09 / 2017

Dr. Jochen Blöse, MBA, Rechtsanwalt und Mediator (CfM), Köln

Wird am europäischen Wesen das deutsche Insolvenzrecht genesen?

In dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 22.11.2016 (COM[2016] 723 final) über präventive Restrukturierungsmaßrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie zu 1012/30/EU tun sich drei große Regelungsbereiche auf. Es sind dies ein präventiver Restrukturierungsrahmen, die Restschuldbefreiung und Maßnahmen der Verbesserung der Effizienz des Insolvenzwesens.

Von der Überlegung, auch europarechtlich eine Harmonisierung der Insolvenzauslösetatbestände und des Anfechtungsrechts (s. dazu Blöse, GmbHR 2016, R161 f.; das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.3.2017 wurde soeben verkündet in BGBl. I 2017, 654 f.) anzustoßen, wurde abgesehen.


I. Präventive Restrukturierungsrahmen

Die Zielrichtung der Zurverfügungstellung präventiver Restrukturierungsrahmen wird in Art. 1 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags (im Folgenden: RLV) dahingehend beschrieben, dass Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten bei einer drohenden Insolvenz in einem geregelten Verfahren die Möglichkeit haben sollen, ihre Schulden oder ihr Unternehmen zu restrukturieren, ihre Rentabilität wieder herzustellen und eine Insolvenz abzuwenden.

Was als drohende Insolvenz im Sinne des Richtlinienvorschlags zu verstehen ist, wird nicht unmittelbar definiert. Aus Erwägungsgrund (17) ist allerdings immerhin zu entnehmen, dass eine Rentabilitätsprüfung nicht „Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen und für die Gewährung einer Aussetzung von Durchsetzungsmaßnahmen” sein soll. Zugleich ist in diesem Erwägungsgrund erläutert, dass die krisenhafte Situation des Schuldners relativ weit fortgeschritten sein soll, um einen Missbrauch des Verfahrens zu verhindern. In der Literatur sind bereits verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, was als drohende Insolvenz verstanden werden kann (s. dazu die Zusammenstellung bei Thole, ZIP 2017, 101 [102]). Letztlich wird es dabei darum gehen, eine Balance zu finden zwischen einerseits einem Zeitpunkt, der noch früh genug ist, um erfolgreiche Restrukturierungsbemühungen zu ermöglichen und andererseits einem Zeitpunkt der spät genug ist, um den Missbrauch des Verfahrens zum Schaden der Gläubiger zu vermeiden. Im Hinblick auf europäische Harmonisierungsbestrebungen dürfte es eher angezeigt sein, nicht auf Vermögens-, sondern eher auf Liquiditätsgesichtspunkte abzustellen. Anders formuliert: Anknüpfungspunkt sollte eher der Gesichtspunkt einer sich abzeichnenden Zahlungsunfähigkeit als der einer Überschuldung sein, da diese als Insolvenzauslösetatbestand in anderen europäischen Rechtsordnungen nur teilweise anerkannt und zudem auch in Deutschland immer wieder kritisch hinterfragt wird (auch Thole, ZIP 2017, 101 [103] präferiert eine Anknüpfung an Liquiditätsaspekte, ohne jedoch – wie dort auf S. 104 ausgeführt – eine Bezugnahme auf Vermögensgesichtspunkte zu verwerfen).

Aus Sicht des deutschen Insolvenzrechts liegt – zumindest beinahe – ein Paradigmenwechsel darin (ausdrücklich anders der Gravenbrucher Kreis in seiner Pressemitteilung vom 15.1.2017), dass der präventive Restrukturierungsrahmen in erster Linie außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens bereit gestellt wird. Art. 5 Abs. 2 RLV sieht ausdrücklich vor, dass die Bestellung von Restrukturierungsverwaltern durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde nicht in jedem Fall zwingend ist. Die in Art. 5 Abs. 1 RLV vorgesehene eigene Kontrolle des Schuldners über seine Vermögenswerte und den täglichen Betrieb des Unternehmens kann also, anders als bei der Eigenverwaltung im Sinne der InsO, auch ohne Aufsicht durch einen gerichtlich bestellten Dritten erfolgen. Dass Ziel der außergerichtlichen Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubiger ist die Einigung auf einen Restrukturierungsplan. Eine Beteiligung durch Gerichte ist nur punktuell vorgesehen, um den Verhandlungsprozess zu unterstützen und Kooperationshindernisse zu überwinden.

So kann ein Restrukturierungsverwalter eingesetzt werden, wenn Maßnahmen zur Durchsetzung bestehender Ansprüche ausgesetzt werden sollen, also ein Moratorium vereinbart wird (Art. 6 RLV). Eine gerichtliche Beteiligung in diesem Zusammenhang ist auch dann vorgesehen, wenn das nach Art. 6 Abs. 4 RLV auf einen Höchstzeitraum von vier Monaten befristete Moratorium verlängert werden soll. Umgekehrt ist ein gerichtliches Mitwirken erforderlich, wenn ein Moratorium ganz oder teilweise wieder aufgehoben werden soll. Voraussetzung für eine solche Aufhebung ist nach Art. 6 Abs. 8 RLV, dass deutlich wird, dass ein Teil der Gläubiger die Fortsetzung der Verhandlungen nicht – mehr – unterstützt oder dass die Aufhebung durch den Schuldner oder einen Restrukturierungsverwalter beantragt wird. Die Möglichkeit, die Aufhebung des Moratoriums durch Abbruch der Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan zu erreichen, gibt den Gläubigern ein Druckmittel in die Hand. Nach Art. 7 Abs. 1 RLV wird durch ein Moratorium die Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrags zeitweise suspendiert. Die Eröffnungsantragspflicht wird wieder aktuell, wenn das Moratorium aufgehoben wird. Durch den Abbruch der Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan können Gläubiger also erreichen, dass ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss. Dies ist ein denkbares Korrektiv, um ein Überziehen des Schuldners in den Verhandlungen zu vermeiden. Unabhängig von diesem Druckmittel kann es auch unmittelbar sachliche Gründe dafür geben, dass Gläubiger die Beendigung des Moratoriums anstreben. Nach Art. 7 Abs. 4 RLV soll nämlich gelten, dass während des Moratoriums Zurückbehaltungs- und Kündigungsrechte der Gläubiger im Hinblick auf beidseits noch nicht erfüllte Verträge ausgesetzt sein sollen.

Das Kernstück des präventiven Restrukturierungsrahmens soll der Restrukturierungsplan sein, der in den Art. 8 – 15 RLV geregelt ist. Hier finden sich deutliche Parallelen zum Insolvenzplanverfahren nach der InsO. Eine Verwandtschaft mit dem deutschen Insolvenzplanverfahren lässt sich insbesondere aus Art. 11 RLV entnehmen, dessen Regelungsziel sich auch in § 245 InsO findet. Bei diesem sog. cram-down ist wiederum ein Fall gegeben, in dem eine gerichtliche Befassung vorgesehen ist. Auch insoweit kann nationalrechtlich die Einsetzung eines Restrukturierungsverwalters vorgesehen werden und der eigentliche cram-down muss von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden (Art. 11 Abs. 1 RLV).

Größe inhaltliche Vorgaben hinsichtlich eines Restrukturierungsplans enthält der Richtlinienvorschlag nicht. In Art. 8 Abs. 1 Buchst. f RLV) sind dort nur angesprochen Umschuldung, Schuldenerlass, Umwandlung von Schulden in andere Formen von Verbindlichkeiten und eine neue Finanzierung.


II. Zweite Chance für Unternehmer

Die programmatische Regelung des Art. 19 Abs. 1 RLV fordert insoweit, dass sicherzustellen ist, dass überschuldete Unternehmer im Einklang mit der Richtlinie in vollem Umfang entschuldet werden können. Dass hier ausschließlich auf die Überschuldung und nicht zumindest auch auf eine Zahlungsunfähigkeit abgestellt wird, überrascht und steht – so dies tatsächlich ernst gemeint ist – insoweit im Gegensatz zum deutschen Recht, als dass dort die Überschuldung für natürliche Personen gerade keinen Insolvenzauslösetatbestand darstellt. Zur Entschuldung soll eine Frist von drei Jahren gelten (Art. 20 Abs. 1 RLV), ohne dass es dazu der Erfüllung weiterer Voraussetzungen bedarf, wie sie nach dem deutschen Insolvenzrecht in § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO vorliegen müssen. Ziel ist dabei, eine einheitliche Schuldenbereinigung in dem Sinne vorzusehen, dass nicht nur sog. berufliche Schulden, also solche, die im Rahmen einer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder freiberuflichen Tätigkeit begründet wurden, sondern auch private Schulden bereinigt werden (Art. 23 Abs. 1 RLV). Dem deutschen Insolvenzrecht sehr verwandt sind die Regelungen in Art. 22 RLV, in denen es um eine Limitierung der Restschuldbefreiung geht; vergleichbare Vorschriften finden sich in §§ 302 u. 303 InsO.

Keine explizite Regelung ist hinsichtlich der Entschuldung von Personen enthalten, die ausschließlich private Schulden haben, also von Verbrauchern. Allerdings wird in Erwägungsgrund (15) ausdrücklich der Hinweis erteilt, dass die für Unternehmer geltenden Entschuldungsbestimmungen in der nationalrechtlichen Umsetzung auch auf Verbraucher angewandt werden können.


III. Verbesserung der Effizienz des Insolvenzwesens

In diesen Bereich statuiert Art. 24 RLV zunächst Anforderungen, die deshalb überraschen, weil man sich fragt, ob hier ein gesetzgeberisches Handeln überhaupt veranlasst ist oder ob es sich um Selbstverständlichkeiten handelt. Nach Art. 24 Abs. 1 RLV wird verlangt, dass die auf Seiten der Gerichte tätigen Personen „eine Aus- und Weiterbildung auf einem Niveau erhalten, das ihren Verantwortlichkeiten entspricht”. Vielleicht entspringt es der Hybris des deutschen Einheitsjuristen, wenn man sich fragt: Was denn sonst? Die gleiche Frage lässt sich schwer unterdrücken, wenn man die Regelung des Art. 24 Abs. 2 RLV in den Blick nimmt, in der es heißt, dass zu gewährleisten ist „dass die zuständigen Mitglieder Justizbehörden über die nötige Sachkunde und Spezialisierung verfügen”. Die in derselben Bestimmung geforderte Sicherstellung einer effizienten und zügigen Bearbeitung sorgt hingegen nicht zwingend für Verwunderung.

Auch auf Verwalterebene sieht die Kommission die Notwendigkeit, eine Aus- und Weiterbildung einzufordern (Art. 25 Abs. 1 RLV).


IV. Wesenhaft Neues?

Ob der Richtlinienvorschlag die Praxis des deutschen Restrukturierungsgeschehens nachhaltig verändern wird, ist nicht ausgemacht. Jedenfalls erscheint durch den präventiven Restrukturierungsrahmen aber ein autonomeres, d.h. im Verhandlungswege zwischen Schuldner und Gläubiger erreichtes Restrukturierungsgeschehen möglich. Die dafür vorgesehenen Regelungen sind in Inhalt und Zielrichtung für das deutsche Insolvenzrecht kein unbekanntes Wesen. Das deutsche Insolvenzwesen hat sich vielmehr auch in dem Richtlinienvorschlag zumindest in Teilen Gehör verschafft.

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Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Kanzlei Jacobs & Dr. Blöse. Die als Frage formulierte Überschrift versteht sich im ursprünglichen Sinne Emanuel Geibels.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 20.04.2017 10:58