BFH 21.7.2016, IV R 26/14 m. Kommentar von RiBFH Dipl. Kfm. Prof. Dr. Gregor Nöcker

Vorlagebeschluss zur sog. erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG

Dem Großen Senat des BFH wird gem. § 11 Abs. 2 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist einer grundstücksverwaltenden, nur kraft ihrer Rechtsform gewerbliche Einkünfte erzielenden Gesellschaft die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auch dann nicht zu gewähren, wenn sie an einer grundstücksverwaltenden, nicht gewerblich geprägten Personengesellschaft beteiligt ist?

Kommentar:

Die Summe der Gewinne und der Hinzurechnungen wird um 1,2 % des Einheitswerts der zum Betriebsvermögen (!) des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt, so § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG. Satz 2 erweitert diese Kürzung auf Antrag bei Unternehmen, die (grundsätzlich) ausschließlich eigenen Grundbesitz verwalten. Problematisch und deshalb Grund für die Vorlage des IV. Senats im vorliegenden Verfahren ist, ob der „eigene Grundbesitz“ ist mit dem „zum Betriebsvermögen gehörenden (…) Grundbesitz“ identisch ist. Je nachdem inwieweit diese Begriffe deckungsgleich sind, kommt eine zivilrechtliche oder eine steuerrechtliche Sicht zum Tragen, die bei der Beteiligung an einer grundstückverwaltenden, nicht gewerblich geprägten Personengesellschaft die Kürzungsmöglichkeit des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auf die Gesellschafterebene transportiert oder nicht.

1. Die Kürzung des § 9 Nr. 1 GewStG existiert bereits seit dem GewStG 1936. Neben der Kürzung pauschal um 3% des Einheitswerts im Normalfall bestand die Möglichkeit für Kapitalgesellschaften, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder daneben eigenes Kapitalvermögen verwalteten und nutzten, den Gewerbeertrag, der auf den Grundbesitz entfiel, zu kürzen (sog. erweiterte Kürzung) (vgl. nur Roser in Lenski/Steinberg, § 9 Nr. 1 GewStG Rz. 2). Es folgten zahlreiche Änderungen, u.a. mit Wirkung ab dem EZ 2009 die Einschränkung der erweiterten Kürzung für grundbesitzverwaltende Personengesellschaften in Bezug auf Sondervergütungen von Mitunternehmern durch § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG (zur Rechtsentwicklung: Roser in Lenski/Steinberg, § 9 GewStG Rz. 3ff.). Sinn und Zweck der Kürzungsvorschrift in § 9 Nr. 1 GewStG ist die Vermeidung der Doppelbelastung des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes mit Grund- und Gewerbesteuer (vgl. nur BFH, Urt. v. 18.4.2000 – VIII R 68/98, BFHE 192, 100 = BStBl II 2001, 359 = FR 2000, 1033). Die Grundregelung in § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG geht dabei von einer Pauschalierung in Höhe von 1,2% des Einheitswerts dieser Grundstücke aus. Der Einheitswert 1964 ist bei Grundstücken in den alten Bundesländern nach § 121a BewG für die Gewerbesteuer mit 140% anzusetzen. § 133 BewG sieht für Betriebsgrundstücke in den neuen Bundesländern, denen der Einheitswert 1935 zugrundliegt, Sonderregelungen zwischen 100% (Mietwohngrundstücke) und 600% (unbebaute Grundstücke) vor. Geschäftsgrundstücke sind nach § 133 Satz 1 Nr. 2 BewG mit 400% des Einheitswerts 1935 zu berücksichtigen.

2. Werden Vermietungs- und Verpachtungseinkünfte nur aufgrund der Rechtsform gewerbesteuerpflichtig, so schafft § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG im Antragswege die Möglichkeit, diese Unternehmen mit vermögensverwaltenden Einzelpersonen und Personengesellschaften gleichzustellen (BFH, Urt. v. 18.5.2011 – X R 4/10, BFHE 233, 539 = BStBl II 2011, 887 = FR 2011, 964). Die Erträge aus der bloßen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes können so von der Gewerbesteuer freigestellt werden (Roser in Lenski/Steinberg, § 9 Nr. 1 GewStG Rz. 92, m.w.N.). Kein Fall der bloßen Verwaltung und Nutzung liegt aufgrund der personellen und sachlichen Verflechtung im Fall eines Besitzunternehmens im Rahmen der Betriebsaufspaltung vor (so jüngst BFH, Urt. v. 22.6.2016 – X R 54/14, BFHE 254, 354 = BFH/NV 2016, 1840, m.w.N.). Das mag ein wenig irritieren, doch ist es Folge davon, dass die Betriebsaufspaltung keine Rechtsform im eigentlich Sinne ist, auch wenn sie so vielleicht im Rahmen von Rechtsformvergleichen verstanden wird (vgl. etwa König/Maß­baum/Sureth-Sloane, Besteuerung und Rechtsformwahl, 7. Aufl. Herne 2016, S. 76ff.). Vom Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG her wäre das Besitzunternehmen im Rahmen der Betriebsaufspaltung ein typischer Fall, zumal § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG den Ausschluss der erweiterten Kürzung abschließend regelt (weiterführend, aber Mindermeinung: Nöcker in Lenski/Steinberg, § 2 GewStG Rz. 1279).

3. Problematisch ist auch der Fall der Beteiligung an einem Gewerbebetrieb selbst. Dies betrifft nicht nur den Fall des Besitzunternehmens im Rahmen der Betriebsaufspaltung, welches neben dem Grundbesitz auch die Beteiligung am Betriebsunternehmen in seinem (Sonder-)Betriebsvermögen hält. Die bisherige Rechtsprechung sieht die Beteiligung eines grundstücksverwaltenden Unternehmens an einer ebenfalls grundstücksverwaltenden, aber gewerblich geprägten Personengesellschaft nicht als einen Fall des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG an (vgl. nur BFH, Beschl v. 17.10.2002 – I R 24/01, BFHE 200, 54 = BStBl II 2003, 355 = FR 2003, 158 m. Anm. Wendt; v. 2.2.2001 – VIII R 56/00, BFH/NV 2001, 817). Auch gehöre das Halten einer solchen Beteiligung nicht zum Katalog der in § 9 Nr. 1 Satz 2ff. GewStG privilegierten Tätigkeiten (so schon BFH v. 22.1.1992 – I R 61/90, BFHE 167, 144 = BStBl II 1992, 628). Nach Ansicht des I. Senats ist dies selbst dann der Fall, wenn die Beteiligung eine nicht gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägte, vermögensverwaltend tätige Immobilien-KG betrifft (BFH, Urt. v. 19.10.2010 – I R 67/09, BFHE 232, 194 = BStBl. II 2011, 367 = FR 2011, 434 m. Anm. Wendt). Der betrieblich an einer solchen KG beteiligte Gesellschafter erwirtschafte gewerbliche Einkünfte. Auch sei der Grundbesitz trotz der Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht als ausschließlich eigener Grundbesitz der Obergesellschaft anzusehen.

4. Aus Sicht des IV. Senats stellt sich das Halten einer solchen Beteiligung dagegen grundsätzlich als Verwaltung und Nutzung von eigenem Grundbesitz der Obergesellschaft dar. Unerheblich sei die Umqualifizierung der der Obergesellschaft zuzurechnenden Einkünfte in gewerbliche. Entscheidend ist aus Sicht des IV. Senats, dass § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG die Frage, wann „eigener Grundbesitz“ vorliege, nach (ertrag-)steuerlichen Grundsätzen bestimme, was sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte, dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck ergebe. Anders als für die Einkünfte aus einer Beteiligung an einer gewerblich geprägten, grundstücksverwaltenden Personengesellschaft greife auch die Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG nicht ein, so dass diese Einkünfte ansonsten endgültig gewerbesteuerpflichtig blieben. Anders als der I. Senat in seinem Beschluss vom 28.4.2016 – I ER-S 4/16 zur Divergenzanfrage geht der IV. Senat gerade aufgrund der Einführung des § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG, der auf das Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters abstellt, von einer steuerrechtlichen Sichtweise aus.

5. Die Argumente des IV. Senats überzeugen. Folglich ist hier der Grundbesitz zu betrachten, der zum Betriebsvermögen der gewerblichen Obergesellschaft gehört. Im Fall einer vermögensverwaltenden Personenuntergesellschaft greift dabei die Bruchteilsbetrachtung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ein. Der Grundbesitz der vermögensverwaltenden Personenuntergesellschaft ist nicht Gesamthandsvermögen der Gesellschaft (zivilrechtliche Situation), sondern gedanklich als Bruchteilsberechtigung nach §§ 741ff. BGB zu verstehen. Der Gesellschaftsanteil an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft führt dazu, dass eigener Grundbesitz des Gesellschafters (hier der Obergesellschaft) vorliegt, der, wenn die Anteile im Betriebsvermögen gehalten werden, zum „Betriebsvermögen des Unternehmers“ wird. Letzteres ist mit dem Begriff des „eigenen Grundbesitzes“ identisch.

6. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO wird nicht durch die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 1 EStG verdrängt. Nach ständiger Rechtsprechung geschieht dies nur bei gewerblichen Mitunternehmerschaften nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, da diese ein gegenüber ihren Gesellschaftern eigenständiges Subjekt der Gewinnermittlung sind (vgl. nur BFH, Urt. v. 27.1.2016 – X R 23/14, BFH/NV 2016, 1018, dort Rz 30, m.w.N., – wenn die Entscheidung an sich auch den Altersvorsorge-Eigenheimbetrag nach § 92a Abs. 1 Satz 1 EStG und die im notwendigen Privatvermögen der Personengesellschaft gehaltenen Wohnung betrifft).

7. Käme der Große Senat des BFH im nun anhängigen Verfahren GrS 2/16 zu dem Ergebnis, es läge kein „eigener Grundbesitz“ der Personenobergesellschaft vor, weil er eine zivilrechtliche Betrachtung zugrunde legt, scheidet die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG aus. Eine Anwendung der Kürzungsvorschrift auf dieser Ebene im Wege einer „Merkmalübertragung“ kommt nicht in Betracht. Anders als bei Steuerbefreiungen ist dies aufgrund des in der gewerbesteuerlichen Systematik selbst angelegten Fiskalzwecks nicht möglich. Dieser Zweck ist mit den besonderen außersteuerlichen Lenkungs- oder Subventionszwecken im Fall der Steuerbefreiungen nicht vergleichbar (vgl. insoweit BFH, Urt. v. 22.6.2016 – X R 54/14, BFHE 254, 354 = BFH/NV 2016, 1840, Rz. 33, m.w.N.).

RiBFH Dipl.-Kfm. Prof. Dr. G. Nöcker, München/Ascheberg


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.02.2017 11:21
Quelle: BFH online

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