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Abfindungsbemessung gem. § 728 BGB nach der Reform des Personengesellschaftsrechts (Fleischer, GmbHR 2023, 1005)

§ 728 BGB in der Fassung des MoPeG stellt den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters auf eine neue textliche Grundlage. Inwieweit sich hieraus auch sachliche Änderungen gegenüber dem bisherigen Rechtsstand ergeben, lässt sich aus den diffusen Gesetzesmaterialien nicht sicher erschließen. Der vorliegende Beitrag bemüht sich mit Hilfe einer Textstufenanalyse um eine erste Klärung. Er richtet sein Hauptaugenmerk auf das Bewertungsziel der angemessenen Abfindung i.S.d. § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB, die Bewertungstechniken der direkten und indirekten Anteilsbewertung sowie die normzweckadäquaten Bewertungsmethoden. Außerdem untersucht er, ob und inwieweit anteilsbezogene Bewertungsfaktoren bei der Abfindungsbemessung zu berücksichtigen sind.


I. Einführung

II. Die Neuregelung zur Abfindungsbemessung im Überblick

1. Vom alten § 738 BGB zum neuen § 728 BGB

2. Textliche Änderungen gegenüber der Vorgängernorm

a) Anspruch auf angemessene Abfindung

b) Keine Verknüpfung mehr mit fiktivem Auseinandersetzungsanspruch

c) Gesellschaftsanteil als Bewertungsobjekt

d) Präzisierung des Zeitpunkts der Anspruchsentstehung

e) Keine Sondervorschrift mehr für schwebende Geschäfte

f) Gesellschaft als Anspruchsverpflichtete

g) Grundsätzliche Disponibilität des Abfindungsanspruchs

3. Bedeutung für andere Gesellschaftsformen

4. Fortschreitende Ausformung eines gesellschaftsübergreifenden Abfindungsrechts

III. Normative Leitplanken für die Abfindungsermittlung

1. Bewertungsziel

a) Bisheriger Rechtsstand

b) Beurteilung nach neuem Recht

aa) Mehr Freiraum für die Gesellschafter?

bb) Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte?

2. Bewertungstechniken

a) Bisheriger Rechtsstand

b) Beurteilung nach neuem Recht

3. Bewertungsmethoden

a) Bisheriger Rechtsstand

aa) Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage bei der Methodenauswahl

bb) Keine Bindung an eine bestimmte Wertermittlungsmethode

b) Beurteilung nach neuem Recht

IV. Mögliche Relevanz anteilsbezogener Bewertungsfaktoren

1. Bisheriger Rechtsstand

2. Beurteilung nach neuem Recht

a) Unterschiedliche Beteiligungshöhe

b) Unterschiedliche Ausgestaltung der Anteile

c) Rechtliche oder tatsächliche Veräußerungshindernisse

V. Ergebnisse


I. Einführung

Auseinandersetzungen um die Abfindungsbemessung ausgeschiedener Gesellschafter spielen in der Praxis des Personengesellschafts- und GmbH-Rechts eine große Rolle. Bei der Reform des Personengesellschaftsrechts durch das am 1.1.2024 in Kraft tretende MoPeG stand dieser Fragenkreis zwar nicht im Mittelpunkt. Die Neufassung des alten § 738 BGB, der „bewertungsrechtlichen Basisnorm“ im Gesellschaftsrecht, führt aber zu manchen Akzentverschiebungen, die sich noch nicht vollständig überblicken lassen. Dies liegt vor allem daran, dass die vorgenommenen Änderungen nicht in allen Einzelheiten durchdacht und während des Gesetzgebungsverfahrens nur am Rande diskutiert wurden. Zusätzliche Verwirrung stiften die Gesetzesmaterialien, die wegen ihrer nicht ganz widerspruchsfreien Aussagen schon für Unruhe gesorgt haben.

Vor diesem Hintergrund erkundet der vorliegende Beitrag die frisch überarbeitete Abfindungsregelung. Er gibt zunächst einen Überblick über den Entstehungsprozess des neuen § 728 BGB, seine Abweichungen gegenüber der Vorgängernorm und seine Bedeutung für andere Gesellschaftsformen (II., Rz. 3 ff.) Sodann widmet er sich den rechtlichen Leitplanken für eine Abfindungsermittlung, namentlich dem Bewertungsziel, den Bewertungstechniken und den Bewertungsmethoden (III., Rz. 21 ff.). Schließlich geht es um die mögliche Relevanz anteilsbezogener Bewertungsfaktoren (IV., Rz. 46 ff.).

II. Die Neuregelung zur Abfindungsbemessung im Überblick

1. Vom alten § 738 BGB zum neuen § 728 BGB


Die einzelnen Etappen auf dem Weg von der alten zur neuen Abfindungsnorm sind rasch geschildert. In den Beratungen der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzten Expertenkommission für die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts wurden Abfindungsfragen nur am Rande thematisiert. Die beiden Berichterstatter Alfred Bergmann und Marc Hermanns sahen „keinen besonderen Regelungsbedarf“. Dessen ungeachtet hat der von der Expertenkommission vorgelegte Mauracher Entwurf vom April 2020 den Wortlaut des § 738 BGB a.F. in mancher Hinsicht überarbeitet und seinem Vorschlag für einen neuen § 728 BGB eine zweiseitige Begründung beigegeben.

In der Fachöffentlichkeit ist der Mauracher Entwurf vor allem auf einem virtuellen ZGR-Symposium im Juni 2020 gewürdigt worden. Ein Referat von Christian Bochmann hat sich dort ausführlich mit dem Abfindungsanspruch auseinandergesetzt und die Frage aufgeworfen, ob die neugefasste Vorschrift mit ihrer Bezugnahme auf den „Wert des Gesellschaftsanteils“ einen Konzeptionswechsel von der indirekten zur direkten Anteilsbewertung vorsieht und damit auch eine Berücksichtigung anteilsbezogener wertbildender oder wertmindernder Faktoren erlaubt, z.B. Mehrheitszuschläge oder Minderheitsabschläge. In der anschließenden Diskussion haben Vertreter aus Wissenschaft und Praxis diesen Aspekt aufgegriffen und eine Klärung in Gesetz oder Regierungsbegründung angeregt.

Der Referentenentwurf vom November 2020 und der Regierungsentwurf vom Januar 2021 haben den Textvorschlag des Mauracher Entwurfs für einen neuen § 728 BGB sowie weite Teile der zugehörigen Begründung eins zu eins übernommen. Als Reaktion auf die kritischen Stimmen anlässlich des ZGR-Symposiums sind die Erläuterungen zu Konzeption und Zielsetzung der neuen Abfindungsnorm aber in zwei Punkten angereichert und ergänzt worden. Dies gilt namentlich für einen zusätzlichen Passus, wonach die Frage, ob und inwieweit rein anteilsbezogene Faktoren bei Ermittlung der angemessenen Abfindung zu berücksichtigen sind, einer Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten bleiben soll. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist man auf Abfindungsfragen nicht mehr zurückgekommen.

2. Textliche Änderungen gegenüber der Vorgängernorm

Ausweislich der Regierungsbegründung strebt der Reformgesetzgeber mit der Neufassung des Abfindungsanspruchs keine größeren Änderungen an: „§ 728 BGB-E übernimmt im Wesentlichen den geltenden § 738 BGB.“ Textlich sind gleichwohl eine Reihe von Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen zu verzeichnen, die hier überblicksartig vorgestellt werden.

a) Anspruch auf angemessene Abfindung

Ins Auge fällt zunächst, dass § 728 Abs. 1 Satz 1 BGB dem ausgeschiedenen Gesellschafter einen Anspruch auf eine „dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung“ zubilligt. Woher die neue Begrifflichkeit stammt und warum man sie gewählt hat, wird in den Gesetzesmaterialien nicht erläutert. Auf der Hand liegt eine terminologische Anleihe beim Aktienkonzernrecht: Gemäß § 305 Abs. 1 AktG haben außenstehende Aktionäre seit 1965 beim Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags Anspruch auf eine „im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung“. Gleichsinnig spricht § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG ausgeschlossenen Minderheitsaktionären seit 2002 die „Gewähr einer angemessenen Barabfindung“ für den Verlust ihrer Mitgliedschaft zu.

b) Keine Verknüpfung mehr mit fiktivem Auseinandersetzungsanspruch

Mit der aktienrechtlich inspirierten Neufassung entfällt zugleich die Bezugnahme des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. auf den fiktiven Auseinandersetzungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters. Maßgeblich war danach, „was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“. Für diese Gedankenoperation hat sich in der Literatur der Ausdruck (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.09.2023 11:21
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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