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Unionsrechtliche Einflüsse auf den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag unter besonderer Berücksichtigung des Diskriminierungs- und Mutterschutzrechts (Stöhr, GmbHR 2023, 429)

In kaum einem Bereich führen der nationale und der autonome unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zu solch unterschiedlichen Ergebnissen wie bei dem Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers. Während der arbeitsrechtliche Schutz auf der nationalen Ebene nur schwach ausgeprägt ist, wird er auf der europäischen Ebene deutlich erweitert. Im vorliegenden Beitrag werden die unionsrechtlichen Einflüsse auf die Arbeitnehmereigenschaft einschließlich ihrer Bedeutung im nationalen Recht dargestellt und auf die praxisrelevanten Bereiche des Diskriminierungs- und Mutterschutzes angewandt.

I. Einführung
II. Unionsrechtliche Einflüsse auf die Arbeitnehmereigenschaft

1. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff
2. Anwendung auf Geschäftsführer
3. Bedeutung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs für die Rechtsanwendung
III. Diskriminierungsschutz
1. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
2. Inhalt und Folgen des Benachteiligungsverbots
IV. Mutterschutz
1. Anstellungsverhältnis
2. Organverhältnis
V. Zusammenfassung und Fazit


I. Einführung

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GmbH-Geschäftsführer sind mit der Gesellschaft durch zwei eigenständige Rechtsverhältnisse verbunden: Mit dem Organverhältnis, das seine Stellung als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft betrifft, und mit dem Anstellungsverhältnis, welches das Innenverhältnis zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft (Trennungstheorie). Die rechtliche Einordnung des Anstellungsverhältnisses ist einer der meist diskutiertesten Themenfelder an der Schnittstelle zwischen Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht und allgemeinem Zivilrecht. Von zentraler Bedeutung ist die Frage des arbeitsrechtlichen Schutzes. Dieser ist auf der nationalen Ebene nur schwach ausgeprägt. Dies beruht zunächst auf der Konzeption des § 611a BGB. Danach ist Arbeitnehmer, wer durch privatrechtlichen Vertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Unter Hinweis auf die fehlende persönliche Abhängigkeit verneinen der BGH und ein Großteil der gesellschaftsrechtlichen Literatur generell die Arbeitnehmereigenschaft von (Fremd-)Geschäftsführern. Der Geschäftsführer unterliege keinem die persönliche Abhängigkeit begründenden Weisungsrecht, sondern übe vielmehr selbst Arbeitgeberfunktionen aus. Das BAG verneint die Arbeitnehmereigenschaft von (Fremd-)Geschäftsführern zumindest im Regelfall. Das Anstellungsverhältnis sei „in aller Regel“ als freier Dienstvertrag zu qualifizieren.

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Diese strenge Linie wird dadurch abgemildert, dass bestimmte arbeitsrechtliche Vorschriften analog auf Geschäftsführer anwendbar sind. Es ist jedoch umstritten, welche konkreten Vorschriften auf welche Geschäftsführer anwendbar sind. Der BGH ist insoweit großzügig und stellt auf solche Geschäftsführer ab, die der Gesellschaft ihre Arbeitskraft hauptberuflich zur Verfügung stellen und deren Lebenshaltung maßgeblich durch die bezogenen Einkünfte bestimmt wird, so dass sie wirtschaftlich von der Gesellschaft abhängig sind. Dies ist sowohl beim Fremdgeschäftsführer als auch bei einem minderheitlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer regelmäßig der Fall. Das BAG hat allerdings der analogen Anwendung von § 622 BGB auf solche Geschäftsführer entgegen der Rechtsprechung des BGH eine Absage erteilt. Ein weiterer Zugang zu bestimmten arbeitsrechtlichen Vorschriften wird über die Arbeitnehmerähnlichkeit geschaffen. Diesen hat das BAG jedoch für Geschäftsführer versperrt, indem es deren Arbeitnehmerähnlichkeit generell verneint.

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Während der arbeitsrechtliche Schutz auf der nationalen Ebene somit schwach ausgeprägt ist, bietet die europäische Ebene einen deutlich größeren Schutz. Im Folgenden wird zunächst die Arbeitnehmereigenschaft von Geschäftsführern nach der Rechtsprechung des EuGH dargestellt (unten II., Rz. 4 ff.). Sodann werden die die Auswirkungen auf den Diskriminierungsschutz (unten III., Rz. 10 ff.) und den Mutterschutz (unten IV., Rz. 15 ff.) behandelt.

II. Unionsrechtliche Einflüsse auf die Arbeitnehmereigenschaft

1. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff

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Gegenwärtig kennt das Arbeitsrecht der EU im Gegensatz zum nationalen Recht noch keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff. Sofern eine unionsrechtliche arbeitsrechtliche Vorschrift weder die Arbeitnehmereigenschaft selbst definiert noch auf den jeweiligen nationalen Arbeitnehmerbegriff der Mitgliedstaaten verweist, ist der autonome unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich. Danach ist Arbeitnehmer eine Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung enthält. Das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit ist auch im europäischen Arbeitsrecht geläufig, wird hier allerdings zumeist unter dem Begriff des Unterordnungsverhältnisses geprüft. Ob ein solches weisungsgeprägtes Unterordnungsverhältnis vorliegt, ist im Wege einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmen.

2. Anwendung auf Geschäftsführer
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Der EuGH hat in mehreren Leitentscheidungen Grundsätze und Kriterien zur statusrechtlichen Einordnung von Organmitgliedern entwickelt. Scheinbar streng war noch die Asscher-Entscheidung, wonach der Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren einziger Gesellschafter er ist, kein Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne sein kann. Die grundlegende Danosa-Entscheidung leitete jedoch den Zugang zum Arbeitsrecht ein. Danach kann ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, welches dieser gegenüber Leistungen erbringt und in sie eingegliedert ist, prinzipiell Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne sein. Die Funktion der Unternehmensleitung schließe ein Unterordnungsverhältnis nicht für sich genommen aus. Ein Mitglied der Unternehmensleitung sei dann als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne zu qualifizieren, wenn dessen Tätigkeit...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.05.2023 17:19
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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