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Die Flexible Kapitalgesellschaft als österreichische Rechtsformneuschöpfung: Genese - Grundlagen - Gesamtwürdigung. (Fleischer/Pendl, GmbHR 2024, 174)

Seit Jahresbeginn bereichert die Flexible Kapitalgesellschaft das Rechtsformenangebot in Österreich. Als dritte Kapitalgesellschaftsform neben GmbH und AG zielt sie vor allem auf die österreichische Start-up-Szene und will ihr ein passgenaues Rechtskleid zur Verfügung stellen. Der folgende Beitrag stellt sie im Einzelnen vor, leuchtet die rechtspolitischen Hintergründe ihres Zustandekommens aus und stellt sie in einen größeren Zusammenhang von jüngeren Rechtsformneuschöpfungen im In- und Ausland.

I. Einführung
II. Ein kleiner Steckbrief der FlexKapG
III. Von der Austrian Limited zur FlexKapG: Schlaglichter der Entstehungsgeschichte

1. Vorläuferdebatte um eine Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts
2. Regierungsprogramm 2020–2024
3. Reformgutachten zur „Austrian Limited“
4. Beratungen einer Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Justiz
5. Diskussionen auf dem Wiener Unternehmensrechtstag
6. Begutachtungsentwurf des FlexKapGG
7. Parlamentarische Debatten und Inkrafttreten
8. Eine verworfene Ergänzung: Personengesellschaft mbH
IV. Die FlexKapG als Hybridform zwischen GmbH und Aktiengesellschaft
1. GmbH-rechtliches Grundgerüst
2. Anleihen beim Aktienrecht
V. Einzelregelungen im Überblick
1. Neuerungen des FlexKapGG
a) Flexiblere Kapitalmaßnahmen
b) Unternehmenswert-Anteile
c) Lockerung von Formvorschriften
d) Varia
2. Ergänzende Regelungen in Nachbargesetzen
a) Absenkung des Mindeststammkapitals in der GmbH
b) Beseitigung der „Dry Income“-Problematik im Einkommensteuerrecht
VI. Rechtspolitische Würdigung
1. Sondergesellschaftsrecht für Start-up-Unternehmen
2. Neue Gesellschaftsform vs. Rechtsformvariante
3. Internationaler Wettbewerb der Rechtsformen
4. Binnenwettbewerb zwischen FlexKapG und GmbH
5. Politische Ökonomie des Gesellschaftsrechts
6. Wirkungsorientierte Folgenabschätzung
VII. Anregungen für das deutsche Recht
VIII. Schluss


I. Einführung

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Seit dem 1.1.2024 verfügt Österreich über eine neue Rechtsform: die Flexible Kapitalgesellschaft (FlexKapG). Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist sie vor allem auf die besonderen Bedürfnisse von Start-ups und anderen innovativen Unternehmen zugeschnitten. Ihnen soll der neue Organisationsrahmen eine international wettbewerbsfähige Option bieten, ohne freilich auf sie beschränkt zu sein. Eine Literaturstimme hat die FlexKapG als erste österreichische Kapitalgesellschaftsform bezeichnet, die nicht entweder direkt aus Deutschland übernommen oder in starker Anlehnung an ein deutsches Vorbild konzipiert wurde. Damit ist auch hierzulande die wissenschaftliche Neugier geweckt.

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Der vorliegende Beitrag unternimmt es, diese jüngste Neuschöpfung im internationalen Rechtsformenreigen vorzustellen und einzuordnen. Er beginnt mit einem kleinen Steckbrief der FlexKapG (II., Rz. 3 ff.) und zeichnet sodann ihre einzelnen Entstehungsstufen von dem Ursprungskonzept einer Austrian Limited bis hin zur parlamentarischen Debatte in National- und Bundesrat nach (III., Rz. 6 ff.). Anschließend widmet er sich ihrer systematischen Einordnung als Hybridform zwischen GmbH und AG (IV., Rz. 26 ff.). Es folgt ein Überblick über ihre wichtigsten Einzelregelungen sowie über ergänzende Neuerungen in Nachbargesetzen (V., Rz. 29 ff.). Am Schluss stehen eine rechtspolitische Würdigung, welche die FlexKapG in den Gesamtzusammenhang von Rechtsformneuschöpfungen rund um den Globus stellt (VI., Rz. 37 ff.), und Überlegungen dazu, welche Anregungen sie für das deutsche Recht bietet (VII., Rz. 49 ff.).

II. Ein kleiner Steckbrief der FlexKapG
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Geregelt ist die FlexKapG in einem eigenen Bundesgesetz über die Flexible Kapitalgesellschaft (FlexKapGG), das mit nur 29 Paragraphen auskommt. An der Spitze steht in hergebrachter Regelungsmanier eine Begriffsbestimmung. Danach ist die FlexKapG eine Kapitalgesellschaft, die zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck durch eine oder mehrere Personen gegründet werden kann (§ 1 Abs. 1 FlexKapGG). Aus dieser gesetzlichen Visitenkarte ergibt sich bereits zweierlei: Zum einen handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft; ihr Mindeststammkapital beträgt wie jenes der ebenfalls reformierten GmbH 10.000 € (§ 6 Abs. 1 öGmbHG) (näher dazu unten V.2.a], Rz. 34 f.). Zum anderen ist die FlexKapG – ebenso wie die GmbH – als Allzweckinstrument konzipiert, weil sich Start-up-Unternehmen nicht mit der erforderlichen Trennschärfe definieren und von anderen Unternehmenstypen abgrenzen lassen. Was die Rechtsformbezeichnung anbelangt, stellt der Gesetzgeber wahlweise die Bezeichnungen „Flexible Kapitalgesellschaft“ oder „Flexible Company“ zur Verfügung, die mit „FlexKapG“ oder „FlexCo“ abgekürzt werden können (§ 2 FlexKapGG). Hierdurch will der Reformgesetzgeber die besonders weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten dieser Rechtsform betonen. Zugleich soll durch den englischen Ausdruck ihre Attraktivität für internationale Venture-Capital-Investoren hervorgehoben werden. In der österreichischen Literatur hat die englische Kurzbezeichnung bereits zahlreiche Nutzer gefunden.

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Ermöglicht wird das schlanke Gesetzesstatut durch einen Generalverweis auf das österreichische GmbH-Gesetz: „Soweit in diesem Bundesgesetz keine abweichenden Regelungen getroffen werden, sind auf die FlexKapG die für Gesellschaften mit beschränkter Haftung geltenden Bestimmungen anzuwenden“ (§ 1 Abs. 2 FlexKapGG). Durch diese Regelungs- und Verweisungstechnik, die auch das Prinzip der Haftungsbeschränkung in § 61 Abs. 2 öGmbHG einschließt, soll die Rechtspraxis weiterhin in vielen Bereichen auf den reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen können, den Judikatur und Wissenschaft seit Einführung der GmbH in Österreich im Jahre 1906 zusammengetragen haben. Darüber hinaus hat der Reformgesetzgeber auch manche Bestimmungen aus dem österreichischen Aktiengesetz übernommen und entsprechend angepasst. Vor diesem Hintergrund wird die FlexKapG in den Gesetzesmaterialien als „Hybridform zwischen der GmbH und der Aktiengesellschaft“ bezeichnet.

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Hervorhebung verdient schließlich noch, dass sich das FlexKapGG im Sinne der sprachlichen Gleichbehandlung erstmals in Österreich durchweg des generischen Femininums bedient: „Soweit in diesem Bundesgesetz auf natürliche Personen bezogene Bezeichnungen nur in weiblicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf alle Geschlechter in gleicher Weise“ (§ 27 FlexKapGG). Diese legistische Neuerung hat – ähnlich wie hierzulande der ebenfalls in weiblicher Form gehaltene Referentenentwurf des StaRuG – im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erheblichen Staub aufgewirbelt (s. unten III 7, Rz. 22).

III. Von der Austrian Limited zur FlexKapG: Schlaglichter der Entstehungsgeschichte

1. Vorläuferdebatte um eine Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts
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Schon in der Centros-Ära nach der Jahrtausendwende waren auch in Österreich Stimmen laut geworden, die für eine grundlegende Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts warben. Eine besonders materialreiche und tiefgründige Studie aus der Feder von Susanne Kalss und Martin Schauer wurde auf dem 16. Österreichischen Juristentag 2006 in Graz zur Diskussion gestellt. Sie enthielt bereits zahlreiche Vorschläge zur Deregulierung des GmbH-Rechts, insbesondere die Einführung einer zweiten Art der GmbH ohne Mindestkapital, die als „einfache GmbH“ neben die „traditionelle GmbH“ treten sollte. Manche dieser Vorschläge, etwa die Einführung eines bedingten Kapitals, der Erwerb eigener Aktien sowie Formerleichterungen für die Anteilsübertragung, hat man nun für die FlexKapG aufgegriffen (näher unten V.1.a] und c], Rz. 30 u. 32). Eine neue, ganz auf die Bedürfnisse von Start-up-Unternehmen zugeschnittene Kapitalgesellschaftsform stand damals aber noch nicht zur Debatte.

2. Regierungsprogramm 2020–2024
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Die Initialzündung für eine neue Organisationsform erfolgte nach der vorgezogenen Nationalratswahl vom 29.9.2019. Nach langen Sondierungsgesprächen einigten sich die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter Vorsitz von Sebastian Kurz und die Grünen unter Vorsitz von Werner Kogler Anfang 2020 auf eine türkis-grüne Koalition. Das ausverhandelte Regierungsprogramm wurde der Öffentlichkeit am 2.1.2020 vorgestellt. Es enthielt an zwei weit auseinanderliegenden Stellen Zielvorgaben zur Fortentwicklung des Kapitalgesellschaftsrechts. In dem Abschnitt zu Justiz & Konsumentenschutz findet sich...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.02.2024 11:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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