Aktuell in der GmbHR

Die Begrenzung der Haftung wegen masseschmälernder Zahlungen durch das SanInsFoG (Müller, GmbHR 2021, 737)

Das Verbot von Zahlungen nach Insolvenzreife hat sich in der jüngeren Vergangenheit für viele Geschäftsleiter als Quelle existenzbedrohender Haftung erwiesen. Durch das zum 1.1.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wurden die bisher in den gesellschaftsrechtlichen Einzelgesetzen enthaltenen Normen (§ 64 GmbHG, § 93 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG, §§ 130a Abs. 1, 177a HGB, § 99 GenG) in dem neuen § 15b InsO zusammengefasst. Dabei ist die Haftung zugleich in mehrfacher Hinsicht begrenzt worden. Der Beitrag stellt die Auswirkungen dar.

I. Einleitung
II. Erleichterungen beim Überschuldungstatbestand
III. Privilegierung von Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang

1. Bisherige Rechtslage
2. Zweck der Neuregelung
3. Anknüpfung an die Insolvenzantragspflicht
4. Insolvenzeröffnungsverfahren
5. Strenger Maßstab bei Insolvenzverschleppung
IV. Gesamtgläubigerschaden
1. Grundlagen
2. Einordnung
3. Berechnung des Schadens
4. Keine schadensersatzrechtliche Einzelbetrachtung
5. Ersparte Insolvenzquote und Insolvenzanfechtung
6. Darlegungs- und Beweislast
V. Fazit


I. Einleitung
1
Die Grundaussage des Regimes der Zahlungsverbote lautet: Vorstände und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds müssen Zahlungen, die nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet werden, der Gesellschaft erstatten. Erlaubt sind ihnen nur Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Ziel ist es, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. zu gewährleisten, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung steht. Daran soll sich durch die Neuregelung im Kern nichts ändern. Der Gesetzgeber bekennt sich in den Materialien auch ausdrücklich zu dem zu § 64 GmbHG und den Parallelvorschriften entwickelten weiten Zahlungsbegriff, der nicht nur reine Geldleistungen, sondern auch sonstige Vermögensabflüsse umfasst.  Nicht erforderlich ist, dass der auf Regress in Anspruch genommene Geschäftsleiter die Zahlung selbst vorgenommen oder angeordnet hat, es reicht vielmehr, dass er sie hätte verhindern können.  Da ihn schon bei ersten Anzeichen der Krise eine nunmehr in § 1 StaRUG gesetzlich verankerte umfassende Überwachungs- und Kontrollpflicht sowohl gegenüber seinen Mitgeschäftsführern als auch gegenüber den Angestellten der Gesellschaft trifft, geht die Zurechnung von liquiditätsschmälernden Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen sehr weit. Die an die in diesem Sinne zu verstehenden Zahlungen anknüpfende Erstattungspflicht (§ 15b Abs. 4 Satz 1 InsO) begründet damit auch nach neuem Recht die Gefahr exzessiver Haftung. Eine gewisse Entlastung schafft der Gesetzgeber zum einen dadurch, dass er den Überschuldungstatbestand des § 19 InsO restriktiver ausgestaltet hat, und das Zahlungsverbot deshalb tendenziell später einsetzt (siehe II., Rz. 2 ff.). Zum anderen erlaubt § 15b Abs. 2 InsO den Geschäftsleitern, solange diese keine Insolvenzverschleppung betreiben, grundsätzlich Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs (siehe III., Rz. 3 ff.). Eine bedeutsame Änderung im Regime der Rechtsfolgen liegt schließlich darin, dass die Geschäftsleiter gem. § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO gegen die Verpflichtung zur Erstattung der verbotswidrig geleisteten Zahlungen einwenden können, dass der Gläubigerschaft der Gesellschaft ein geringerer Schaden entstanden ist (siehe IV., Rz. 9 ff.).

II. Erleichterungen beim Überschuldungstatbestand
2
Das Zahlungsverbot setzt ein mit dem Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (§ 15b Abs. 1 Satz 1 InsO). Maßgeblich ist allein das objektive Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 InsO bzw. des § 19 InsO. Auf die subjektive Kenntnis des Geschäftsleiters kommt es nicht an.  Regelmäßig tritt Überschuldung vor der Zahlungsunfähigkeit ein. Überschuldung ist nach dem sog. modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff gegeben, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Letzteres war nach bislang h.M. vorbehaltlich branchen- und unternehmensspezifischer Besonderheiten zu bejahen, wenn die Gesellschaft jedenfalls im laufenden und dem nächsten Geschäftsjahr voraussichtlich nicht zahlungsunfähig wurde.  § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO n.F. begrenzt den Prognosezeitraum nunmehr auf zwölf Monate. Dadurch wird der Überschuldungstatbestand enger gefasst und klarer als bisher von dem der drohenden Zahlungsfähigkeit i.S.v. § 18 InsO unterschieden.  In den Fällen, in denen die Unternehmensfortführung erst nach Ablauf der zwölf Monate nicht mehr gesichert ist, besteht nunmehr – abgesehen von den insolvenzverursachenden Leistungen an Gesellschafter gem. § 15b Abs. 5 InsO (§ 64 Satz 3 a.F.) – kein Zahlungsverbot.  Es bleibt aber dabei, dass der nachträglich wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommene Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer günstigen Prognose trägt, denn die Fortführung ist nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO der gesetzliche Ausnahmefall.  Steht die rechnerische Überschuldung zum Zeitpunkt der Zahlung fest, obliegt es dem Geschäftsleiter, sich durch die Vorlage eines für Dritte nachvollziehbaren Ertrags- und Finanzplans zu entlasten.  Das fällt gewiss etwas leichter, wenn der Plan sich nur noch auf die der Zahlung nachfolgenden zwölf Monate zu erstrecken hat, dürfte aber doch für viele Geschäftsleiter von Krisenunternehmen immer noch eine zu hohe Hürde sein. Oftmals verschließen sie sich der Einsicht, dass keine realistische Sanierungschance mehr besteht, und wirtschaften einfach bis zum endgültigen Zusammenbruch weiter.  Dann ist aber auch nach der Neuregelung des § 19 InsO schon lange Überschuldung eingetreten.

III. Privilegierung von Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang

1. Bisherige Rechtslage

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Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs sind nach der Rechtsprechung zu § 64 Satz 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, wenn durch sie größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden sollen.  Das hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 insbesondere bei Zahlungen für Wasser, Strom und Heizung angenommen.  Verschiedene Instanzgerichte sahen auch die Aufwendungen für Löhne und Gehälter sowie die Miete für die Geschäftsräume als besonders dringlich an, da bei ihrem Ausbleiben in der Regel die sofortige Betriebsstilllegung droht.  In neueren Entscheidungen hat der BGH einen rigideren Standpunkt eingenommen: Es sei dem Geschäftsleiter verboten, das Unternehmen auf Kosten und Gefahr der Gläubigergesamtheit mit dem Risiko weiterer Masseminderungen fortzuführen. Nur soweit ausnahmsweise eine konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht werden würde, weil ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.07.2021 14:13
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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