Dr. Marcel Grobys,            
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, München

 

Pflegezeitgesetz -- neue Freistellungsansprüche für Arbeitnehmer

 

Nachdem der Gesetzgeber vor einigen Jahren einen allgemeinen Anspruch auf "mehr Freizeit" im Arbeitsleben in Form eines Anspruchs auf Teilzeitarbeit geschaffen hat (vgl. Grobys , GmbHR 2001, R 37 f.), kommen nun in einem neuen Regelungswerk weitere Belastungen auf die Unternehmen zu. Seit dem 1.7.2008 ist das sog. Pflegezeitgesetz (PflegeZG) in Kraft, das Arbeitnehmern ein Recht auf kurzzeitiges Fernbleiben von der Arbeit oder auch auf eine bis zu sechs Monate dauernde Pflegezeit für die häusliche Versorgung eines nahen Angehörigen gibt. Das Gesetz ist Teil einer umfassenden "Strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung", mit der die ambulante Pflege in Form der häuslichen Pflege durch Angehörige gestärkt werden soll (vgl. BGBl. I 2008, 874 ff.). Zur Umsetzung dieses Ziels wurde eine Regelung geschaffen, die den betroffenen Arbeitnehmern größtmögliche Flexibilität gewährt; den Bedürfnissen der betrieblichen Praxis wird das Pflegezeitgesetz dagegen kaum gerecht. Das beginnt damit, dass die neuen Regelungen für nahezu sämtliche Unternehmen und Beschäftigten (vom Hausmeister bis zum Management) gelten.

 

Akuter Pflegefall

In einer akuten Pflegesituation haben Beschäftigte das Recht auf eine Freistellung bis zu 10 Arbeitstagen, soweit dies erforderlich ist, um für einen nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren. Der Begriff des nahen Angehörigen ist äußerst weit gefasst. Hierunter zählen etwa auch Großeltern, Schwiegereltern, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Schwiegerkinder und Enkelkinder (§ 7 Abs. 3 PflegeZG). Die Voraussetzungen der "Pflegebedürftigkeit" richten sich nach den Vorschriften der Pflegeversicherung. Wer die Freistellung in Anspruch nehmen will, muss dies dem Arbeitgeber "unverzüglich" mitteilen. Eine Mindestfrist für die Ankündigung besteht nicht. Somit kann durchaus der Fall eintreten, dass ein Beschäftigter "von heute auf morgen" der Arbeit fernbleibt, solange nur die Voraussetzung eines akuten Pflegefalls vorliegt. Der Arbeitgeber kann hierüber zwar eine ärztliche Bescheinigung verlangen (§ 2 Abs. 2 PflegeZG). Das Gesetz normiert jedoch -- anders als etwa das Entgeltfortzahlungsgesetz -- kein ausdrückliches Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers (z.B. hinsichtlich der Lohnzahlung), sofern die Bescheinigung nicht vorgelegt wird. Zudem lässt es die Frage der Vergütungspflicht während der Freistellung ausdrücklich offen (§ 2 Abs. 3 PflegeZG). Hier dürfte regelmäßig § 616 BGB anwendbar sein, wobei die Vorschrift -- in den Grenzen von §§ 305 ff. BGB -- vertraglich abdingbar ist. Unklar ist ferner, ob eine kurzzeitige Freistellung auch mehrmals hintereinander für denselben Angehörigen beansprucht werden kann (ablehnend BR-Drucks. 718/07, S. 220).

 

Langfristige Pflege

Zusätzlich haben Beschäftigte in Unternehmen mit mindestens 15 Beschäftigten einen Anspruch auf -- unbezahlte -- Freistellung von bis zu sechs Monaten für eine längerfristige Pflege eines nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung. Das Freistellungsverlangen muss dem Arbeitgeber mindestens 10 Tage vorher schriftlich angekündigt werden. Die Pflegebedürftigkeit ist in diesem Fall durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nachzuweisen (§ 3 Abs. 1 bis Abs. 3 PflegeZG). Problematisch ist insbesondere, dass der betroffene Arbeitnehmer den Umfang seiner Freistellung mehr oder weniger nach eigenem Ermessen bestimmen kann. Das gilt sowohl für die Dauer der Freistellung als auch für die mögliche Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit. Im Ergebnis wird somit neben den bestehenden gesetzlichen Regelungen (TzBfG, BEEG) ein weiterer Anspruch auf Teilzeitarbeit geschaffen. Arbeitgeber können dem Teilzeitverlangen lediglich "dringende betriebliche" Gründe entgegensetzen, die in der Praxis erfahrungsgemäß so gut wie nicht nachweisbar sind (vgl. § 3 Abs. 4 PflegeZG). Ein Aneinanderreihen der verschiedenen Freistellungsansprüche ist grundsätzlich möglich, so dass die Pflegezeit im Höchstfall sechs Monate und 10 Tage dauern kann.

 

Besonderer Kündigungsschutz

Wer dem Arbeitgeber die Inanspruchnahme einer Freistellung nach den oben beschriebenen Regeln angezeigt hat, ist von der Ankündigung bis zur Beendigung der Pflege ordentlich unkündbar (§ 5 Abs. 1 PflegeZG). Die Umsetzung dieser Regelung ist höchst problematisch, denn nach dem Gesetzeswortlaut hängt der besondere Kündigungsschutz nicht davon ab, ob die Voraussetzungen für einen Freistellungsanspruch (insbesondere eine "Pflegebedürftigkeit" eines "nahen Angehörigen") tatsächlich vorliegen. Insoweit wäre denkbar, dass Beschäftigte die Inanspruchnahme einer Pflegezeit lediglich "ins Blaue hinein" ankündigen, um in den Genuss des Sonderkündigungsschutzes zu kommen. Folglich wird man jedenfalls eine objektive Betrachtung aus der Sicht eines verständigen Arbeitnehmers verlangen müssen. Im Ergebnis ist allerdings unverständlich, dass der Gesetzgeber den besonderen Kündigungsschutz, der für ordentliche als auch für außerordentliche (!) Kündigungen gilt, derart massiv ausgestaltet hat. Ein vergleichbarer Schutz gilt nicht einmal für Betriebsratsmitglieder (vgl. § 103 BetrVG), die auf Grund ihrer Funktion als Gegenspieler des Arbeitgebers in weitaus höherem Maße "kündigungsgefährdet" sind. Ein pflegender Arbeitnehmer ist auch -- so ehrenswert der familiäre Einsatz sein mag -- nicht ebenso schutzwürdig wie eine werdende Mutter (vgl. § 9 MuSchG).

 

Fazit

Die Regelungswut des deutschen Gesetzgebers im Arbeitsrecht ist ungebremst. Das Pflegezeitgesetz ist zwar gut gemeint; es schafft aber an vielen Stellen Rechtsunsicherheit und berücksichtigt nicht in ausreichendem Maße das unternehmerische Bedürfnis an vorausschauender Personalplanung. Zudem wäre eine angemessene Bewältigung des Problems auch mit dem bestehenden gesetzlichen Instrumentarium (etwas § 616 BGB) bei dessen konsequenter Anwendung möglich. In der Praxis würde sich wahrscheinlich kein Arbeitgeber einem nachvollziehbaren und verständig vorgetragenen Wunsch eines Beschäftigten nach einer längeren (unbezahlten) Freistellung für die Pflege eines Angehörigen verschließen. So aber werden unnötige Zwangsmechanismen aufgebaut, wo freiwillige Regelungen an sich vorrangig (und selbstverständlich) wären. Ein vernünftiges Miteinander im Arbeitsverhältnis wird so nicht gefördert!

 



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