Ausländische GmbH: Rechts- und Parteifähigkeit nach Verlegung des Verwaltungssitzes in die Bundesrepublik Deutschland infolge Behandlung als GbR

BGB § 14 Abs. 2 n.F.

Verlegt eine ausländische Gesellschaft, die entsprechend ihrem Statut nach dem Recht des Gründungsstaats als rechtsfähige Gesellschaft ähnlich einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts zu behandeln wäre, ihren Verwaltungssitz nach Deutschland, so ist sie nach deutschem Recht jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit vor den deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig.

BGH, Urt. v. 1.7.2002 -- II ZR 380/00

Aus dem Tatbestand:

Die Klägerin (Kl.in) nimmt den Bekl. aus einer Bürgschaftserklärung v. 17.6.1993 in Anspruch. Sie hat vorgetragen, sie sei eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem Recht der Kanalinsel J, auf der sie am 11.10.1966 ordnungsgemäß gegründet worden sei und ihren satzungsmäßigen und tatsächlichen Verwaltungssitz habe. Sie sei daher auch in Deutschland rechts- und parteifähig. Der Bekl. ist der Ansicht, der Kl.in fehle die Rechts- und Parteifähigkeit, weil sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland habe, ohne daß sie sich nach dem Recht dieser Staaten neu gegründet und die Eintragung ins Handelsregister veranlaßt habe.

Das LG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Kl.in der Nachweis ihrer Parteifähigkeit nicht gelungen sei. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das OLG zurückgewiesen und die Kl.in zugleich auf die Anschlußberufung hin in Abänderung und Ergänzung des landgerichtlichen Urteils zur Leistung von Prozeßkostensicherheit i.H.v. 20.000 DM für den Bekl. verurteilt. ...

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen. Im übrigen wird die Sache an das OLG zurückverwiesen.

I. Ansicht des OLG: Keine Parteifähigkeit wegen der "Sitztheorie"

Das OLG begründet seine Entscheidung in Übereinstimmung mit dem LG damit, der Kl.in obliege angesichts des Bestreitens des Bekl. der Beweis dafür, daß sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz auf J befinde. Denn die Parteifähigkeit richte sich nach der Sitztheorie und damit nach dem Personalstatut der Gesellschaft. Den entsprechenden Beweis habe die Kl.in nicht zu führen vermocht. Dem Bekl. stehe nach § 110 ZPO ein Anspruch auf Prozeßkostensicherheit auch für die erste Instanz zu. Beides hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

II. Rechts- und Parteifähigkeit gemäß neuerer BGH-Rechtsprechung

Zu Unrecht verneint das OLG im Hinblick auf einen möglichen Verwaltungssitz der Kl.in in Deutschland oder Portugal deren Parteifähigkeit.

1. Behandlung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts

Der Kl.in könnte das Recht, ihre Ansprüche vor deutschen Gerichten geltend zu machen, auch dann nicht versagt werden, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hätte und nach der hier überwiegend vertretenen Sitztheorie (BGH v. 30.1.1970 -- V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 [183]; v. 5.11.1980 -- VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 [334]; v. 21.3.1986 -- V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 [271] = GmbHR 1986, 351; v. 8.10.1991 -- XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107; v. 30.3.2000 -- VII ZR 370/98, DB 2000, 1114 = GmbHR 2000, 715; BFH v. 13.11.1991 -- I B 72/91, BStBl. II 1992, 263 [720] = GmbHR 1992, 315; BayObLG v. 7.5.1992 -- 3Z BR 14/92, NJW-RR 1993, 43 = GmbHR 1992, 529; Staudinger/Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, 13. Aufl., Rz. 24) nicht entsprechend ihrem Gründungsstatut als Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem auf der Kanalinsel J geltenden Recht zu behandeln wäre. Denn dann wäre sie in Deutschland jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig. Dies gilt nach der neueren Rspr. des Senats, die das OLG noch nicht berücksichtigen konnte, auch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGH v. 29.1.2001 -- II ZR 331/00, ZIP 2001, 330; v. 18.2.2002 -- II ZR 331/00, ZIP 2002, 614).

a) Eine Behandlung der ausländischen Gesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird in der Literatur schon seit längerem als mögliche Alternative zur Anwendung der Sitz- oder Gründungstheorie diskutiert (vgl. Rehbinder, Iprax 1985, 32; Zimmer, BB 2000, 1361 [1363] m.w.N.). Ihr wurde bisher entgegengehalten, daß sie zu erheblichen Problemen im Prozeß- und Zwangsvollstreckungsrecht führen würde, etwa weil zur Aufrechnung gestellte Gegenansprüche sich nicht gegen die Gesellschafter in gesamthänderischer Verbundenheit richten würden, sondern in aller Regel gegen die ausländische Gesellschaft als -- nach Gründungsrecht -- juristische Person (Rehbinder, Iprax 1985, 32). Würden nach teilweiser oder gänzlicher Klageabweisung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die klagende ausländische Gesellschaft notwendig, entstünde das Problem, daß ein Titel gegen die Gesellschafter als Gesellschaft bürgerlichen Rechts existieren würde, im Zweifel aber in Vermögensgegenstände vollstreckt werden müsse, die nominell im Eigentum der ausländischen Gesellschaft als juristischer Person stehen oder in Konten, die auf deren Namen errichtet sind. Eine Titelumschreibung auf die ausländische Gesellschaft nach § 727 ZPO würde mangels Rechtsnachfolge schon begrifflich ausscheiden, aber auch deshalb, weil die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit eingetreten sein muß (Zöller/Stöber, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 727 Rz. 19).

b) Diese Einwände sind mit der neuen Rspr. des Senats zur Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entfallen. Die ausländische Gesellschaft kann, ohne nach deutschem Recht juristische Person zu sein, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts klagen, so daß auch Gegenansprüche und Einreden oder Einwendungen unproblematisch geltend gemacht werden können und aus einem Titel gegen sie vollstreckt werden kann, ohne daß sich die Frage einer Umschreibung stellt. Ferner kann sie wirksam Verträge abschließen und Eigentum erwerben.

Damit entfallen zugleich die Bedenken, daß nach ausländischem Recht wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt haben, durch die Weigerung, ihre Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen, in einem durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang ihres rechtlichen Besitzstands und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt werden könnten, was angesichts der Vielzahl der von solchen Gesellschaften tatsächlich getätigten Geschäfte, des von ihnen vollzogenen Erwerbs von Immobilien- und Mobiliareigentums und der auch für sie bestehenden Notwendigkeit, im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Wahrung ihrer Rechte um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen, weder durch die Notwendigkeit eines wirksamen Gläubigerschutzes noch durch das Gebot der Rechtssicherheit zur rechtfertigen wäre. Dementsprechend hat sich die Rspr. auch schon vor den Grundsatzentscheidungen des Senats v. 29.1.2001 und 18.2.2002 genötigt gesehen, die passive Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaft anzuerkennen (OLG Nürnberg v. 7.6.1984 -- 8 U 111/84, IPrax 1985, 342; dazu Rehbinder, IPrax 1985, 324; BGH v. 21.3.1986 -- V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 [271] = GmbHR 1986, 651). Zu Recht weist die Revision aber auch auf weitere Widersprüche der Rechtspraxis hin: So werden etwa die Bankbürgschaften, die die Kl.in zur Abwehr der Vollstreckung und zur Stellung der Prozeßkostensicherheit beigebracht hat, von den Instanzgerichten wie dem Bekl. akzeptiert, obwohl die in Deutschland abgeschlossenen Bürgschaftsverträge bei fehlender Rechtsfähigkeit der Kl.in nach der Rechtsauffassung des OLG eigentlich nichtig wären.

2. Rechtsfähigkeit auch in Portugal?

Das OLG ist dem unter Beweis gestellten Vortrag des Bekl., die Kl.in habe ihren Verwaltungssitz in Portugal oder in Deutschland nicht nachgegangen, sondern hat die Frage offengelassen. Diese Frage könnte jedoch nur dann offenbleiben, wenn die im Falle ihres Sitzes in Deutschland rechts- und parteifähige Kl.in dies auch im Falle ihres Sitzes in Portugal wäre. Insoweit hat das OLG indes keinerlei Feststellungen getroffen. Seiner Entscheidung ist nicht zu entnehmen, um welche Art von Gesellschaft es sich nach portugiesischem Recht handeln könnte und welche Konsequenzen hieraus für den vorliegenden Fall gezogen werden müßten.

III. Keine Zahlung von Prozeßsicherheiten

Mit Erfolg greift die Revision schließlich die Verurteilung zur Zahlung von Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO an.

Hat die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland, scheidet die Anwendbarkeit des § 110 ZPO ohnehin aus.

Aber auch dann, wenn sie als Gesellschaft nach dem Recht der Insel J zu behandeln wäre, kann von ihr Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO nicht verlangt werden. Richtig ist zwar, daß die frühere Fassung des § 110 ZPO nur dann gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 6 (jetzt: Art. 12) EGV verstieß, wenn eine inländische Prozeßpartei von der Verpflichtung zur Leistung von Prozeßkostensicherheit frei war und die Klage eine der Grundfreiheiten berührte (EuGH v. 26.9.1996 -- Rs. C-43/95, NJW 1996, 3407; v. 20.3.1997 -- Rs. C-323/95, NJW 1998, 2127), so daß angesichts der eingeschränkten Geltung der Grundfreiheiten für J nach Art.299 Abs. 6 lit. c EGV i.V.m. dem Protokoll Nr.3 zu der BeitrA 1972 (BGBl. II 1972, 1338) der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 110 ZPO möglicherweise J von der Befreiung für Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätte ausnehmen können. Gerade dies ist jedoch nicht erfolgt, so daß die Begründung des OLG, Art. 6 (jetzt Art. 12) EGV gelte im Verhältnis zu J nicht, zwar in Einklang mit der Rspr. des EuGH stehen mag, nicht aber mit dem klaren Wortlaut des § 110 ZPO, der ohne Einschränkung für den Bereich der Europäischen Union eine Prozeßkostensicherheit nicht vorsieht und damit weiter reicht als die Vorgaben, die der EuGH gemacht hat. Da J als Bestandteil des Vereinigten Königreichs, wenn auch unter Beachtung seines verfassungsrechtlichen Sonderstatus zur Europäischen Union gehört, sieht auch die Kommentarliteratur eine nur teilweise Geltung der Befreiungsvorschrift des § 110 ZPO für Großbritannien nicht vor, sondern geht von einer uneingeschränkten Geltung aus (Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 110 Rz. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., Anh. zu § 110 Rz. 11; Schütze, RIW 1999, 10).

Die Verurteilung der Kl.in zur Leistung von Prozeßkostensicherheit erfolgte daher unabhängig davon, wo sie ihren Verwaltungssitz hat, zu Unrecht.

IV. Keine Entscheidungsreife

Soweit die Kl.in auf die Anschlußberufung hin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit verurteilt wurde, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Im übrigen war der Rechtsstreit an das OLG zurückzuverweisen, damit es Gelegenheit hat, die oben unter II.2. erörterten, bisher fehlenden Feststellungen nachzuholen und sich bei Bejahung der Zulässigkeit der Klage mit deren Begründetheit -- erforderlichenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien -- auseinanderzusetzen. -- sg --

 

 


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