Aktuell in der GmbHR

Causa non finita? Weiterhin offene Fragen um die Versammlungsleitung in der GmbH (Szerkus, GmbHR 2023, 53)

Das GmbH-Recht sieht bekanntlich einen Versammlungsleiter nicht vor. Der Gesellschaftsvertrag kann die Funktion des Versammlungsleiters einführen, die Modalitäten für dessen Einberufung festlegen und diesen mit bestimmten Kompetenzen ausstatten. Oft jedoch fehlen solche Bestimmungen oder sie sind ungenügend, was sich im Gesellschafterstreit bemerkbar macht oder wenn der Versammlungsleiter seine eigenen Interessen forciert. Gleichzeitig ranken sich um diese Funktion ungeklärte Fragen, die insbes. im Streitfall relevant werden. Dieser Beitrag will sie einer praxisgerechten Antwort zuführen.

I. Einführung
II. Bestimmung

1. Gesellschaftsvertrag
2. Geschäftsordnung
3. Beschluss
4. Faktischer Versammlungsleiter?
5. Abwählbarkeit
III. Kompetenzen, Pflichten
1. Sitzungspolizei?
2. Moderation
3. Tagesordnung
4. Treuepflicht
5. Neutralität
6. Beschlussfeststellung
7. Protokollführung
8. Materielles Prüfungsrecht?
9. Vor und nach der Versammlung
IV. Streit
1. Ungeeignetheit
2. Kompetenzmissbrauch
3. Amtsanmaßung
4. Befangenheit
V. Haftung
VI. Zusammenfassung und Ausblick


I. Einführung

1
Zum Versammlungsleiter in der GmbH-Gesellschafterversammlung nimmt das Schrifttum – im Gegensatz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung – gerne und häufig Stellung. Das legislatorische Regelungsvakuum inspiriert zu dogmatischen Erwägungen und Argumenten, die teilweise zu unterschiedlichen Idealvorstellungen vom Versammlungsleiter führen. Ausgangsüberlegung ist, dass dieser neben der Gesellschafterversammlung und dem Geschäftsführer, ggf. noch neben dem Aufsichtsrat, kein weiteres Organ der GmbH sei, sondern allenfalls „Funktionsgehilfe“, was aus der originären Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung als „oberstes Organ“ der GmbH folge: Der Versammlungsleiter kann und darf nur so viel, wie viel ihm die Gesellschafter übertragen. Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung der Durchführung der Gesellschafterversammlung den Gesellschaftern überlassen.

2
Dabei entstehen funktionale Unterschiede: So gebe es einen „einfachen“ oder moderierenden Versammlungsleiter einerseits und einen „qualifizierten“Versammlungsleiter andererseits. Diese Betrachtungsweise will sämtliche Ausprägungen erfassen und dreht sich um die Kompetenz des Versammlungsleiters, den gefassten Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen „verbindlich“ festzustellen. Der moderierende Versammlungsleiter habe keine Beschlussfeststellungskompetenz, der qualifizierte hingegen schon.

3
Während das GmbHG die Versammlungsleitung nicht thematisiert und einen Versammlungsleiter bekanntermaßen nicht vorsieht, trifft der Gesellschaftsrechtler in der Beratungspraxis kaum auf eine Gesellschafterversammlung in einer Mehrpersonen-GmbH, die ohne Versammlungsleiter stattfindet. In vielen Fällen und unabhängig von satzungsmäßigen Bestimmungen ist diese Funktion für die Beteiligten selbstverständlich und erscheint als praktische, irrtümlicherweise auch als juristische Notwendigkeit, was im Bedürfnis des Schrifttums nach einer allgemeingültigen Taxonomie der Versammlungsleiter-Typen Widerhall findet. Ungeachtet dessen warten in der Praxis Fragen nach Rechten und Pflichten, ihren Grenzen sowie den möglichen Rechtsfolgen von Pflichtverstößen auf umsetzungstaugliche Antworten.

II. Bestimmung
4
Niemand wird als Versammlungsleiter geboren. Diese Funktion muss zugewiesen werden, sei es durch Regelungen im Gesellschaftsvertrag oder (seltener) in einer Geschäftsordnung, durch Gesellschafterbeschluss oder aufgrund von anderen, gleichermaßen als verbindlich anzusehenden Umständen.

1. Gesellschaftsvertrag
5
Zusätzlich zum zwingenden Inhalt nach § 3 Abs. 1 GmbHG können die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag ziemlich alles rechtlich Zulässige regeln. Ob eine Regelung die intendierte Rechtswirkung, auch gegenüber Neugesellschaftern, entfaltet, steht regelmäßig auf einem anderen Blatt. Die Versammlungsleitung ist ein Teilaspekt der Gesellschafterversammlung und gehört daher zu den wesentlichen Elementen des Organisationsstatuts. Bestimmungen zur Versammlungsleitung sind fakultative echte Satzungsbestimmungen und wirken im verbandsrechtlichen Innenverhältnis erga omnes, d.h. gegenüber allen Gesellschaftern, alt oder neu. Jede Änderung dieser Bestimmungen hat grundsätzlich im Einklang mit § 53 Abs. 1 und 2 GmbHG zu erfolgen.

6
Größtenteils werden sich GmbH-Gesellschaftsverträge gar nicht oder nur ungenügend zu dieser Funktion äußern. An dieser Stelle ist die Investition in die sonst nachvollziehbare Vermeidung statutarischer Überregulierung fehlplatziert. Die Versammlungsverfassung wird nicht für den Friedensfall geschrieben, sondern für den Streit, in dem die Beteiligten alle Register ziehen, um auch die schmalste „Regelungslücke“ oder die großzügigste Auslegungsmöglichkeit zu eigenem Vorteil auszunutzen. Unklarheiten gilt es daher zu vermeiden.

2. Geschäftsordnung
7
Gerade bei größeren Gesellschaften bietet sich die Ausgliederung von Detailfragen zum Ablauf der Gesellschafterversammlung in eine Geschäftsordnung an. Sie sollte nach der Form der Beschlussfassung untergliedert sein und unterscheiden sowie die Berufung, Kompetenzen und die Abberufung des Versammlungsleiters und des Protokollführers bestimmen. Die Ausgestaltung dieser Aspekte hat nach Maßgabe der individuellen Gegebenheiten und Erfordernisse zu erfolgen, wie sie sich vor allem aufgrund des Gesellschaftszwecks, der Unternehmensgröße, der (angestrebten) Unternehmenskultur und der Gesellschafterstruktur darstellen.

3. Beschluss
8
Auch ohne satzungsmäßige Regelung ist allgemein anerkannt, dass die Gesellschafterversammlung einen Versammlungsleiter berufen kann. Dies folgt aus ihrer originären Allzuständigkeit. Haben nach dem gesetzlichen Leitbild die Gesellschafter ihre eigene Versammlung zu organisieren und zu leiten, können sie auch beschließen, dass sie...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.01.2023 13:55
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite