Weitere aktuelle Rechtsprechung in Leitsätzen (KW 35)

Hier finden Sie die Leitsätze ausgewählter aktueller Entscheidungen aus dem Unternehmensrecht.

EuGH 16.3.2023, C-449/21 – Towercast SSU
Fusionskontrolle aufgrund der Wettbewerbsregeln

Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dass ein Unternehmenszusammenschluss, der nicht von gemeinschaftsweiter Bedeutung i.S.v. Art. 1 dieser Verordnung ist, unterhalb der vom nationalen Recht vorgesehenen Schwellen für eine verpflichtende Ex ante-Kontrolle liegt und nicht gem. Art. 22 der genannten Verordnung zu einer Verweisung an die Europäische Kommission geführt hat, in Anbetracht der Struktur des Wettbewerbs auf einem nationalen Markt von einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats als ein von Art. 102 AEUV verbotener Missbrauch einer beherrschenden Stellung beurteilt wird.
(amtl.)

 

OLG Brandenburg 29.3.2023, 7 U 39/22
Zur Inanspruchnahme eines Scheingesellschafters nach den Grundsätzen der Scheingesellschaft

1. Die Frage, ob ein Gesellschaftsvertrag geschlossen worden ist, ist durch Auslegung der von beiden Vertragsparteien abgegebenen Erklärungen unter Einbeziehung einer objektiven Abwägung der beiderseitigen Interessen zu ermitteln.

2. Die Parteien eines Rechtsgeschäfts schließen kein Scheingeschäft ab, wenn der von ihnen verfolgte rechtliche oder wirtschaftliche Zweck gerade die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts voraussetzt.

3. Für die Haftung gegenüber Dritten wendet die Rechtsprechung auch im Fall eines unwirksam geschlossenen Gesellschaftsvertrages oder der Beendigung der Mitgliedschaft in einer Gesellschaft die Grundsätze an, die für eine Scheingesellschaft, also eine tatsächlich vertraglich gar nicht existierende Gesellschaft, entwickelt wurden.

4. Die Gesellschafter können gegenüber Dritten als Scheingesellschafter haften, sofern sie in zurechenbarer Weise den Rechtsschein einer existierenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft gesetzt haben und der Dritte sich auf den gesetzten Rechtsschein verlassen hat.

5. § 93 InsO betrifft die Haftung des Gesellschafters, die akzessorisch zu dem Anspruch gegen die Gesellschaft hinzutritt. Sie betrifft einen Fall, in dem der Gesellschafter aus rechtlichen Gründen gegenüber allen Gläubigern in gleicher Weise wie die Schuldnerin haftet.
(alle nicht amtl.)

 

BFH 16.3.2023, V R 14/21 (V R 45/19)
Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft

1. Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ kann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind (Anschluss an das EuGH-Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.4.2021 – C-868/19, ECLI:EU:C:2021:285 und insoweit Aufgabe des BFH-Urteils v. 2.12.2015 – V R 25/13, BFHE 251, 534 = BStBl. II 2017, 547).

2. Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.

3. Organträger und Organgesellschaft können nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (z.B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (z.B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden (Bestätigung des BFH-Urteils v. 26.8.2021 – V R 13/20, BFHE 273, 364).
(alle amtl.)

 

BFH 15.3.2023, I R 41/19
vGA – Versorgungszahlung und Geschäftsführergehalt

1. Aus steuerrechtlicher Sicht ist es nicht zu beanstanden, ein Versorgungsversprechen der Kapitalgesellschaft nicht von dem endgültigen Ausscheiden des Begünstigten aus dem Dienstverhältnis als Geschäftsführer, sondern allein von dem Erreichen der Altersgrenze abhängig zu machen. In diesem Fall würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter allerdings grundsätzlich verlangen, entweder das Einkommen aus der fortbestehenden Tätigkeit als Geschäftsführer auf die Versorgungsleistung anzurechnen oder den vereinbarten Eintritt der Versorgungsfälligkeit – ggf. unter Vereinbarung eines nach versicherungsmathematischen Maßstäben berechneten Barwertausgleichs – aufzuschieben, bis der Begünstigte endgültig seine Geschäftsführerfunktion beendet hat (Bestätigung der Senatsurteile vom 5.3.2008 – I R 12/07, BFHE 220, 454, BStBl. II 2015, 409, und vom 23.10.2013 – I R 60/12, BFHE 244, 256, BStBl. II 2015, 413).

2. Wird allerdings nach dem Eintritt des Versorgungsfalles neben der Versorgungsleistung bei voller Weiterbeschäftigung als Geschäftsführer für diese Tätigkeit lediglich ein reduziertes Gehalt gezahlt, liegt nach der Maßgabe eines hypothetischen Fremdvergleichs dann keine gesellschaftliche Veranlassung vor, wenn die Gehaltszahlung die Differenz zwischen der Versorgungszahlung und den letzten Aktivbezügen nicht überschreitet (Fortentwicklung der bisherigen Senatsrechtsprechung).
(alle amtl.)

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.08.2023 10:47
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite