Friedrich Merz MdB,
Michael Gottschalk,
Rechtsanwälte, Berlin*

Die GmbH im Jahr 2006 -- ein Ausblick

I. Die GmbH als Rechtsform unter Wettbewerbsdruck

Die GmbH ist nach wie vor die mit Abstand beliebteste Gesellschaftsform in Deutschland (s. neueste Erhebungen durch Kornblum, GmbHR 2006, 28 -- in diesem Heft). Gleichwohl treten infolge der jüngsten EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit -- die Entscheidungen "Centros", "Überseering" und "Inspire Act" sind hinreichend bekannt -- ausländische Rechtsformen zunehmend in einen Wettbewerb mit der deutschen GmbH ein (s. hierzu den Beitrag von Zöllner, GmbHR 2006, 1 ff. -- in diesem Heft). Für Gesellschaftsneugründungen in der Europäischen Union besteht heute weitgehend Rechtswahlfreiheit. Es ist -- wie in der gesamten Europäischen Union -- auch in Deutschland möglich, eine ausschließlich inländische Unternehmung in der Rechtsform einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu betreiben, also z.B. anstelle einer deutschen GmbH eine englische Private Limited Company, eine französische SARL oder auch eine schweizerische AG zu gründen. Um die deutsche GmbH für diesen Wettbewerb zu rüsten, gab es in der letzten Wahlperiode des Deutschen Bundestages im Bundesjustizministerium Überlegungen, das Mindest-Stammkapital der GmbH abzuschaffen oder auf 1 € herabzusetzen. Der dann am 1.6.2005 vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals (MindestkapG) sah eine Absenkung des Mindest-Stammkapitals auf 10.000 € vor (Volltext (PDF); dazu Melchior, GmbHR 2005, R 165). Der Gesetzentwurf war Teil des 20-Punkte-Programms zur Fortsetzung der Agenda 2010, die der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung am 17.3.2005 vorgestellt hatte. Aufgrund der vorzeitigen Beendigung der 15. Wahlperiode und der Auflösung des Deutschen Bundestages durch den Bundespräsidenten am 21.7.2005 ist der Gesetzentwurf der Diskontinuität anheimgefallen. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass das Thema bald wieder auf der Tagesordnung der Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung erscheinen wird. Das Argument, die GmbH müsse attraktiv bleiben gerade für mittlere und kleine Unternehmen in Deutschland, hat ja durch die vorgezogene Bundestagswahl an Bedeutung nichts verloren.

II. Schwindende Bedeutung des Stammkapitals

Zumindest vordergründig scheint die hauptsächliche Ursache für die Bemühungen, in ausländische Kapitalgesellschaftsformen auszuweichen, das im europäischen Vergleich -- in der Rechtssache "Centros" und ebenso in "Inspire Art" ging es um eine Limited mit einem Stammkapital von 100 Pfund -- hohe Mindest-Stammkapitalerfordernis von 25.000 € zu sein (dies untersucht auch Wilhelmi, GmbHR 2006, 13 -- in diesem Heft). Das Stammkapital soll den Gesellschaftsgläubigern als eine Mindesthaftungssumme zur Befriedigung ihrer Forderung gegen die Gesellschaft zur Verfügung stehen. Es soll ein Mindest-Eigenkapital vorhanden sein, damit wirtschaftliche Verluste nicht sofort das zur Befriedigung der Gläubiger erforderliche Gesellschaftsvermögen angreifen. Auf der anderen Seite fehlt bei der Bemessung des Stammkapitals ganz offenkundig eine Orientierung am individuellen Eigenkapitalbedarf des jeweiligen Unternehmens, wenn ein Mindest-Stammkapitals in Höhe von 25.000 € unabhängig von Umsatz, Ertragslage, Risiko des Geschäfts, Mitarbeiterzahl oder sonstigen Kennziffern eines Unternehmens gesetzlich vorgeschrieben ist. Der Betrag des Mindeststammkapitals in Höhe von 25.000 € ist auch als Haftungspolster gegen eine Überschuldung von vornherein ungeeignet, weil auch das Stammkapital im Handumdrehen verwirtschaftet sein kann. Es gibt ja auch keine gesetzliche Verpflichtung zur Erhaltung des Stammkapitals, § 30 GmbHG verbietet lediglich die Auszahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens an die Gesellschafter. Die Funktion eines Risikopolsters wird daher allenfalls bei der Gründung der Gesellschaft erfüllt.

Dementsprechend hat der EuGH in der "Inspire Art"-Entscheidung Zweifel erkennen lassen, ob das nach dem Recht einiger Mitgliedsstaaten verlangte Mindest-Stammkapital wirklich einen effektiven Gläubigerschutz herbeiführen kann. Deutlicher noch als im Urteil des EuGH werden diese Zweifel in den Schlussanträgen des Generalanwalts Alber v. 20.1.2003 (NZG 2003, 273 = GmbHR 2003, 302 [LS] -- Volltext, Rz. 141 ff.) formuliert: Ob die Kapitalschutzregelungen ein geeignetes Instrument zum Schutze der Gläubiger darstellten, sei eben sehr zweifelhaft.

Alle diese Zweifel bedeuten jedoch nicht, dass Gläubigerschutz durch Mindest-Stammkapital völlig aussichtslos wäre. Zumindest schützt das Mindest-Stammkapital im Rechtsverkehr vor der Gründung von Kapitalgesellschaften, wenn die Gesellschafter nicht einmal 25.000 € aufbringen können. Gleichzeitig vermag es diese "Seriositätsschwelle" allein sicher nicht zu rechtfertigen, dass das ganze Konstrukt des Gläubigerschutzes durch Mindeststammkapital im Ergebnis zu einer überaus dichten und komplexen Regelung durch gesetzliche Bestimmungen und gerichtliche Entscheidungen führt, die zum Teil nicht einmal mehr für Fachleute durchschaubar ist. Das eigentliche Problem liegt denn wohl auch nicht in dem Erfordernis, ein Mindest-Stammkapital in Höhe von 25.000 € aufzubringen, sondern vielmehr in der schwer durchschaubaren Rechtslage, die zum Schutze dieses Konzepts entstanden ist. Die Stichworte lauten kapitalersetzendes Darlehen, verdeckte Sacheinlage -- insbesondere bei der sanierenden Forderungseinlage -- und Verwendung eines GmbH-Mantels. Deshalb sollten auch keine Illusionen entstehen: Mit einer Absenkung des Mindeststammkapitalerfordernisses auf 10.000 € ist nichts gewonnen. Wer 25.000 € nicht aufbringen kann, der wird auch mit 10.000 € nicht viel mehr erreichen. Wir sprechen hier ja nicht über eine "Ich-AG" oder um ein kleines Handelsgeschäft. Wir sprechen über die Erfordernisse bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft, und dabei geht es ganz grundsätzlich um die Frage: Stammkapital -- Ja oder Nein?

III. Gläubigerschutz gegen ausländische Kapitalgesellschaften

Unabhängig von allen Reformdebatten leben wir bereits mit in Deutschland domizilierenden Gesellschaften ausländischer Rechtsformen. Zu den wichtigen damit verbundenen Fragen gehört, ob der Rechtsverkehr ausreichend vor den mit dieser Entwicklung einhergehenden Nachteilen geschützt ist. So kennt z.B. auch das englische Gesellschaftsrecht einschlägige Gläubigerschutzbestimmungen, und man kann die englische Limited aus Gläubigerschutzperspektive heraus sicher nicht pauschal als unzureichend einstufen. Allerdings bauen zahlreiche EU-Staaten ihre Schutzbestimmungen zugunsten der Gläubiger von Kapitalgesellschaften eher auf einem öffentlichrechtlichen Aufsichtssystem auf, dessen Wirkung naturgemäß territorial begrenzt ist, so dass sich nach diesen Jurisdiktionen gegründete Gesellschaften, die ihren Sitz in Deutschland haben, der Aufsicht des Landes entziehen, die die Rechtsform entwickelt haben. Auch die "wrongful-trading"-Haftung nach englischem Recht wird auf eine insolvente Limited mit Sitz in Deutschland kaum Anwendung finden können. Eine viel wichtigere Frage als die nach dem Mindestkapital der GmbH ist deshalb die nach der Anwendung der Gläubigerschutzvorschriften gegenüber solchen Gesellschaften, die mit einer in Deutschland nicht gesetzlich geregelten Rechtsform ihren Sitz gleichwohl in Deutschland haben.

Die allenfalls analoge Anwendung unserer gläubigerschützenden Vorschriften auf diese Gesellschaften, etwa der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 43 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, der Kapitalerhaltungshaftung nach §§ 30, 31 GmbHG oder der vom BGH entwickelten Existenzvernichtungshaftung, setzt zunächst einmal voraus, dass nach den Regeln des IPR Gesellschaften ausländischer Rechtsform überhaupt dem deutschen Sachrecht unterworfen werden können. Dabei versteht die h.M. (Bayer, BB 2004, 1 [4] und BB 2003, 2357 [2364]; Eidenmüller/ Rehm, ZGR 2004, 159 [166]; Kleiner/Probst, DB 2003, 1271 [1272]; Müller, NZG 2003, 414 [417]; Meilicke, GmbHR 2003, 1271 [1272]; Paefgen , DB 2003, 487 [488]; Westermann, ZIP 2005, 1849 [1851]; a.A. Altmeppen, NJW 2004, 97 [98]) und wohl auch der BGH (BGH v. 14.3.2005 -- II ZR 5/03, GmbHR 2005, 630) die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 43, 48 EG-Vertrag zumindest vom praktischen Ergebnis her als eine Kollisionsnorm des Inhalts, dass grundsätzlich das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaats auf die in Deutschland ansässige EU-Auslandsgesellschaft anzuwenden ist. Damit würde eine analoge Anwendung der genannten Gläubigerschutzvorschriften jedenfalls dann ausscheiden, wenn man sie international-privatrechtlich dem Gesellschaftsrecht zuordnet.

Indes finden sich in letzter Zeit vermehrt gewichtige Stimmen, die den Bezug dieser Gläubigerschutzvorschriften zum Insolvenzrecht hervorheben (Goette, DStR 2005, 197; Röhricht, ZIP 2005, 505; ), und dies vor dem Hintergrund, dass nach Art. 4 EuInsVO auf insolvenztypische Tatbestände das Insolvenzrecht des Staates Anwendung findet, der international für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig ist. Bei insolventen Gesellschaften ausländischen Rechts mit Sitz in Deutschland würde also durchgängig deutsches Recht gelten.

Gegen eine Zuordnung der genannten Gläubigerschutzvorschriften zum Insolvenzrecht scheint allerdings zunächst einmal deren Verortung in den gesellschaftsrechtlichen Spezialregelungen zu sprechen. Zu Recht wird in der Literatur aber darauf hingewiesen, dass diese Zuordnung nur historisch zu erklären ist und offenbar seit langem nicht mehr überdacht wurde, jedenfalls kein ausdrückliches Votum des Gesetzgebers gegen eine insolvenzrechtliche Zuordnung vorliegt (ausführlich zur Entstehungsgeschichte Borges, ZIP 2004, 733 [738]). Vor diesem Hintergrund besteht möglicherweise auch hier Handlungsbedarf. Dabei wird allerdings zu berücksichtigen sein, dass zum einen der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nicht eingeschränkt werden darf durch eine nationale Zuordnung des dem Gläubigerschutz dienenden Teils des ausländischen Gesellschaftsrechts zum Insolvenzrecht; zum anderen ist die Reichweite der Insolvenzrechtskollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO unabhängig vom deutschen Verständnis autonom zu bestimmen.

Diese Schwierigkeiten zeigen, dass zumindest Klarstellungen durch den Gesetzgeber notwendig sind. Es dürfte nämlich allein wegen der bestehenden Verortung und Formulierung (z.B. § 43 GmbHG !) nicht gelingen, die im nationalen Recht bestehenden Gläubigerschutzvorschriften gegenüber dem EuGH als Regelungen darzustellen, die nichts mit der gesellschaftsrechtlichen Organisationsform zu tun haben.

IV. Fazit

Daraus folgt: Die GmbH muss sich auch im Jahr 2006 und vermutlich noch mehr als bisher dem Wettbewerb der Rechtsordnungen stellen. Dabei ist nicht nur das Konzept des Gläubigerschutzes durch Mindeststammkapital zu überdenken, sondern auch alle Vorschriften, die das Mindestkapitalerfordernis flankieren oder die bereits durch alternative Regelungen ersetzt wurden. Die bloße Absenkung des Mindeststammkapitals wird hierzu nicht genügen.

Es wird ferner darum gehen, den Schutz des Rechtsverkehrs gegenüber den vermehrt auftretenden EU-Auslandsgesellschaften mit Sitz in Deutschland sicherzustellen. In diesem Zusammenhang wird auch zu überprüfen sein, ob der gewünschte und notwendige Schutz der Gläubiger durch eine Änderung der bislang in gesellschaftsrechtlichen Spezialgesetzen verorteten Gläubigerschutzvorschriften bis hin zu rechtsformunabhängigen Insolvenztatbeständen zu realisieren ist.

 

* Friedrich Merz ist Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages und Partner der Anwaltssozietät Mayer Brown Rowe & Maw LLP in Berlin und Frankfurt a. M.; Michael Gottschalk ist Associate in der Anwaltssozietät Mayer, Brown, Rowe & Maw in Berlin.

 



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