Marcel Grobys, Rechtsanwalt,
München

Rechtskontrolle von Arbeits- und Dienstverträgen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz

Müssen nach dem 1.1.2002 Millionen von Arbeitsverträgen neu geschrieben werden? Auszuschließen ist das nicht. Mit dem Inkrafttreten des sog. Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (vgl. BGBl. I 2001, 3138) zum 1.1.2002 finden nämlich die bislang im Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen ("AGB-Gesetz") enthaltenen Schranken auch auf die formularmäßige Ausgestaltung von Arbeitsverträgen Anwendung. Lediglich für "Altverträge" gilt eine Übergangsregelung bis zum Jahr 2003. Bekanntlich war eine Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Bereichsausnahme bislang nicht möglich (vgl. §23 Abs.1 AGBG a.F.). Das BAG hat allerdings auch in der Vergangenheit – teilweise in Anlehnung an das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, teilweise unter Anwendung eines eigenen Billigkeitsmaßstabs (§242, §315 BGB) – der nach seiner Auffassung im Arbeitsrecht häufig gestörten Vertragsparität zur Geltung verholfen (vgl. nur BAG v. 24.11.1993 – 5 AZR 153/93, NZA 1994, 759 [760]). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese "unüberschaubare" Rechtsprechung nunmehr beseitigt und das Schutzniveau der Vertragsinhaltskontrolle im Arbeitsrecht dem des übrigen Zivilrechts angepaßt werden (BT-Drucks. 14/6857, S. 54). Es steht allerdings genau das Gegenteil zu befürchten. Denn ebenso wie frühere Meisterleistungen, etwa die überflüssige Debatte um Scheinselbständigkeit (vgl. Grobys, GmbHR 1999, R 269) oder die mißglückte Reform des Betriebsverfassungsrechts (dazu Löw, GmbHR 2001, R 413) ist die Neuregelung arbeitsrechtlich nicht durchdacht. Sie dient daher nur vordergründig dem Schutz der Arbeitnehmer.

Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB

Die in das Allgemeine Schuldrecht eingefügten §§ 305 ff. BGB, die weitgehend dem früheren AGB-Gesetz entsprechen, gelten für alle "für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluß eines Vertrags stellt" (§ 305 Abs. 1 BGB).

Da die meisten Arbeitsverträge vom Arbeitgeber vorformulierte Musterbestimmungen enthalten, dürfte das Gesetz nahezu "flächendeckend" anwendbar sein. Erfaßt werden grundsätzlich auch standardisierte Vertragsbestimmungen, die erst nachträglich in den Arbeitsvertrag einbezogen werden (z.B. Wettbewerbsverbot oder Bonusplan) und die – wie in der Praxis üblich – nicht im einzelnen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelt sind. Strenggenommen stellen auch Abwicklungs- und Aufhebungsverträge den "Abschluß" eines Vertrags dar, auch wenn damit gleichzeitig ein anderer (bestehender) Vertrag beendet wird. Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen fallen dagegen nicht unter das Gesetz (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB). Dies gilt auch, soweit in einem Einzelarbeitsvertrag auf derartige Regelungswerke Bezug genommen wird (BT-Drucks. 14/6857, S. 54).

Darüber hinaus gelten die besonderen Klauselverbote mit und ohne Wertungsmöglichkeit (§ 308, § 309 BGB) nicht für Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem "Unternehmer" verwendet werden (§ 310 Abs. 1 BGB). Hierzu wird man auch Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer und Vorstände, rechnen müssen, die im Regelfall als Selbständige im Sinne des Arbeitsrechts anzusehen sind. Das AGB-Recht findet auf ihre Dienstverträge daher allenfalls eingeschränkt Anwendung.

Flucht nach vorne?

Praktisch dürfte es nur schwer möglich sein, dem Gesetz durch kreatives Handeln zu entfliehen. Inhaber größerer Unternehmen werden nämlich nur ungern jede einzelne Vertragsbestimmung ernsthaft zur Disposition stellen und mit dem Arbeitnehmer im Einzelfall aushandeln. Praktisch könnte dies freilich dadurch geschehen, daß man zunächst den Arbeitnehmer auffordert, seinerseits den Entwurf für einen Arbeitsvertrag vorzulegen. Verhandeln die Parteien dann auf der Grundlage dieses Entwurfes weiter, sind die Vertragsbedingungen jedenfalls nicht mehr einseitig vom Arbeitgeber als Verwender "gestellt". Dies dürfte gleichermaßen gelten, wenn sich der Arbeitnehmer bei dem Abschluß oder der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses anwaltlich beraten läßt. Dies geschieht in der Praxis häufig bei Aufhebungsverträgen. Eine Störung der Vertragsparität ist in solchen Fällen nicht zu befürchten.

Inhaltskontrolle

Welche typischen arbeitsrechtlichen Vorschriften müssen nun auf den Prüfstand?

Die allgemeine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB dürfte zunächst weitgehend denselben Regeln folgen, die die Rechtsprechung unter Anwendung ihres Billigkeitsmaßstabs gemäß § 242, § 315 BGB entwickelt hat. Beiderseitige Ausschlußfristen von angemessener Dauer, Stichtagsregelungen und Rückzahlungsklauseln für Sonderzahlungen und eine zumutbare Erweiterung des Direktionsrechts kraft vertraglicher Vereinbarung werden daher auch nach der Reform weiterhin zulässig sein.

Für Organmitglieder gilt im Prinzip das gleiche. Immerhin haben auch hier die Zivilgerichte in der Vergangenheit unter Rückgriff auf die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) angemessene Lösungen im Einzelfall gefunden (vgl. OLG Düsseldorf v. 23.10.1996 – 15 U 162/95, GmbHR 1998, 180 [181], zur Wirksamkeit eines Wettbewerbverbots). Überraschungen dürften daher auch in diesem Bereich nicht zu erwarten sein.

Anders sieht es dagegen bei den Klauselverboten mit und ohne Wertungsmöglichkeit aus:

Vertragsstrafen: Vertragsstrafenregelungen, die bislang nach arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung ohne weiteres zulässig waren, könnten künftig an § 309 Nr. 6 BGB scheitern. Die Norm erklärt Bestimmungen für unwirksam, die für den Fall, daß der andere Vertragsteil sich vom Vertrag löst, die Zahlung einer Vertragsstrafe vorsehen. Da der Arbeitgeber die (höchstpersönliche) Arbeitsleistung jedoch praktisch nicht gerichtlich erzwingen kann, stellen solche Regelungen in der Regel ein legitimes Mittel zur Absicherung des Vertragszwecks dar. Im Arbeitsrecht wird man das Klauselverbot daher so auszulegen haben, daß ein Vertragsstrafeversprechen nur für den Fall einer rechtmäßigen Lösung vom Arbeitsvertrag unzulässig ist (im Ergebnis wohl auch BT-Drucks. 14/6857, S. 54).

Zurückbehaltungsrechte: Die Vereinbarung, daß ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers ausgeschlossen ist, kann künftig gegen § 309 Nr. 2b BGB verstoßen. Solche Vereinbarungen wurden bislang allgemein für zulässig gehalten, insbesondere in Bezug auf Gegenstände (z.B. Dienstwagen, Handy, Unterlagen), die der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber anläßlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzugeben und an dessen zügiger Rückgabe der Arbeitgeber ein legitimes Interesse hat.

Änderungsvorbehalte: Die Möglichkeit, Leistungen für die Zukunft abzuändern (z.B. durch einen rechtmäßig vereinbarten Widerrufsvorbehalt) könnte künftig durch § 308 Nr. 4 BGB eingeschränkt sein. Allerdings können nach dem Gesetzeswortlaut Änderungen erfolgen, wenn sie für den anderen Vertragsteil zumutbar sind. Dies entspricht der bisherigen Rechtslage, wonach das Recht zum Widerruf gemäß § 315 BGB ohnehin einer Zumutbarkeitskontrolle unterworfen war. Freiwillige Leistungen, auf die von vornherein kein Rechtsanspruch besteht, fallen hingegen nicht unter § 308 Nr. 4 BGB. Da der Arbeitgeber hier ein bestimmtes Verhalten in Zukunft nicht versprochen hat, wäre ein darauf gerichteter Bestandsschutz paradox.

Der normierte Ausschluß überraschender und mehrdeutiger Klauseln sowie die sog. Unklarheitenregelung (§ 305c, § 307 Abs. 1 BGB) waren bereits in der Vergangenheit fester Bestandteil der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BAG v. 16.3.1982 – 3 AZR 843/79, DB 1982, 1728; v. 29.11.1995 – 5 AZR 447/94, NJW 1996, 2117 [2118]). Allerdings dürfte eine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Vertragsbestimmungen, die bislang jedenfalls beim Vorliegen einer "salvatorischen Klausel" für zulässig gehalten wurde, aufgrund von § 306 BGB künftig schwieriger werden (vgl. grundsätzlich ablehnend BGH v. 17.5.1982 – VII ZR 316/81, NJW 1982, 2309; v. 3.11.1999 – VII ZR 269/98, WM 2000, 629 [634]).

Fazit

Das auf Verbraucherverträge und nicht auf Arbeitsverhältnisse zugeschnittene Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirft zahlreiche neue Fragen auf und engt die bisher im Arbeitsrecht entwickelten Begründungsansätze zur Beseitigung gestörter Vertragsparität ohne erkennbare Not ein. Es ist nicht auszuschließen, daß Arbeitnehmer die damit verbundene Rechtsunsicherheit künftig mit einem Abschlag beim Gehalt bezahlen müssen. Der Gesetzgeber hat daher auch gleich eine Hintertür offengelassen: Gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB sollen bei der Anwendung des bisherigen AGB-Rechts auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten "angemessen zu berücksichtigen" sein. Das gesetzgeberische Vorhaben wird damit aber ad absurdum geführt. Denn nach wie vor wird die Rechtsprechung die Voraussetzungen der (arbeits-)vertragsrechtlichen Ordnung definieren müssen, die nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Anwendung der §§ 305 ff. BGB geschützt werden soll. Im Ergebnis obliegt daher doch dem BAG die Verantwortung zur Sicherung der Vertragsgerechtigkeit im Arbeitsrecht. Einer systemwidrigen Ausweitung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hätte es also nicht bedurft!


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