16 / 2016

Gary Rüsch, Köln

Elektronische Finanzverwaltung in der Unternehmenspraxis

Am 22.6.2016 wurde das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2016, 1679 ff.). Es tritt weitgehend zum 1.1.2017 in Kraft. Ein Ziel ist die „Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz [des Steuerverfahrens] durch einen verstärkten Einsatz der Informationstechnologie (...)“ (BT-Drucks. 18/8434, S. 1). Nicht umsonst wurde das Gesetzesvorhaben auch in der Literatur als „Meilen-stein auf dem Weg der weiteren Digitalisierung im Steuerrecht“ bezeichnet (Schwenker, DB 2016, 375 ff.). Da-bei handelt es sich in Sachen EDV-Einsatz zutreffend nur um eine kleine Ausweitung – wenn auch mit großer Bedeutung – eines heute ohnehin in weiten Teilen bereits automatisierten und elektronisch ablaufenden Besteuerungsverfahrens. Dies zeigt sich an den entsprechenden Tatbeständen der Abgabenordnung, die sich auf alle Bereiche des Steuerverfahrens erstrecken und über die Jahre immer stärker ausgeweitet wurden. Von der (stetigen) Ausweitung der „elektronischen Tatbestände“ profitiert zumeist nicht nur die Finanzverwaltung, sondern auch die Unternehmenspraxis. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation.
Einen Überblick über die Bereiche der elektronischen Finanzverwaltung geben die nachfolgenden Ausführungen.


I. Elektronische Kommunikation


1. Generalvorschrift des § 87a AO
Im Teil über die allgemeinen Verfahrensvorschriften ermöglicht bereits seit dem Jahr 2002 die Generalvorschrift des § 87a AO die rechtsverbindliche elektronische Kommunikation mit dem Finanzamt und meint vor allem die Kommunikation per E-Mail.
Voraussetzung für die elektronische Kommunikation ist zunächst, dass die Behörde als Empfänger „hierfür einen Zugang eröffnet“ (§ 87a Abs. 1 S. 1 AO), z.B. durch die Angabe einer E-Mail-Adresse. Ist für Anträge, Erklärungen und Mitteilungen der Beteiligten oder für Äußerungen der Finanzbehörde keine Schriftform vorgesehen, ist die elektronische Kommunikation uneingeschränkt möglich. Ist die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben, gilt einschränkend, dass es für die elektronische Kommunikation einer qualifizierten elektronischen Signatur bedarf (§ 87a Abs. 3 – 5 AO). Ist die elektronische Form gesetz-lich explizit ausgeschlossen (z.B. in §§ 224a, 244, 309, 324 AO), bleibt es bei der bisherigen Schriftform.

2. Einzelvorschriften
Zeitgleich mit der Einführung des § 87a AO im Jahr 2002 wurden eine Reihe von Einzelvorschriften an die elektronische Kommunikationsmöglichkeit angepasst, wodurch auch hier – durch die gesetzliche Fixierung – keine qualifizierte elektronische Signatur mehr erforderlich ist.
So können die über § 93 Abs. 1 S. 1 AO zu erteilende Auskünfte der Beteiligten und anderen Personen seitdem ebenfalls elektronisch ergehen (§ 93 Abs. 4 S. 1 AO). Auch ein Verwaltungsakt kann elektronisch erlassen wer-den (§ 119 Abs. 2 S. 1 AO). Die Vorschriften zur Begründung des Verwaltungsakts (§ 121 Abs. 1 AO), zur Bekanntgabefiktion (§ 122 Abs. 2a AO), zur Nichtigkeit bei Nichterkennen der erlassenden Behörde (§ 125 Abs. 2 Nr. 1 AO) und zur Rechtsbehelfsbelehrung (§ 356 Abs. 1 u. 2 AO) wurden ebenfalls entsprechend angepasst. Glei-ches gilt für die Zugangsfiktion bei der Bestellung eines Empfangsbevollmächtigten (§ 123 S. 2 u. 3 AO). Darüber hinaus können Mitteilungen der Finanzbehörde an die Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung seit dem Jahr 2011 elektronisch ergehen (§ 31b S. 2 AO).


II. Automatisierter Kontenabruf


Ebenfalls im Teil über die allgemeinen Verfahrensvorschriften ermöglicht § 93 Abs. 7 AO seit dem Jahr 2005 den Finanzbehörden über das Bundeszentralamt für Steuern bei Kreditinstituten gemäß § 93b AO i.V.m. § 24c KWG gespeicherte Kontoinformationen automatisiert abzurufen.


III. Elektronische Übermittlungspflichten des Steuerpflichtigen


Im Abschnitt über die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen verpflichtet § 150 Abs. 1 S. 2 AO i.V.m. den Einzelsteuergesetzen oder i.V.m. § 150 Abs. 6 AO und der Steuerdaten-Übermittlungsvorschrift (StDÜV) den Steuerpflichtigen – mit Ausnahmen zur Vermeidung unbilliger Härten – zur elektronischen Übermittlung von na-hezu allen wesentlichen Steuererklärungen und -anmeldungen.
Seit dem Veranlagungszeitraum 2011 sind die (Jahres-)Erklärungen zur Einkommensteuer bei Gewinneinkünften und außerhalb der Veranlagungsfälle des § 46 Abs. 2 Nr. 2 – 8 EStG (§ 25 Abs. 4 S. 1 EStG) die Anlage EÜR (§ 60 Abs. 4 EStDV), die Erklärung zur Körperschaftsteuer (§ 31 Abs. 1a S. 1 KStG), zur Gewerbesteuer und in den Fällen des § 28 GewStG die Zerlegungserklärung (§ 14a S. 1 GewStG) sowie die Erklärung zur Umsatzsteuer (§ 18 Abs. 3 S. 1 UStG) elektronisch zu übermitteln. Entsprechendes gilt gemäß § 181 Abs. 2a AO auch für die Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Im Bereich der Steueranmeldungen ist seit dem Jahr 2005 die Anmeldung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 S. 2 EStG), korrespondierend auch die Lohnsteuerbescheinigung (§ 41b Abs. 1 S. 2 EStG), seit dem Jahr 2008 die Kapitalertragsteueranmeldung (§ 45a Abs. 1 S. 1 EStG), seit dem Jahr 2005 die Umsatzsteuervoranmeldung (§ 18 Abs. 1 S. 1 UStG) und seit dem Jahr 2007 auch die Zusammen-fassende Meldung (§ 18a Abs. 1 S. 1 UStG) elektronisch abzugeben.
Ferner ist seit dem Jahr 2013 nach § 5b EStG auch die Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung elektronisch an das Finanzamt zu übermitteln.


IV. Elektronische Mitteilungspflichten von Dritten

Zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (und zur Verwaltungsvereinfachung) existieren neben den elektronischen Übermittlungspflichten des Steuerpflichtigen auch zahlreiche elektronische Mitteilungspflichten in den Einzelsteuergesetzen von nicht am Steuerverfahren beteiligter Dritter.
Elektronisch zu übermitteln ist z.B. seit dem Jahr 2007 die Rentenbezugsmittelung (§ 22a Abs. 1 S. 2 EStG) und die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Lohnersatzleistungen, wie z.B. Arbeitslosen- oder Elterngeld (§ 32b Abs. 3 EStG), seit dem Jahr 2008 die Basisrenten- und Altersvorsorgebeiträge (§ 10 Abs. 2a S. 4 Nr. 1 u. 2 EStG) und seit dem Jahr 2010 auch die Kapitalerträge (§ 45d Abs. 1 S. 2 EStG).


V. Elektronische Einspruchserhebung

Im Bereich des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ist seit dem Jahr 2013 der Einspruch auf elektronischem Wege möglich (§ 357 Abs. 1 S. 1 AO). Gemeint ist auch hier die Übermittlung des Einspruchs per E-Mail. Vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen bestand diese Möglichkeit nur über den AEAO zu § 357 Nr. 1 AO.


VI. Elektronische Betriebsprüfung


Seit dem Jahr 2002 besteht über § 147 Abs. 6 AO – beschränkt nach § 200 Abs. 1 S. 2 AO auf den Bereich der Außenprüfung (Betriebsprüfung, Umsatzsteuer-Sonderprüfung und Lohnsteuer-Außenprüfung) – ein Zugriffsrecht der Finanzverwaltung auf die digitale Buchführung des Steuerpflichtigen. Zugegriffen werden kann nur auf steuerlich relevante Daten, z.B. die Finanz-, Anlage- und Lohnbuchhaltung, wobei auch E-Mails steuerliche Bedeutung haben können. Die Außenprüfung kann unmittelbar selbst Einsicht in die gespeicherten Daten o-der Auswertungen vornehmen (§ 147 Abs. 6 S. 1 AO) oder mittelbar nach den deren Vorgaben über den Steuer-pflichtigen oder eine mit dem Datenverarbeitungssystem vertraute Person (§ 147 Abs. 6 S. 2 Alt. 1 AO). Auch eine Datenträgerüberlassung kommt in Betracht (§ 147 Abs. 6 S. 2 Alt. 2 AO).

VII. AO-Modernisierungsgesetz


Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens weitet die bestehenden „elektronischen Tatbestände“ der Abgabenordnung quantitativ nur geringfügig aus.
Gleichwohl wird eine Reihe von Tatbeständen um die elektronische Kommunikationsmöglichkeit ergänzt. So wird zukünftig auf das Schriftformerfordernis beim Nachweis einer Bevollmächtigung verzichtet (§ 80 Abs. 1 AO n.F.), wodurch der Nachweis auch hier durch elektronische Übermittlung der Vollmacht geführt werden kann. Außerdem wird eine Neuregelung zur elektronischen Übermittlung von Vollmachtsdaten an Landesfinanzbehörden geschafften (§ 80a AO n.F.). Der Antrag zur Aufteilung einer Gesamtschuld kann ebenfalls elektronisch gestellt werden (§ 269 Abs. 1 AO n.F.). Obwohl Steuer-pflichtige ihren Einspruch schon seit dem Jahr 2013 elektronisch einreichen können, wird die Möglichkeit die Einspruchsentscheidung für die Finanzbehörde elektronisch zu erteilen, erst jetzt geschaffen (§ 366 AO n.F.). In Sachen Außenprüfung kann zudem auch die Prüfungsanordnung zukünftig elektronisch ergehen (§ 196 AO n.F.).
Für die elektronischen Mitteilungspflichten von Dritten wird eine Generalnorm geschaffen (§ 93c AO n.F.), die selbst zwar keine Ausweitung der Mitteilungspflichten vorsieht, aber in verfahrensrechtlicher Hinsicht Vereinheitlichungen vornimmt.
Darüber hinaus – und sicherlich eine der bedeutendsten Änderung – kann die Steuerfestsetzung in Zukunft vollautomatisch erfolgen (§ 155 Abs. 4 AO n.F.). In diesem Zusammenhang kann auch der Steuerbescheid elektronisch erteilt werden (§ 157 Abs. 1 S. 1 AO n.F.). Die Bekanntgabe erfolgt dann ebenfalls elektronisch durch die Bereitstellung zum Datenabruf (§ 122a Abs. 1 AO n.F.). Die Drei-Tages-Fiktion gilt hier derart, dass ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt am dritten Tag nach Absendung der elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung der Daten als bekannt gegeben gilt (§ 122a Abs. 3 AO n.F.).

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 21.09.2016 11:19