BGH v. 15.12.2020 - II ZR 108/19

Umfang der persönlichen Haftung des Kommanditisten bei Insolvenz der Gesellschaft

Die persönliche Haftung des Kommanditisten nach §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB besteht bei Insolvenz der Gesellschaft jedenfalls für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Auf die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Verbindlichkeiten kommt es dabei nicht an.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. GmbH & Co. KG, einer Publikumsfondsgesellschaft in der Rechtsform einer KG (im Folgenden: Schuldnerin). Unternehmensgegenstand der Schuldnerin war der Erwerb, Betrieb und die Vercharterung eines Tankschiffs, welches der Kläger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2014 veräußerte.

Die Schuldnerin war vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der steuerlichen Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zur Gewinnermittlung durch Tonnage gewechselt. Mit dem Wechsel der Besteuerungsart war gemäß § 5a Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG der Unterschiedsbetrag zwischen Buchwert und Teilwert des Tankschiffs festgestellt worden. Bei der Festsetzung der Gewerbesteuer der Beklagten für das Jahr 2014 wurde dieser Unterschiedsbetrag dem Gewinn gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG hinzugerechnet. Die festgesetzte Steuer wurde im Insolvenzverfahren i.H.v. ca. 1,5 Mio € als Masseverbindlichkeit geltend gemacht.

Der Beklagte, der mit einer Einlage von ca. 300.000 € als Kommanditist an der Schuldnerin beteiligt war, erhielt in den Jahren 1999 bis 2007 Ausschüttungen i.H.v. insgesamt etwa 185.000 €. Dabei war sein Kapitalanteil im Zeitpunkt der Ausschüttungen jeweils durch Verluste unter den Betrag seiner Haftsumme herabgemindert. Hiervon zahlte der Beklagte ca. 155.000 € an die Schuldnerin zurück. Der Kläger nimmt den Beklagten nunmehr aus der Außenhaftung als Kommanditist nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB sowie zur Durchführung des Innenausgleichs unter den Gesellschaftern auf Zahlung der noch offenen Differenz von ca. 30.000 € in Anspruch.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Der BGH hat der Revision teilweise stattgegeben.

Die Gründe:
Die Revision ist teilweise begründet. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine Haftung des Beklagten nach §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB für die Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014 verneint. Der Beklagte haftet jedenfalls insoweit auch für diese Forderung, als sie auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG zum Gewinn der Schuldnerin beruht. Die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Forderung als Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dem nicht entgegen.

Der Beklagte haftet als Kommanditist im Rahmen der § 171 Abs. 1 Halbsatz 1, § 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB grundsätzlich persönlich unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. In der Insolvenz der Gesellschaft ist der Umfang dieser Haftung jedoch aus gesellschaftsrechtlichen Erwägungen zu beschränken. Insoweit ist eine teleologische Reduktion der Haftung aus § 128 HGB geboten.

Diese Einschränkung der persönlichen Haftung nach § 128 HGB ist indes - anders als im Schrifttum vertreten - nicht danach vorzunehmen, wie die betreffende Gläubigerforderung insolvenzrechtlich einzuordnen ist. Die Einordnung eines Anspruchs als Masseverbindlichkeit folgt keinem einheitlichen Wertungsgedanken, sondern beruht auf unterschiedlichen Gründen.

In welchem Umfang danach aus gesellschaftsrechtlichen Gründen die Haftung der Gesellschafter im Insolvenzverfahren zu beschränken ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Jedenfalls haften die Gesellschafter für Verbindlichkeiten unabhängig von ihrer insolvenzrechtlichen Einordnung, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Da die Beschränkung der persönlichen Gesellschafterhaftung in der Regelinsolvenz der Gesellschaft auch auf der einem ausgeschiedenen Gesellschafter ähnlichen Interessenlage beruht, muss die persönliche Haftung auch in der Insolvenz jedenfalls die Verbindlichkeiten umfassen, für die auch ein ausgeschiedener Gesellschafter nach § 160 HGB noch haften müsste.

Danach ist hier die Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014, jedenfalls soweit sie auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG beruht, noch von der persönlichen Haftung des Beklagten nach §§ 171, 172, § 161 Abs. 2, § 128 HGB umfasst, da der Beklagte hierfür auch als ausgeschiedener Gesellschafter nach § 160 HGB persönlich haften müsste. Die Einordnung der Gewerbesteuerforderung als Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die Verwirklichung des gesetzlichen Besteuerungstatbestands des § 5a Abs. 4 EStG ist dagegen ohne Belang.

Die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung des BFH zur Abgrenzung zwischen bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründeten Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) ist hier nicht anwendbar.

Nach der vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsprechung des BFH richtet sich die Abgrenzung zwischen bei Verfahrenseröffnung begründeten Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten auch bei Gewerbesteuerforderungen ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit komme es dagegen nicht an.

Diese insolvenz- und steuerrechtliche Betrachtung ist jedoch für die gesellschaftsrechtliche Abgrenzung des Umfangs der persönlichen Gesellschafter- bzw. Kommanditistenhaftung in der Gesellschaftsinsolvenz nicht maßgeblich. Danach besteht diese persönliche Haftung auch in der Insolvenz der Gesellschaft jedenfalls für solche Forderungen, für die auch ein ausgeschiedener Gesellschafter nach § 160 HGB noch haften müsste. Insoweit können die für die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters nach § 160 HGB entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden. Danach ist hier eine persönliche Haftung des Beklagten für die Gewerbesteuerforderung zu bejahen, jedenfalls soweit sie auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG beruht.

Eine "bis dahin begründete Verbindlichkeit" i.S.v. § 160 Abs. 1 HGB liegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH vor, wenn die Rechtsgrundlage der Verpflichtung bis zum Ausscheiden des Gesellschafters gelegt worden ist, auch wenn die daraus resultierenden einzelnen Verpflichtungen erst später entstehen und fällig werden. Bei einem gesetzlichen Schuldverhältnis kommt es für die Abgrenzung von Alt- und Neuverbindlichkeiten darauf an, ob der das Schuldverhältnis begründende Tatbestand bereits vor dem Ausscheiden des Gesellschafters erfüllt war. So liegt etwa bei einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB grundsätzlich eine Altverbindlichkeit vor, wenn der vermeintliche Rechtsgrund, auf den geleistet wurde, bereits beim Ausscheiden bestand; der Zeitpunkt der Leistungshandlung des Gläubigers dagegen ist ohne Bedeutung.

Für die hier zu beurteilende Steuerforderung folgt daraus, dass gesellschaftsrechtlich für den Zeitpunkt der "Begründung" der Verbindlichkeit nicht auf die vollständige Verwirklichung des steuerauslösenden gesetzlichen Besteuerungstatbestands abzustellen ist, sondern darauf, ob der Grund der Besteuerung zu einem Zeitpunkt gelegt wurde, zu dem der Gesellschafter noch Einfluss nehmen konnte und die Führung der Gesellschaft auch zu seinem Nutzen erfolgte.

Das ist hier bei der Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014 jedenfalls insoweit der Fall, als die Forderung auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG beruht, da sie jedenfalls in diesem Umfang spätestens mit der Feststellung des Unterschiedsbetrags im Zuge des Wechsels der Gewinnermittlungsart und damit noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde.

Die insolvenzrechtliche Einordnung der Steuerforderung als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dieser gesellschaftsrechtlichen Abgrenzung nicht entgegen. Dass sich die insolvenzrechtliche Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) nicht mit der gesellschaftsrechtlichen Abgrenzung des Umfangs der persönlichen Haftung der Gesellschafter in der Gesellschaftsinsolvenz decken muss, zeigt sich bereits daran, dass sich die persönliche Haftung der Gesellschafter nach überwiegender Meinung auch auf Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO erstreckt, da diese - entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen zu § 160 HGB - ihren Rechtsgrund in den vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Verträgen haben.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.02.2021 10:31
Quelle: BGH online

zurück zur vorherigen Seite