Gesellschafterbeschluss: Funktionelle Unzuständigkeit der Kammer für Handelssachen für eine Anfechtungsklage

AktG § 246 Abs. 1 u. 3 analog; GVG § 71

Für Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH ist erstinstanzlich stets die Zivilkammer des Landgerichts funktionell zuständig, sofern die für die Parteien fakultativ zuständige Kammer für Handelssachen nicht prozessordnungsgemäß angerufen wird.*

LG Hannover, Beschl. v. 27.112007 -- 23 O 148/07         
(nicht rechtskräftig)

 

Gründe:

1. Zwar Handelssache als Streitgegenstand ...

Die Kammer für Handelssachen (KfH) ist für die Entscheidung des Rechtsstreits funktionell nicht zuständig.

Zwar hat das Verfahren einen Streitgegenstand, der nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG als Handelssache, nämlich als Auseinandersetzung zwischen einem Gesellschafter und einer Handelsgesellschaft zu qualifizieren ist. Für die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen reicht dies jedoch allein nicht aus. Es bedarf dazu zusätzlich eines Antrags der klagenden Partei, der nur zu Verfahrensbeginn in der Klageschrift gestellt werden kann (§ 96 Abs. 1 GVG,) oder eines Antrags der beklagten Partei (§ 95 Abs. 1 S. 1 GVG), für dessen Zulässigkeit ebenfalls eine Präklusionsfrist besteht (§ 101 Abs. 1 GVG).

 

2. ... aber kein Antrag auf Verhandlung vor der KfH durch den Kläger ...

Der Kläger hat einen Antrag auf Verhandlung des Rechtsstreits vor der Kammer für Handelssachen in der Klageschrift nicht gestellt.

Dass der Kläger am Ende der Klageschrift den Streitgegenstand als Handelssache bezeichnet hat, begründet die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nicht.

Der Antrag des Klägers im Schriftsatz v. 17.9.2007, den Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen zu verhandeln, ist unzulässig, weil er verspätet gestellt worden ist.

Von einem Versehen des Klägers bei der Abfassung der Klageschrift kann gerade wegen der umfangreichen, langwierigen und mit großer Entschiedenheit geführten prozessualen Auseinandersetzungen der Parteien in wechselnden Rollen nicht ausgegangen werden. Im Schriftsatz des Klägers v. 17.9.2007 wird dies auch nicht geltend gemacht, sondern lediglich das wiederholt, was die Klageschrift bereits enthält, nämlich den Hinweis darauf, dass der Streitgegenstand des Rechtsstreits eine Handelssache ist.

 

3. ... und auch nicht durch die Beklagte

Von dem eigenen und selbständigen Antragsrecht der Beklagten zur Verhandlung des Rechtsstreits vor der Kammer für Handelssachen nach § 96 Abs. 1 GVG hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht, obwohl sie ausdrücklich auf die Antragsmöglichkeit und das eigene Antragsrecht dazu hingewiesen worden ist. Die der Beklagten nach § 101 Abs. 1 GVG für den Antrag zur Verfügung stehende Frist ist abgelaufen.

 

4. Kein rügeloses Einlassen vor der KfH durch die Beklagte

Die Beklagte hat es auch, trotz ebenfalls ausdrücklichen Hinweises darauf, abgelehnt, sich rügelos vor der Kammer für Handelssachen einzulassen, was nach § 39 ZPO deren funktionelle Zuständigkeit begründen würde. Im Schriftsatz v. 24.10.2007 hat die Beklagte die rügelose Einlassung vielmehr ausdrücklich abgelehnt.

 

5. Keine ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der KfH ...

Eine ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen für die Entscheidung des Rechtsstreits besteht nicht.

Wegen der weit tragenden Bedeutung einer solchen Regelung für die Bestimmung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) bedarf es dazu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. An dieser fehlt es.

Zwar entspricht es der Rspr., die örtliche Zuständigkeitsregelung aus § 246 Abs. 1 S. 1 AktG bei Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH entsprechend anzuwenden. Diese Rspr. nimmt indes nur das auf, was nach § 17 ZPO für derartige Streitgegenstände hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit ohnehin gilt.

Schon deshalb kann diese Rspr. für die erst durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005 in das Aktiengesetz neu eingefügten weiteren Zuständigkeitsregelungen in § 246 Abs. 3 S. 2 u. 3 AktG nicht herangezogen werden. Im Übrigen liegt der gesetzgeberische Regelungsgrund der weiteren Zuständigkeitsbestimmungen in § 246 Abs. 3 S. 2 u. 3 AktG allein in den Besonderheiten aktienrechtlicher Anfechtungsverfahren.

Abgesehen davon ist auch nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen für das richtige Verständnis von Rechtsnormen zumindest zweifelhaft, ob eine -- neue -- gesetzliche Regelung auch dann der entsprechenden Anwendung noch fähig ist, wenn sie in Kenntnis einer bisher bestehenden Rechtsprechung erfolgt, ohne nunmehr auch den Sachbereich ebenfalls ausdrücklich zu regeln, der zunächst der analogen Anwendung bedürftig erschien.

Dass von einem dahingehenden gesetzgeberischen Regelungswillen zumindest derzeit nicht die Rede sein kann, zeigt auch die im Gesetzgebungsverfahren befindliche tiefgreifende Novellierung in Bezug auf das Recht der GmbH. Nach den bisherigen Regelungsvorschlägen soll in das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung keine den § 246 Abs. 3 S. 2 u. 3 AktG vergleichbare Regelung aufgenommen werden.

 

6. ... und keine entsprechende Anwendung des § 246 Abs. 3 S. 2 AktG

Die entsprechende Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG auf Anfechtungsverfahren in Angelegenheiten der GmbH verbietet sich auch deshalb, weil dann kein vernünftiger sachlicher Grund mehr bestünde, nicht auch die umfassende Zuständigkeitskonzentrationsmöglichkeit nach § 246 Abs. 3 S. 3 AktG (i.V.m. § 142 Abs. 5 S. 5 AktG) für entsprechend anwendbar anzusehen, weil sowohl § 246 Abs. 3 S. 2 AktG als auch § 246 Abs. 3 S. 3 AktG durch die gleiche gesetzgeberische Regelungsentscheidung in das Aktiengesetz eingeführt worden sind.

Die entsprechende Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 3 AktG hätte zur Folge, dass auch für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten einer GmbH die Möglichkeit zur gerichtsbezirksübergreifenden Zuständigkeitskonzentration bestünde, von der das Land Niedersachsen in größtmöglichem Umfang Gebrauch gemacht hat.

Eine so weit gehende gerichtsorganisatorische Entscheidung, die wegen der großen Zahl der dadurch betroffenen Rechtsträger in Niedersachsen weit reichende Folgen auch für die personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte hätte, kann nicht durch die entsprechende Anwendung von Zuständigkeitsnormen getroffen werden. Denn es f macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Konzentrationsgericht für rund 1.300 (Aktien-)Gesellschaften oder auch für weitere rund 90.000 juristische Personen (mit beschränkter Haftung) ausschließlich zuständig ist.

 

7. Ergebnis

Nach alledem muss die funktionelle Unzuständigkeit der Kammer für Handelssachen für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ausgesprochen werden. Es bleibt vielmehr bei der funktionellen Zuständigkeit der Zivilkammer, die stets für alle dem Landgericht zufallenden erstinstanzlichen Zivilrechtssachen zuständig ist (§ 71 GVG), sofern die für die Parteien fakultativ zuständige Kammer für Handelssachen nicht prozessordnungsgemäß angerufen wird.

Weil die bisher mit dem Verfahren befasste Zivilkammer einen verfahrensordnungsgemäßen Wechsel der funktionellen Zuständigkeit (§ 98 Abs. 1 S. 1 GVG) für das vorliegende Verfahren nicht herbeigeführt hat und zu einer Verweisung von Amts wegen nicht befugt ist (§ 98 Abs. 3 GVG), kann nur deklaratorisch festgestellt werden, was sich ohnehin aus dem Gesetz ergibt.

Der Rechtsstreit ist danach von Amts wegen an die Zivilkammer zu verweisen (§ 99 Abs. 2 GVG).

Einsender: Dr. Volker Römermann, Rechtsanwalt, Hamburg/Hannover

 

 

 

*              Leitsatz der Redaktion.

 



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