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Der Mitbestimmungsschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen nach dem UmRUGMitbestG (Sauerbrey, GmbHR 2023, 5)

Der Schutz von Arbeitnehmermitbestimmung galt als politischer Hauptstreitpunkt des europäischen Gesetzgebungsverfahrens zur Umwandlungsrichtlinie. Obgleich diametral entgegengesetzter Vorstellungen des Europäischen Parlaments und des Rates ließ sich ein Konsens finden, der sich strukturell am Modell von Verhandlungsverfahren mit Auffanglösung orientiert. Am 2.12.2022 billigte der Bundestag in breiter Mehrheit den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum UmRUGMitbestG. Dieser sieht zur Umsetzung des Mitbestimmungskonzepts der Umwandlungsrichtlinie ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung, das MgFSG, vor, zusätzlich soll das MgVG modifiziert werden. Der Beitrag untersucht das Grundkonzept des Mitbestimmungsschutzes nach dem UmRUGMitbestG, diskutiert Alternativansätze des Trilogs und bezieht Stellung zum Verlauf des Gesetzgebungsprozesses.

I. Einführung
II. Grundkonzept des Mitbestimmungsschutzes nach dem MgFSG-BT und MgVG-BT

1. Regelungsmechanismus aus Grundprinzip, Verhandlungsmodell und Auffanglösung
a) Anwendungstatbestände des Verhandlungsmodells mit Auffanglösung
b) Das Verhandlungsverfahren
c) Mitbestimmung kraft Vereinbarung (Mitbestimmungsvereinba
rung)
d) Mitbestimmung kraft Gesetzes (Auffanglösung)
e) Vorzeitige Verfahrensbeendigung seitens Gesellschaft bei Verschmelzung
f) Perpetuierungsklausel und Missbrauchsschutz
2. Kritische Würdigung des Grundkonzepts
a) Positiviertes Konzept als beachtliche Leistung
b) Kritikwürdige Teilaspekte verhindern vollständig stimmiges Konzept
c) 4/5-Regelung als Schwäche des Konzepts
III. Alternative Regelungsansätze zum Grundkonzept
1. Einheitliche europäische Auffanglösung
2. Nachgelagerte Verhandlungspflicht mit dynamischer Auffangregelung
IV. Überschießende Umsetzung der nachgelagerten Verhandlungspflicht?
V. Fazit und Ausblick


I. Einführung

1
Am 31.1.2023 endet die Umsetzungsfrist der Umwandlungsrichtlinie. Neben dem Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) wird Ende Januar auch das Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (UmRUGMitbestG) verabschiedet. Der entscheidende Schritt dazu wurde am 1.12.2022 gegangen. Auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales stimmte der Bundestag in breiter Mehrheit dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (UmRUGMitbestG) in unveränderter Fassung zu (beschlossenes Gesetz fortan: UmRUGMitbestG-BT). Ziel der Positivierung ist verbesserter Arbeitnehmermitbestimmungsschutz, der die Umgehung von Mitbestimmungsrechten durch grenzüberschreitende Umwandlung verhindert. Zusätzlich sollen durch die Harmonisierung Mobilitätshindernisse abgebaut werden.

2
Bisherige Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel sind die EuGH-Entscheidungen Cartesio, Vale und Polbud. Die Urteile gewährleisten unter schützender Hand der Niederlassungsfreiheit permissive Freiheiten, grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen vorzunehmen. Bei grenzüberschreitender Umwandlung kommt es zum Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts. Das Gesellschaftsrecht einiger Mitgliedstaaten kennt keine Arbeitnehmermitbestimmung, in anderen unterscheiden sich Faktoren wie die erforderliche Anzahl an Arbeitnehmern zur Etablierung der Mitbestimmung oder die Beteiligungsquote der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsorgan. Innerhalb der EU besteht somit ein Gefälle im Mitbestimmungsniveau der nationalen Regelungen. Hat der Zuzugsstaat ein geringeres Mitbestimmungsniveau als der Wegzugstaat, kommt es durch grenzüberschreitende Umwandlung zu Mitbestimmungseinbuße. Die Arbeitnehmer unterliegen fortan dem geringeren Mitbestimmungsniveau des Zuzugsstaates, die bestehende Mitbestimmung kann gänzlich entfallen, wenn die Gesellschaft zu einem Gesellschaftsstatut wechselt, dass keine Mitbestimmung kennt oder eine Mitbestimmungsschwelle aufweist, die über der Arbeitnehmeranzahl der umwandelnden Gesellschaft liegt. Die daraus resultierende Konstellation, in der das höhere Mitbestimmungsniveau des Wegzugsstaates, in welchem der Großteil der Arbeitnehmer tätig ist, keine Anwendung zugunsten der Arbeitnehmer findet, da die Gesellschaft dem geringeren Mitbestimmungsniveau des Zuzugsstaates unterliegt, erscheint aus Arbeitnehmersicht nicht interessengerecht.

3
Grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen können somit als Umgehungsvehikel der Mitbestimmung genutzt werden. Um Rechtseinbuße seitens der Arbeitnehmer zu verhindern, sind Schutz- und Verfahrensvorschriften notwendig, für Spaltung und Formwechsel existieren jedoch keine. Da die Umgehungsmöglichkeit auf grenzüberschreitendem Statutenwechsel basieren, konnte wirksamer Schutz nur auf europäischer Ebene gewährleistet werden. Der Unionsgesetzgeber war folglich angehalten, die vom EuGH gewährten Freiheiten durch Schutzvorschriften der Mitbestimmung zu flankieren.

II. Grundkonzept des Mitbestimmungsschutzes nach dem MgFSG-BT und MgVG-BT
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Der europäische Gesetzgeber reagierte auf den Handlungsbedarf und verabschiedete als Teil des Company Law Package die Umwandlungsrichtlinie zur Änderung der Gesellschaftsrechtsrichtlinie. Der Mitbestimmungsschutz galt dabei als politischer Hauptstreitpunkt des unionalen Gesetzgebungsverfahrens. Obgleich „diametral gegensätzlicher“ Vorstellungen des Europäischen Parlaments und des Rates ließ sich ein Konsens finden. Das beschlossene UmRUGMitbestG-BT sieht ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung zur Neugründung (MgFSG-BT) vor. Ebenfalls wird das MgVG an einigen Stellen angepasst werden (MgVG-BT). Anwendungsbereich sind ausschließlich Hereinumwandlungen. Der Schutz der hohen deutschen Mitbestimmung wird somit durch die Umsetzungsgesetze der anderen Mitgliedstaaten gewährleistet. Das Konzept nutzt das Verhandlungsmodell mit Auffanglösung, bekannt aus dem Recht der SE.

1. Regelungsmechanismus aus Grundprinzip, Verhandlungsmodell und Auffanglösung
5
A priori gilt gem. § 4 MgVG-BT und § 4 MgFSG-BT bei grenzüberschreitenden Umwandlungen das Sitzstaatsprinzip. Demnach ist für die hervorgehende Gesellschaft das Mitbestimmungsregime des Zuzugsstaats anwendbar. Gesellschaften könnten über das Sitzstaatsprinzip das geringere Mitbestimmungsniveau anderer Mitgliedstaaten...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.01.2023 10:34
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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