Stephan Stieb,
Rechtsanwalt, Bonn/Estoril

EuGH bekräftigt seine Rechtsprechung zu den GmbH-Gebühren der "Karlsruher" Staatsnotare

Mit dem Beschl. des EuGH v. 21.3.2002 -- Rs. C-264/00, GmbHR 2002, 486 -- in diesem Heft) steht nun auch fest, daß die Gebühren der beamteten Notare im Bezirk der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Stuttgart, die bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft oder bei einer Kapitalerhöhung anfallen, eine unzulässige Gesellschaftsteuer i.S.d. Richtlinie 69/335/EWG des Rates v. 17.7.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (i.d.F. der Richtlinie 85/303 EWG des Rates v. 10.6.1985) darstellen. Derartige Gebühren müssen, soweit der gebührenpflichtige Rechtsakt auch schon von der Gesellschaftsteuer besteuert wird, in einem angemessenen Verhältnis zu den wahren Kosten der erbrachten Leistung stehen.

Gebühren staatlicher Notare müssen kostenorientiert ermittelt werden

In dem Rechtsstreit der Gründerzentrum-Betriebs-GmbH gegen das Land Baden-Württemberg hatte das AmtsG Mülheim/Baden durch Beschl. v. 20.6.2000 -- UR II 42/99 (Volltext) den EuGH um eine Vorabentscheidung in der Frage ersucht, ob die Kostenordnung im Bezirk des OLG Karlsruhe mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Zu entscheiden war, ob diese Notargebühren als eine Abgabe mit Gebührencharakter oder eine indirekte Steuer, deren Erhebung gemäß der Richtlinie verboten ist, anzusehen sind. Art. 10 der Richtlinie besagt, daß abgesehen von der Gesellschaftsteuer die Mitgliedstaaten von Gesellschaften keine andere Steuern oder Abgaben u.a. bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft oder einer Kapitalerhöhung erheben. Für den EuGH ist spätestens nach seiner Rechtsprechung zu den Gebühren der portugiesischen Staatsnotare (vgl. "MODELO I", EuGH v. 29.9.1999 -- Rs. C-56/98, GmbHR 1999, 1205; vgl. dazu Stieb, GmbHR, 1999, R 365 f.) eindeutig, daß immer dann, wenn Gebühren beamteter Notare unmittelbar dem Land zufließen und im allgemeinen Landeshaushalt verbucht werden und diese für eine wesentliche Förmlichkeit, nämlich durch Beurkundungszwang veranlaßt werden, an den Kosten der erbrachten Dienstleistung zu richten haben.

Gebührendeckelung schützt nicht vor Kostenorientiertheit

Auch in dem jetzigen Beschluß macht der EuGH deutlich, daß das Vorhandensein einer Deckelung der "karlsruher" Notargebühren durch eine Wertobergrenze zumindestens dann nicht den Charakter einer zulässigen Gebühr verleiht, wenn diese Obergrenze nicht im angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Leistung steht. Mit diesem klaren Judiz war zu rechnen. Auch der portugiesische Staat konnte einer weiteren Verurteilung durch den EuGH nicht dadurch entgehen, daß er im November 1998 notgedrungen eine Obergrenze bei den Notar- und Registergebühren einführte; der Gebührenhöchstbetrag lag bei ca. 73.000 Euro. Daß dieser immer noch zu hohe Betrag der Rechtsprechung des EuGH nicht standthalten würde, lag schon damals auf der Hand (vgl. Stieb, GmbHR 2000, R 357 f.). In dem Urteil "SONAE" (EuGH v. 21.6.2001 -- Rs. C-206/99, GmbHR, 2001, 983 (LS) -- Volltext) hat der EuGH sich zu dem Fehlen einer Obergrenze oder Deckelung wie folgt geäußert: "Wenn auch das Fehlen einer Obergrenze ein Indiz dafür ist, daß einer Abgabe, die nach dem Wert des eingetragenen Vorgangs berechnet wird, kein Gebührencharakter im Sinne der Richtlinie 69/335 zukommt, so kann allein das Bestehen einer solchen -- übrigens nach dieser Richtlinie weder vorgeschriebenen noch verbotenen -- Obergrenze keinen Gebührencharakter verleihen." Spätestens mit diesem Urteil ist daher deutlich, daß der EuGH das Vorhandensein irgendeiner Obergrenze für bestimmte Gebühren als nicht ausreichend hält, um eine Auge zuzudrücken. Damit lief das wesentliche Argument, anders als in Portugal habe es in Deutschland immer bei Notargebühren eine Deckelung gegeben, ins Leere.

Für den EuGH ist die Rechtslage im Ausgangsfall angesichts seiner Rechtsprechung in den Rechtssachen "FANTASK" (EuGH v. 2.12.1997 -- Rs. C-188/95), "MODELO I" (EuGH v. 29.9.1999 -- Rs. C-56/98, vgl. Stieb, GmbHR 1999, R 365) und "SONAE" (EuGH v. 21.6.2001 -- Rs. C-206/99, GmbHR 2001, 983 [LS] -- Volltext) so eindeutig, daß er weder auf angebliche Unterschiede zwischen deutschen und portugiesischen Staatsnotaren und die jeweils praktizierte Gebührenhöhe eingegangen ist, noch auf die Tatsache, daß die baden-württembergischen Staatsnotare nur eine verschwindend geringe Minderheit bei den Notaren in Deutschland ausmachen und man sich in Deutschland auch an selbständige Notare wenden könne (so z.B. LG Stuttgart v. 17.1.2001 -- 2 T 447/99, GmbHR 2001, 977 mit Komm. Stieb).

Die Konsequenzen des Urteils: kleine oder große Lösung?

Es stellt sich nun die Frage, welche Konsequenzen aus dem Beschl. des EuGH in Deutschland gezogen werden müssen. Zunächst muß nun das AG Mülheim feststellen, ob die konkrete Gebühr von ca. 1.000 Euro für die Gründung einer GmbH mit einem Stammkapital i.H.v. 285.000 Euro aufwandsbezogen war oder nicht. Diese Aufgabe ist schon an sich schwer zumutbar, zumal bei der Aufwandsbezogenheit eine Vielzahl von Faktoren bei der Berechnung berücksichtigt werden müssen (vgl. Görk, ZIP 2002, 667 ff.). Darüber hinaus muß die tatsächlich als aufwandsbezogen festgestellte Gebühr an den besonders schlechten Arbeitsbedingungen der baden-württembergischen Staatsnotare erneut beurteilt werden.

Langfristig gesehen macht eine fallbezogene Prüfung -- es werden mit Sicherheit neue Klagen in Sachen Gebühren erhoben werden -- keinen Sinn. Wenn man sich die einschlägigen EuGH-Urteile in Sachen Gebühren anschaut, geht es ja nicht nur um die Notare, sondern auch um die Register (vgl. Stieb, GmbHR 2000, R 357 f.). Um auf dieser Front Ruhe zu haben, sollte der Gesetzgeber generell prüfen, ob schon besteuerte Rechtsgeschäfte durch weitere Gebühren nicht unzulässig doppelbesteuert werden. Vom EuGH ist keine Kehrtwendung in der Rechtsprechung zu erwarten. Und die Gesellschaftsteuerrichtlinie ist eindeutig: "Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften … keinerlei andere Steuern oder Abgaben …".

Beispiel Portugal: Erste Umsetzung der "Großen Lösung" in der EU ...

Der portugiesische Staat hat nach insgesamt vier Verurteilungen durch den EuGH (EuGH v. 29.9.1999 -- Rs. C-56/98 --"MODELO I", GmbHR 1999, 1205; v. 21.9.2000 -- Rs. C-19/99 -- "MODELO II"; v. 26.9.2000 -- Rs. C-134/99 -- "IGI", GmbHR 2000, 1155 ff.; v. 21.6.2001 -- Rs. C-206/99 -- "SONAE", GmbHR 2001, 983 [LS] -- Volltext) seine gesamte Gebührenpolitik überdacht, neu geordnet und sich damit für eine "große Lösung" entschieden. Seit dem 1.1.2002 gibt es in Portugal eine neue Gebührentabelle für alle Register (Standesamt, Handelsregister, Grundbuch, Nationales Register für Körperschaften, RNPC, Kraftfahrzeug- sowie Schiffsregister) und Notariate (vgl. Gesetzesdekret Nr. 322-A/2001 v. 14.12.2001). Diese Gebührentabelle -- und das dürfte in der gesamten EU erstmalig sein -- orientiert sich ausschließlich am Aufwand der zu erbringenden Leistungen. Dabei gibt es auch Leistungen, die gebührenbefreit sind (z.B. Geburtsurkunde oder Totenschein) oder unter dem wahren Kostenaufwand geboten werden; zu letzteren gehören die Ausstellung eines Personalausweises für eine Gebühr von 2,5 Euro bei ermittelten Kosten von knapp 7 Euro und die Ausstellung einer Heiratsurkunde für 35 Euro bei einem wahren Aufwand im Gegenwert von knapp 70 Euro.

... mit niedrigen Gebühren und Einführung einer Gesellschaftsteuer

Durch die neue Gebührenordnung werden vor allem gesellschaftsrechtlich relevante Notar- und Registerakte in Bezug auf die Gebühren zum Teil erheblich günstiger gestellt. Gleiches gilt für die Durchführung von Grundstücksgeschäften. Die Gründung einer Gesellschaft kostet unabhängig von ihrem Gesellschaftskapital bei dem Notar 77 Euro; für eine Kapitalerhöhung werden 84 Euro fällig und für sonstige Änderungen des Gesellschaftsvertrags 167 Euro. Die Registrierung der Gründung kostet bei dem Handelsregister 56 Euro sowie 63 Euro die Registrierung einer Kapitalerhöhung. Gerade bei einem hohen Gesellschaftskapital ist die bevorstehende Ersparnis beeindruckend. Bei der Beurkundung und Registrierung (bei Handelsregister und dem RNPC) der Gründung einer Gesellschaft mit einem Kapital von 25 Mio. Euro werden demnächst Gebühren von insgesamt gerade einmal 230 Euro und nicht mehr wie bisher 200.000 Euro fällig. Um diesen erheblichen Gebührenausfall zu kompensieren, wird eine für Gesellschaften geltende Stempelsteuer (Imposto de Selo) von 0,4 % auf das Gesellschaftskapital eingeführt (vgl. Gesetzesdekret Nr. 322-B/2001 v. 14.12.2001). Die Gesellschaftsteuer von 0,4 % hat einen moderaten Steuersatz, wenn man davon ausgeht, daß Länder wie Österreich, Spanien, Irland und Luxemburg einen Steuersatz von 1 % anwenden und Belgien einen von 0,5 % sowie die Niederlande von 0,55 %.

Schlußbemerkungen

Die Rechtsprechung des EuGH zu Gebühren wird noch viel Diskussionen hervorrufen. Es wird auch der Ansatz der sozialgerechten Verteilung von Lasten durch eine Wertgebühr zu diskutieren sein (vgl. Görk, ZIP 2002, 669). Die Wertgebühr darf jedoch in allen Fällen, wo der Staat schon durch eine Gesellschaftsteuer kassiert hat, nicht verteidigt werden, da ansonsten schlicht gegen die Richtlinie verstoßen wird. Wenn der Staat schon durch seine Besteuerung zu seinen Einnahmen kommt, gibt es keinen Grund dafür, daß das große und kapitalstarke die Gebührenlast für das kleine Unternehmen mitträgt. In Fällen der unzulässigen Doppelbesteuerung stellt sich nicht mehr die Frage nach einer sozialgerechten Verteilung weiterer Belastungen; letztere darf es dann nicht mehr geben.


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