BGH v. 10.2.2022 - IX ZR 148/19

Vermutete Fortdauer der Zahlungseinstellung: Zur sekundären Darlegungslast des Verwalters hinsichtlich des Zahlungsverhaltens des Schuldners

Wird die Verbindlichkeit, welche die Annahme einer Zahlungseinstellung des Schuldners trägt, erfüllt oder gestundet, und will der Verwalter die Vermutung der Fortdauer der Zahlungseinstellung für sich in Anspruch nehmen, kann er unter dem Gesichtspunkt der sekundären Darlegungslast gehalten sein, zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten des Schuldners vorzutragen. Bezieht sich ein im Wesentlichen gleichbleibendes, dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten des späteren Schuldners auch auf einen Zeitraum, in dem der Schuldner seine Zahlungen unstreitig noch nicht eingestellt hatte, kann aus dem Zahlungsverhalten nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Verwalterin in dem auf Eigenantrag vom 31.7.2015 am 30.10.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. GmbH (Schuldnerin). Die Beklagte betreibt eine Spedition und erbrachte für die Schuldnerin in ständiger, schon seit 2004 laufender Geschäftsbeziehung Transportleistungen. Unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO nimmt die Klägerin die Beklagte auf Rückgewähr von 36 Einzelzahlungen der Schuldnerin an die Beklagte i.H.v. insgesamt rd. 53.000 € in Anspruch, mit denen diese in der Zeit vom 7.4.2014 bis zum 9.9.2015 Transportleistungen der Beklagten vergütete.

Bereits Anfang 2013 hatten ein Krankenversicherer wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. rd. 23.000 € und das Finanzamt wegen Steuerschulden von rd. 49.000 € Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin gestellt. Den Anträgen waren fruchtlose Vollstreckungsversuche vorausgegangen. Gegenüber dem Finanzamt hatte die Schuldnerin erklärt, zahlungsunfähig zu sein. Zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kam es seinerzeit nicht. Die offenen Forderungen wurden durch Zahlungen Dritter beglichen und die Insolvenzanträge in der Folge für erledigt erklärt.

Die Beklagte war über die Insolvenzanträge nicht informiert und wusste auch sonst nichts über Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber Dritten. Sie kannte nur das Zahlungsverhalten der Schuldnerin ihr gegenüber. Dieses war durch eine dauerhaft und im Wesentlichen gleichbleibend schleppende Begleichung der aus den Transportleistungen entstandenen Forderungen zumindest seit Anfang 2012 geprägt. Das führte zu Mahnungen seitens der Beklagten, welche die Klägerin für den Zeitraum vom 6.11.2013 bis zum 2.9.2015 vorgelegt hat. Die Beklagte mahnte in vier Stufen. Ab der ersten Mahnung berechnete sie eine Gebühr i.H.v. 4 €. Ab der zweiten Mahnung wurden Verzugszinsen i.H.v. 10 % jährlich geltend gemacht. Ab der dritten Mahnung wurden die Beantragung eines gerichtlichen Mahnbescheids oder "rechtliche Schritte" angedroht. Tatsächlich eingeleitet wurden rechtliche Schritte zu keinem Zeitpunkt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin meldete die Beklagte Forderungen in Höhe von insgesamt rd. 3.700 € zur Tabelle an, die Rechnungen für Transportleistungen ab dem 12.8.2015 betrafen.

Die Klägerin behauptet, die Schuldnerin habe sich seit spätestens 2012 in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten befunden. Spätestens seit Mitte 2013 sei die Schuldnerin nicht mehr in der Lage gewesen, die aus den Leistungen der Beklagten resultierenden Forderungen zu erfüllen. Sie meint, daraus folge, dass die angefochtenen Zahlungen mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geleistet worden seien. Die Beklagte habe den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz aufgrund der schleppenden Zahlungsweise der Schuldnerin gekannt.

LG und OLG gaben der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsen statt. Auf die Rechtsmittel der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Die Feststellungen des OLG tragen weder die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin noch einer Kenntnis der Beklagten von einem solchen Vorsatz.

Voraussetzung für die Einbeziehung der erkannten Zahlungsunfähigkeit als Beweisanzeichen für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung in die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist, dass die Zahlungsunfähigkeit in dem nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt vorlag und erkannt wurde. Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Das OLG hat den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin im maßgeblichen Anfechtungszeitraum vom 7.4.2014 bis zum 9.9.2015 auf eine Zahlungseinstellung Anfang 2013 und die daraus gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO folgende Vermutung der Zahlungsunfähigkeit gestützt. Hierzu hat es sich auf die vom BGH entwickelte Vermutung der Fortdauer einer einmal eingetretenen Zahlungseinstellung berufen. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Nach der Rechtsprechung des BGH wirkt eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung fort, bis der Schuldner seine Zahlungen im Allgemeinen wiederaufnimmt. Im Allgemeinen wiederaufgenommen sind die Zahlungen nicht schon dann, wenn die Verbindlichkeit, deren Nichtbedienung die Feststellung der Zahlungseinstellung trägt, nicht mehr herangezogen werden kann, weil sie etwa erfüllt oder gestundet worden ist. Zusätzlich erforderlich ist, dass der Schuldner (jedenfalls) den wesentlichen Teil seiner übrigen Verbindlichkeiten bedient. Mit Urteil vom 6.5.2021 (IX ZR 72/20) hat der Senat den Anwendungsbereich der Fortdauervermutung beschränkt. Stärke und Dauer der Vermutung hängen nunmehr davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist. Greift die Fortdauervermutung ein, hat nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung der Anfechtungsgegner die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen darzulegen und zu beweisen. Damit wird dem Anfechtungsgegner in vielen Fällen Unmögliches abverlangt. Der Anfechtungsgegner kennt häufig nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber.

Daher hält es der Senat für angezeigt, die Anforderungen an den für die Entkräftung der Fortdauervermutung erforderlichen Vortrag durch eine sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters zu beschränken. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Unter diesen Voraussetzungen obliegt es danach dem Verwalter, zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten des Schuldners vorzutragen. Hierfür genügt es jedoch nicht schon, dass der Anfechtungsgegner sich auf eine allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen beruft. Erforderlich, um eine sekundäre Darlegungslast auszulösen, ist vielmehr, dass der Anfechtungsgegner einen Umstand beweist oder ein solcher unstreitig ist, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen als möglich erscheinen lässt. Dem Verwalter obliegt es dann regelmäßig, zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen vorzutragen. Dies betrifft jedoch nur den Zeitraum, in dem die Wiederaufnahme der Zahlungen erfolgt sein soll.

Danach trägt die vom OLG zur Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin vermutete Fortdauer der Anfang 2013 zutage getretenen Zahlungseinstellung nicht. Die vom OLG für den gesamten Anfechtungszeitraum vom 7.4.2014 bis zum 9.9.2015 angenommene Zahlungseinstellung der Schuldnerin lässt sich nicht auf andere Umstände stützen. Insbesondere das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten begründet nach dem anzuwendenden Maßstab nicht die Annahme einer Zahlungseinstellung für einen bestimmten Zeitpunkt. Die Schuldnerin hat weder erklärt, nicht zahlen zu können, noch erreichen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht. Bezieht sich ein im Wesentlichen gleichbleibendes, dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten des späteren Schuldners auch auf einen Zeitraum, in dem der Schuldner seine Zahlungen unstreitig noch nicht eingestellt hatte, kann aus dem Zahlungsverhalten nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden. Einem Anfechtungsgegner, der nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kennt, fehlt in der Regel der für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Thole - Neuerungen des IDW S 11 bei der Beurteilung von Insolvenzeröffnungsgründen (GmbHR 2022, R52)
  • Aufsatz: Thole - Staatliche Finanzhilfen im Insolvenzverfahren (ZIP 2022, 97)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.03.2022 14:31
Quelle: BGH online

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