschärfung und Einschränkung der Finanzierungsmöglichkeiten deutscher GmbHs ausgerichtet.

Nur nach der "Helaba/Sonnenring"-Entscheidung des BGH (BGH v. 21.9.1981 -- II ZR 104/80, GmbHR 1982, 133), auf die nachfolgend noch einzugehen sein wird, schien es ein vorübergehendes Wehklagen über die Sanierungsfeindlichkeit des Kapitalersatzrechts zu geben; seitdem war die Kritik an dieser Rechtsentwicklung in der Fachliteratur wieder nahezu vollständig verstummt. Es war daher für viele reichlich überraschend, als der Gesetzgeber 1996 einen Gesetzesentwurf über die Deregulierung von Teilbereichen des Kapitalersatzrechts durch Freistellung nichtunternehmerischer Kleinbeteiligungen (vgl. GmbHR 1996, 600 f.) vorlegte, der dann ungeachtet einer äußerst intensiven Diskussion in der Gesellschaftsrechtswissenschaft im Zuge der hektischen Gesetzgebungsmaßnahmen des Frühjahrs 1998 Gesetz geworden ist.

Das einjährige Jubiläum des Gesetzes ist Anlaß genug, die Inhalte und rechtlichen Auswirkungen der Neuregelungen in dem Aufsatz von Pentz (GmbHR 1999, 437 -- in diesem Heft) einer näheren Analyse zu unterziehen. Pentz zeigt darin in eindrucksvoller Weise auf, daß von einer "Reform" des Kapitalersatzrechts nicht einmal ansatzweise die Rede sein kann und auch der Wunsch des Gesetzgebers nach einer Deregulierung weitgehend unerfüllt bleibt.
 

II. Motive und Einzelheiten

1. Freistellung nichtunternehmerischer Kleinbeteiligungen

Durch das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) wurde in § 32 a Abs. 3 S. 2 GmbHG eine Freistellung nichtunternehmerischer Kleinbeteiligungen eingefügt; danach gelten die Eigenkapitalersatzregeln nicht für den nichtgeschäftsführenden Gesellschafter, der mit höchstens 10 % am Stammkapital beteiligt ist. Durch die Freistellung dieser Kapitalquote sollte dem Gedanken Rechnung getragen werden, daß solche "Zwerganteile" typischerweise keine unternehmerische Mitverantwortung und auch keine nennenswerten Einflußmöglichkeiten vermitteln und die tragenden Gründe für die Eigenkapitalersatzhaftung hier nicht eingreifen. Außerdem sollte die Schaffung einer Freigrenze die GmbHs für die Zurverfügungstellung von Risikokapital durch institutionelle Beteiligungsgesellschaften, die vielfach Tochtergesellschaften von Kreditinstituten sind, attraktiver machen; nach bisheriger Rechtslage infizierte der Erwerb einer Beteiligung stets das Kreditgeschäft der Mütter mit dem Risiko der Umqualifizierung in Eigenkapital. Schließlich sollte die Neuregelung, die nach Auffassung der Bundesregierung nur klarstellenden Charakter hat, unter dem Stichwort "schlanker Staat" ein Beitrag zur Rechtsvereinfachung sein.

Bei der Neuregelung ist der Gesetzgeber -- wohl zutreffend -- davon ausgegangen, daß Kleinbeteiligungen von nicht mehr als 10 % an GmbHs bisher sicherlich nicht die Regel sind, aber zukünftig im Rahmen des Generationenwechsels in zunehmendem Maße durch Erbfolge entstehen werden. Außerdem wurde die Auffassung vertreten, der Erwerb von Kleinbeteiligungen könne v. a. für Kapitalbeteiligungsgesellschaften unter dem Gesichtspunkt der Risikostreuung interessant sein. Gesichertes Zahlenmaterial, welches eine Verifizierung dieser Annahmen und damit eine Einschätzung der Bedeutung der Neuregelung erlauben würde, fehlt allerdings bisher. Immerhin hat aber eine Auswertung der Geschäftsberichte von acht deutschen institutionellen Kapitalbeteiligungsgesellschaften durch den Verfasser ein durchaus inhomogenes Bild ergeben. Kleinbeteiligungen von nicht mehr als 10 % wurden nur von einer dieser Gesellschaften überhaupt nicht gehalten, während sie bei anderen fast die Hälfte der verwalteten Beteiligungen ausmachten. Der Anteil solcher Kleinbeteiligungen am Beteiligungsportefeuille der ausgewerteten Unternehmen (unter Einbeziehung typischer und atypischer Beteiligungen) lag durchschnittlich immerhin bei fast 17 %, der von Beteiligungen mit nicht mehr als 25 % bei einem guten Drittel. Auch wenn diese Auswertung keinen repräsentativen Charakter hat und Angaben über gleichzeitig bestehende Kreditengagements fehlen, dürfte sie doch ein Indiz für die praktische Relevanz der Neuregelung sein, zumal viele der ausgewerteten Unternehmen mit Kreditinstituten gesellschaftsrechtlich verbunden sind. Insofern ist die auf Kleinbeteiligungen ohne Geschäftsführungsbefugnisse beschränkte Gleichstellung mit den durch ß 24 UBGG n. F. privilegierten Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (vgl. zur Reform des UBGG Schlögell, GmbHR 1998, R 253) durchaus begrüßenswert.

2. Das Sanierungsprivileg des § 32 a Abs. 3 S. 3 GmbHG

Durch das eine Woche später in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KontraG) wurde als weiterer, dritter Satz in § 32 a Abs. 3 GmbHG eine Neuregelung eingefügt, wonach der Erwerb von Geschäftsanteilen durch einen Darlehensgeber in der Krise zum Zweck der Überwindung der Krise für die bestehenden und neu gewährten Kredite nicht zur Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln führen soll.

Dieses sog. Sanierungsprivileg oder auch "Bankenprivileg" (obwohl von einem Privileg keine Rede sein kann) ist Ergebnis der hektischen Diskussion des Frühjahrs 1998, ob die in S. 2 enthaltene 10 %-Schwelle denn ausreiche und geeignet sei, um die angestrebte Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen zu erreichen. Dabei stellte sich im Rahmen der politischen Beratungen heraus, daß es den Kritikern weniger um eine generelle Heraufsetzung der Schwelle auf 25 %, sondern mehr um die Schaffung eines Sanierungsprivilegs ging. Auch wenn dies in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht zum Ausdruck kam, handelte es sich um eine späte Reaktion auf die bereits angesprochene "Helaba/Sonnenring"-Entscheidung des BGH, wonach auch normale Bankkredite als kapitalersetzende Darlehen behandelt und den Eigenkapitalersatzregeln unterworfen werden, wenn die kreditgewährende Bank nach Eintritt der Krise zu Sanierungszwecken selbst oder über eine Tochtergesellschaft die Mehrheit der Geschäftsanteile am Kreditschuldner erwirbt und die in der Vergangenheit gewährten Kredite nicht abzieht.

Diese Rechtsprechung wurde in Teilen der gesellschaftsrechtlichen Literatur als sanierungsfeindlich kritisiert, da sich institutionelle Kreditgeber erfahrungsgemäß zur Bereitstellung der für die Realisierung von Sanierungskonzepten erforderlichen liquiden Mittel nur dann bereit finden, wenn die Kreditrisiken durch eine angemessene Kontrolle und unternehmerische Einflußnahme reduziert werden. Für kreditgebende Banken stellt sich jedenfalls in den Fällen, in denen keine einwandfreien Sicherheiten zur Verfügung stehen, regelmäßig die Notwendigkeit, ihre Kreditrisiken durch eine angemessene Kontrolle und Einflußnahme auf die Geschäftsführung des Kreditschuldners zu reduzieren. Diese Notwendigkeit gewinnt in der Krise des Schuldners besondere Bedeutung, weil das Vertrauen in das vorhandene Management in vielen Fällen beschädigt ist und Sanierungsversuche nur bei Aufstellung und Einhaltung eines stringenten Sanierungsplanes erfolgversprechend erscheinen. Für Banken, die den naheliegenden Versuch unternahmen, die Sanierungsbemühungen des Kreditschuldners durch den Erwerb einer Beteiligung abzusichern, die die erforderliche Einflußnahme gesellschaftsrechtlich unterlegte, sah die Situation in der Vergangenheit jedoch wenig erfreulich aus. Mit der "Helaba/Sonnenring"-Entscheidung hatte der BGH die Anerkennung eines Sanierungsprivilegs ausdrücklich versagt, so daß den kreditgebenden Banken, die sich an einem Kreditnehmer im Rahmen der Sanierungsbemühungen gesellschaftsrechtlich beteiligten, die Umqualifizierung stehengelassener Altkredite und neu ausgereichter Sanierungskredite drohte. Der von Teilen der gesellschaftsrechtlichen Literatur und im politischen Raum erhobene Vorwurf der Sanierungsfeindlichkeit dieser Rechtsprechung ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, weil im Entscheidungsprozeß der kreditgebenden Banken der Versuch der Durchsetzung der meist grundbuchrechtlich oder in anderer Form gesicherten Altkredite in der Liquidation dem infolge der Umqualifizierung drohenden Verlust vorzuziehen ist.

III. Bewertungsversuch

Ungeachtet der durchaus bestehenden praktischen Relevanz der Freistellung von Kleinbeteiligungen wird man kaum annehmen dürfen, daß von der Neuregelung in § 32 a Abs. 3 S. 2 GmbHG -- außer in klar gelagerten Fällen -- in der Rechtspraxis reger Gebrauch gemacht wird. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte die Regelung nur klarstellenden Charakter haben und die generalklauselartige Regelung in § 32 a Abs. 3 S. 1 GmbHG ausreichen, um Umgehungsgestaltungen in den Griff zu bekommen. Demgegenüber muß der Praktiker nun mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, daß die Neuregelung mit Vehemenz als "rechtsethisch verfehlt" gescholten und ein Widerstandsrecht der Rechtsprechung wegen angeblicher "Autorität der Sachnähe" diskutiert werden. Auch die von Pentz aufgezeigten zahlreichen Folgefragen und Zurechnungsprobleme sind kaum angetan, das für wirtschaftliche Entscheidungen erforderliche Gefühl der Rechtssicherheit zu vermitteln.

Nicht viel anders sieht es bei dem Sanierungsprivileg aus. Auch hier bleibt jedenfalls bis zu einer Klärung der offenen Fragen durch die Rechtsprechung abzuwarten, welchen Gewinn die Praxis aus der Neuregelung zu ziehen vermag. Problematisch erscheint insbesondere die Voraussetzung, die Sanierungsbemühungen müßten objektiv zur Überwindung der Krise geeignet sein, auch wenn dabei die Betrachtung ex ante maßgeblich sein soll. Ist die Sanierung erst einmal gescheitert, wird man sich bei der Beurteilung des Eigenkapitalersatzcharakters der gegebenen Sanierungskredite kaum vom Lichte der besseren Erkenntnis frei machen können. Auch das diskutierte Erfordernis, die Sanierungskredite und die ggf. vor Beginn der Krise gegebenen weiteren Darlehen seien bei Beendigung der Krise zurückzufordern, ist der Bereitschaft zur Vergabe von Sanierungskrediten nicht förderlich.

Die von Pentz belegte Rechtsunsicherheit bei zahlreichen Gestaltungen wird die praktische Umsetzung der Neuregelungen in der Gestaltungspraxis sicherlich zunächst weitgehend lähmen. Ob allerdings die Empfehlung richtig ist, der Gesetzgeber solle lieber von Eingriffen in das Eigenkapitalersatzrecht absehen (und es den "Eigenkapitalersatzrechtlern" überlassen), ist wohl auch eine Frage des "Blickwinkels".
 

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